Peter Sadowski

Der mündige Trinker


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dass es keine Wahrheit geben kann über intrapersonale Variablen des Individuums, welche die Abhängigkeitsentwicklung begünstigt hatten. Erfolgsaussicht für die individuelle Entwicklung kann also nicht ausschließlich abgeleitet werden aus Kriterien, die Therapeuten aufgrund ihrer Fachlichkeit zur Verfügung haben. Auch wenn sich korrelative Zusammenhänge über Personenvariablen und Abhängigkeitsentwicklung oder Abhängigkeitsbewältigung oder beidem erheben lassen, so geben diese Daten Zusammenhänge über eine Vielzahl von Individuen und eine Vielzahl von Störungsentwicklungen an. Individuelle Entwicklungen lassen sich auf dem Boden dieser Daten nicht mit ausreichender Erfolgsaussicht vorhersagen.

      An die Stelle von Kriterien, die aus fachlicher Sicht zu verändern wären, wird der intendierte therapeutische Prozess gesetzt. Die einzelnen Schritte sind angelehnt an den idealtypischen Prozess der Selbstmanagement-Therapie, wie er von Kanfer, Reinecker und Schmelzer (2000) beschrieben wurde. Aus diesen Schritten wiederum ergeben sich dann Kriterien, auf die der jeweilige Patient sich festlegt. Diese Kriterien werden in dem intendierten therapeutischen Prozess als individuelle Therapieziele bezeichnet. Prozessorientiert ist das Vorgehen insofern, weil der gesamte intendierte Prozess den Patienten zu dem Punkt führt, selbst über individuelle Therapieziele zu entscheiden. Außerdem wird das Verändern der identifizierten Therapieziele ebenfalls als länger währender Prozess gesehen. Die Verantwortung für diesen Prozess liegt bei dem einzelnen Patienten.

      2.8 Individuelle Arbeitspunkte innerhalb des intendierten Prozesses

      Aus dem intendierten therapeutischen Prozess folgt, dass es ein herausragendes Ziel ist, innerhalb der stationären Rehabilitationsphase Einigkeit zwischen Patient und Therapeut über intrapsychische Variablen zu erzielen, die verändert werden sollen.

      Die Beschreibung des Prozesses steckt den Rahmen der Entwicklung ab; die individuelle Entwicklung wird sich auf jeweils einzigartige Weise vollziehen. So können sich unter dem Punkt „Auseinandersetzung mit den Settingbedingungen und Akzeptanz der Settingbedingungen“ (siehe Kapitel „Der intendierte therapeutische Prozess“ Kapitel 6.4) eine Unmenge von Problemen verbergen, die den einzelnen Patienten hindern, sich in Erfolg versprechender Weise mit den therapeutischen Angeboten auseinander zu setzen.

      Wenn dieser Prozessschritt nicht mit Hilfe der Standardinterventionen (vorbereitende Informationen aus dem Vorgespräch, Integration in die Bezugsgruppe, Kontakte mit dem Betreuer, Kontakte mit der Co-Therapeutin, Au

      2.8 Individuelle Arbeitspunkte innerhalb des intendierten Prozesses

      Aus dem intendierten therapeutischen Prozess folgt, dass es ein herausragendes Ziel ist, innerhalb der stationären Rehabilitationsphase Einigkeit zwischen Patient und Therapeut über intrapsychische Variablen zu erzielen, die verändert werden sollen.

      Die Beschreibung des Prozesses steckt den Rahmen der Entwicklung ab; die individuelle Entwicklung wird sich auf jeweils einzigartige Weise vollziehen. So können sich unter dem Punkt „Auseinandersetzung mit den Settingbedingungen und Akzeptanz der Settingbedingungen“ (siehe Kapitel „Der intendierte therapeutische Prozess“ Kapitel 6.4) eine Unmenge von Problemen verbergen, die den einzelnen Patienten hindern, sich in Erfolg versprechender Weise mit den therapeutischen Angeboten auseinander zu setzen.

      Wenn dieser Prozessschritt nicht mit Hilfe der Standardinterventionen (vorbereitende Informationen aus dem Vorgespräch, Integration in die Bezugsgruppe, Kontakte mit dem Betreuer, Kontakte mit der Co-Therapeutin, Aufnahmegespräch, siehe auch in den entsprechenden Kapiteln) zu bewältigen ist, ist die vorrangige Aufgabe für Bezugstherapeuten und Patienten zu verstehen, weshalb dieser Schritt zurzeit nicht gangbar ist.

      Die Vorstellungen von einer Behandlung in einem relativ repressionsarmen Rahmen gebieten im Falle einer Störung geradezu, mit der Implikation zu arbeiten, dass der Patient grundsätzlich an der Therapie teilnehmen wollte, aber aus gewichtigen Gründen gehindert wurde, seinen Wunsch zu verwirklichen. Für diesen Teil des intendierten therapeutischen Prozesses wäre diese Störung ein eigener Arbeitspunkt.

      Nennt der Patient einen Grund, wird an diesem Sachverhalt zu arbeiten sein. Wäre der Sachverhalt z.B., der Patient nähme Anstoß an der Dichte des Stundenplanes oder an der Setzung über den Zeitpunkt der Mittagspause, könnte der Therapeut folgendermaßen vorgehen: Er könnte gemeinsam mit dem Patienten klären, ob die Erwartungen des Patienten realitätsgerecht sind, ob diese Art von Erwartungen typisch für den Patienten sind, ob diese typischen Erwartungen des Patienten in funktionalem Zusammenhang mit der Abhängigkeitsentwicklung stehen, ob die Neigung zum Produzieren derartiger Erwartungen grundsätzlich verändert werden sollte oder ob der Patient nur für die Phase der stationären Therapie seine Ansprüche überprüfen sollte. Natürlich ist auch zu klären, ob der Patient auf einen Mangel hinweist, der von der Einrichtung zu verändern wäre (siehe auch Kapitel „Der therapeutische Dreisprung“, Kapitel 2.12).

      Individuelle Arbeitspunkte können sich also aus dem Klinikalltag ergeben, wenn ein Patient um Fortschritte innerhalb des intendierten Prozesses ringt und dabei möglicherweise nicht weiterkommt.

      Systematisch werden individuelle Arbeitspunkte über eine funktionale Analyse des Verhaltens erhoben. Dabei handelt es sich nicht nur um eine einfache horizontale Verhaltensanalyse. Eine solche Verhaltensanalyse ist nützlich, um situative und intrapsychische Prozesse zu identifizieren, die dem Alkoholkonsum vorauslaufen und um die Folgen zu sichten, die kurzfristig bzw. langfristig aus dem Konsum resultieren. Innerhalb einer funktionalen Verhaltensanalyse wird nach Mustern oder Regelmäßigkeiten gesucht, die beim Patienten automatisiert ablaufen. Um zu verstehen, wie diese Regelmäßigkeiten in die gesamte Lebensgestaltung des Patienten eingebunden sind, ist es sinnvoll, im Sinne einer vertikalen Verhaltensanalyse die Bedeutung des einzelnen Verhaltens in einer Hierarchie von Werten zu sehen.

      Ein Patient identifiziert in einer horizontalen Verhaltensanalyse, dass er häufiger getrunken hatte, wenn er Konflikte mit seiner Partnerin vermeiden wollte. In einer vertikalen Verhaltensanalyse zeigt sich dann, dass er grundsätzlich konfliktfähig ist, wenn es um Auseinandersetzungen mit Arbeitskollegen oder Nachbarn geht. In einer funktionalen Verhaltensanalyse könnte sich dann z.B. zeigen, dass der Patient von Erwartungen geleitet ist, dass in der partnerschaftlichen Beziehung dauerhaft Harmonie herrschen müsste, sonst wäre die Beziehung in ihrem Bestand bedroht. Diese Einstellung könnte dann ein Arbeitspunkt sein, der innerhalb der Behandlung zu verändern wäre.

      2.9 Automatisiert ablaufende Prozesse

      Es wird in Anlehnung an Kanfer, Reinecker und Schmelzer (2000) davon ausgegangen, dass die Verknüpfungen zwischen Situation, Erleben und dem Verhalten „Konsum von Alkohol“ weitgehend automatisiert vollzogen worden waren. Kanfer und seine Mitautoren unterscheiden zwischen automatisierter und kontrollierter Informationsverarbeitung. Unter automatisierter Informationsverarbeitung werden Abläufe verstanden wie Auto fahren, Essen oder das Führen eines Alltagsgespräches. Weil das Bewältigen dieser Alltagsroutinen im Rahmen von automatisierten Abläufen wenig Kapazität fordert, würden Menschen dazu neigen, sich schnell in solche Routinen zu ergeben.

      Auch das Bewältigen von Problemen würde schnell automatisiert ablaufen; der Nachteil wäre jedoch, dass untaugliche Versuche der Problemlösung automatisiert abliefen, obwohl sie nicht mehr zielführend wären. Solche automatisierten Abläufe stellen sich außergewöhnlich schnell ein. Aus den Grundlagen der Informations-Verarbeitungs-Theorien weiß man, dass einmal gefundene Lösungen für eine bestimmte Klasse von Problemen auch dann noch verwendet werden, wenn es für ein einzelnes Problem aus dieser Klasse geschicktere Lösungsmöglichkeiten gibt.7 Im Grunde wird die Wirkung der therapeutischen Anstrengungen darin gesehen, dass Patienten diejenigen automatisiert ablaufenden Prozesse identifizieren, die das eigene Trinkverhalten angestoßen und aufrechterhalten haben.

      Auf einen ähnlichen Sachverhalt hatten schon Watzlawick, Beavin und Jackson (1974) hingewiesen, als sie sinngemäß