Peter Sadowski

Der mündige Trinker


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Verlange niemals von Klienten, gegen ihre eigenen Interessen zu handeln!

      2. Arbeite zukunftsorientiert, suche nach konkreten Lösungen und richte die Aufmerksamkeit auf die Stärken von Klienten!

      3. Spiele nicht den „lieben Gott“, indem du Verantwortung für das Leben von Klienten übernimmst!

      4. Säge nicht den Ast ab, auf dem die Klienten sitzen, bevor du ihnen geholfen hast, eine Leiter zu bauen!

      5. Klienten haben immer Recht!

      6. Bevor du ein problematisches Verhalten nicht plastisch vor Augen hast, weißt du nicht, warum es eigentlich geht!

      7. Du kannst nur mit Klienten arbeiten, die anwesend sind!

      8. Peile kleine, machbare Fortschritte von Woche zu Woche an und hüte dich vor utopischen Fernzielen!

      9. Bedenke, dass die Informationsverarbeitungskapazität von Menschen begrenzt ist!

      10. Wenn du in der Therapiestunde härter arbeitest als deine Klienten, machst du etwas falsch!

      11. Spare nicht mit Anerkennung für die Fortschritte von Klienten!

      1.3.2 Das Ausüben von Macht im Rahmen der Therapie

      Wenn ein Patient in einem Therapievertrag seine Bereitschaft zur Mitarbeit in der stationären Rehabilitation erklärt, unterwirft er sich damit mindestens zwei machtvollen Gegebenheiten:

      Auf der Strukturseite übernimmt die Einrichtung es, die Forderungen des Kostenträgers nach „Erfolgsaussicht“ (Vereinbarung Abhängigkeitserkrankungen, 2001) und der „Verpflichtung zur Mitarbeit“ (Sozialgesetzbuch, 2004) zu verwirklichen. Diese Bedingungen sind für den Patienten unvermeidlich, solange er seine Behandlung vom Kostenträger bezahlt haben möchte. Die Einrichtung, also der Leistungserbringer, schafft zusätzlich noch weitere Strukturen, unter die der Patient sich unterwerfen muss (Therapievertrag, Hausregeln, siehe www.der-muendige-trinker.de/zum-buch/zusammenwirken-in-einer-klinik.html), wenn er denn in genau dieser Einrichtung seine Maßnahme zur Rehabilitation durchführen möchte.

      Außerdem setzt der Patient sich der Bewertungsmacht der Mitarbeiter in der Einrichtung aus. Die aus der Selbstmanagement-Therapie (Kanfer, Reinecker & Schmelzer, 2000) abgeleiteten Prinzipien für das Vorgehen innerhalb des stationären Settings zielen darauf ab, die Machtausübung durch die Einrichtung und durch die Mitarbeiter der Einrichtung auf das geringstmögliche Niveau zu reduzieren.

      Deshalb sind alle Mitarbeiter der Einrichtung gehalten,

       für den Patienten jederzeit durchschaubar zu halten, welche Forderungen der Kostenträger und der Einrichtung zu welchen Einschränkungen der Grundrechte führen und

       welche Beobachtungen zu welchen Bewertungen über den Patienten bzw. seinen Therapiestand geführt haben.

      Aus der Einbindung des Leistungserbringers in rechtliche Verpflichtungen gegenüber den Kostenträgern und aus dem Setting ergeben sich für Mitarbeiter Gelegenheiten zur Ausübung struktureller Macht. Die Macht beginnt mit der Kontrolle der Anwesenheit im Haus oder in therapeutischen Sitzungen und endet noch lange nicht beim Durchführen von Alkoholtests.

      Aus der Sicht des Patienten wird er einerseits angeregt, sein Leben eigenverantwortlich zu führen und andererseits wird er einem Regelwerk unterworfen. Die Praxis zeigt, dass das Regelwerk leichter akzeptiert wird, wenn für den Patienten durchschaubar ist, weshalb er sich welchen Einschränkungen unterwirft.

      Wenn ein Patient verabredungswidrig außerhalb des Raucherraumes oder außerhalb der dafür vorgesehenen Zonen vor dem Haus geraucht hat, stehen demjeweiligen therapeutischen Mitarbeiter eine Unzahl von Interventionen zur Verfügung: Man kann sich persönlich enttäuscht zeigen, Betroffenheit zeigen über die Unvernunft oder den Verstoß gegen die Hausregeln spärlich kommentieren und sanktionieren usw., usw.

      Der Bezugstherapeut kann aber auch in der nächsten Gruppensitzung noch einmal offen legen, dass die Regelungen zum Rauchen auf Setzungen ruhen, auf die das therapeutische Team keinen Einfluss hat.

      Der Bezugstherapeut kann sich auch auf eine Diskussion einlassen, ob Forderungen der Kostenträger oder der staatlichen Aufsicht über Krankenhäuser zu diesen Setzungen führen oder ob der Träger der Einrichtung starkes Interesse hat, das Rauchen in der Fachklinik möglichst gering zu halten.

      Man kann auch darüber diskutieren, ob die Setzung zum Ziel hat, ein vielleicht geringeres Risiko weiter zu verringern, dass Patienten zu Schaden kommen, weil jemand mit einer Zigarette im Bette einschlafen könnte. Und dass es möglicherweise ein günstiger Nebeneffekt ist, dass die Renovierungsfrequenz der Räume um einige Wochen verlängert werden kann. Die ersparten Mittel kämen der Therapie wieder zugute.

      Die therapeutischen Mitarbeiter sollten es als ihre Aufgabe ansehen, in jeder Patientengeneration immer wieder die Gründe für die einschränkenden Settingbedingungen transparent zu machen. Die Praxis lehrt, dass die Häufigkeit solcher Informationsveranstaltungen stark abhängig ist von der Zusammensetzung der Bezugsgruppen; in manchen Zeiten ist eine solche Information alle 14 Tage nötig, in anderen Zeiten kann man sich vier Monate Zeit lassen, bevor über die grundsätzlichen Settingbedingungen wieder an herausragender Stelle informiert werden muss (siehe auch „Informationsvermittlung im Plenum bzw. Großgruppe“ Kapitel 6.6.9). Dabei ist immer wieder deutlich zu machen, dass die Settingbedingungen zuerst den Zweck haben, Therapie zu ermöglichen (Argument: Wir wollen die wirtschaftlichen Ressourcen der Einrichtung so einsetzen, dass möglichst viele Patienten möglichst viel Therapie machen können – wir wollen möglichst wenig Zeit und Geld für Kontrollen aufwenden. Das ist nur möglich, wenn sich jeder einzelne Patient bemüht, sich an die Settingbedingungen zu halten).

      Idealerweise ist für den einzelnen Patienten deutlich, dass ein Mindestmaß an Kontrollen (und somit ein Ausüben von Macht) nötig ist, um den Betrieb aufrechtzuerhalten; auf keinen Fall haben die Mitarbeiter der Einrichtung ein besonderes Interesse an der Ausübung von Macht gegenüber dem einzelnen Patienten. Wenn die Anwesenheit bei Veranstaltungen erhoben wird, würden diese Daten zuerst als Information für den zuständigen Bezugstherapeuten dienen. Und der Bezugstherapeut würde die Information bewerten: Vielleicht hat er vergessen, dass sein Patient zu einem auswärtigen Zahnarzt-Termin angemeldet war oder er entscheidet, im Zimmer nachzuschauen, ob der Patient überraschend bettlägerig krank geworden ist. Alle Einschränkungen, auch die in den Hausregeln beschriebenen, denen der Patient sich in der Behandlung unterwirft, sollten lediglich helfen, Therapie zu organisieren. Weitere pädagogische oder therapeutische Erwartungen seien mit den Einschränkungen durch die Settingbedingungen nicht verbunden (siehe auch Hausregeln, www.der-muendige-trinker.de/zum-buch/zusammenwirken-in-einer-klinik.html).

      Die Argumentation in Zusammenhang mit Alkoholtests läuft ganz ähnlich: Mit Hilfe dieser Kontrollen sei auf keinen Fall beabsichtigt, Abstinenz zu erzwingen. Man wisse ja, dass nicht einmal wesentlich schärfere Kontrollen, wie z.B. in Haftanstalten, zuverlässig einen Suchtmittelkonsum unterbinden könnten. Wenn die Einrichtung von Patienten die Durchführung von Alkoholtests fordert, hätte diese Settingbedingung eher die Funktion, die Aufmerksamkeit des einzelnen Patienten auf die Abstinenzbedingung des Therapievertrages zu lenken, insbesondere in Phasen schwankender Abstinenzentscheidung. Damit diese Aufmerksamkeit nicht nur zu Zeiten der Rückkunft in die Einrichtung (nach Ausgang oder nach Realitätstraining) hoch ist, wären Alkoholtests grundsätzlich zu jeder Tages- und Nachtzeit möglich.

      Wenn in der Einrichtung relativ liberale Ausgangsregeln praktiziert werden (siehe Hausregeln, www.der-muendige-trinker.de/zum-buch/zusammenwirken-in-einer-klinik.html) und darüber hinaus einigermaßen großzügig Ausnahmen von diesen Ausgangsregeln verwirklicht werden, ist die Kontrolle der Anwesenheit