Ralph-Peter Becker

Der Gelbe Kaiser


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ihren Leib. Die Kriegerin ist klug genug zu erkennen, dass sie den Gelben unterschätzt hat.

      „Ich glaubte, der Bogen sei nur ein Spielzeug, aber kannst du damit auch ein Ziel in der Ferne treffen?“

      „Möchtest du die beiden Kriegerinnen, die dort draußen in der Steppe auf dich warten, tot von ihren Pferden auf den grünen Boden stürzen sehen?“

      „Nein, die sind doch außerhalb der Reichweite deines Bogens. Siehst du den Adler, der seit einiger Zeit hoch über unseren Köpfen kreist? Bitte ihn mit einem Pfeil zu Boden und ich werde dir meinen Respekt nicht versagen.“

      „Ich schieße nicht auf Vögel – besonders nicht auf diesen!“

      „Warum nicht auf diesen, Gelber?“

      „Er ist mein Freund und kreist nur über uns, weil er auf mich wartet …“

      „Du bist ja total verrückt, Gelber. Kannst du wohl auch mit dem da oben sprechen?“

      „Ich höre Spott in deiner Stimme, Kriegerin.“

      „Wie willst das anstellen?“

      „Schon vergessen, Kriegerin? Ich bin der Gelbe Magier.“

      „Würdest du deinen Freund zum Beweis deiner Magie für mich herunterholen, damit ich ihm eine Frage stellen kann. Wenn der Vogel herunterkommt und die richtige Antwort weiß, dann werde ich mich für meinen Spott bei dir entschuldigen.“

      „Ich bin einverstanden, Kriegerin. Er kann dir aber nur Dinge verraten, die er sehen kann. Rufe auch deine beiden Kriegerinnen dazu, damit sie dir später als Zeugen dienen können. Oder fürchten sie sich?“

      Die Kriegerin ist einverstanden und galoppiert zu ihren beiden Begleiterinnen zurück. Der Gelbe sieht die drei eine Weile intensiv miteinander tuscheln und schließlich kehren sie zu dritt zum Gelben Magier zurück.

      „Bin neugierig, wie du den Vogel herunterrufen willst. Also fang an!“

      Der Gelbe schaut kurz zu dem über ihm kreisenden Adler und streckt ruhig seinen Arm aus. Unter den Blicken der sprachlos staunenden Kriegerinnen sinkt der große Greifvogel im Gleitflug auf den ausgestreckten Arm des Gelben.

      „Stelle deine Frage, Kriegerin, damit ich sie meinem Freund mitteilen kann. Er kann ebenso wenig mit dir reden, wie du mit ihm. Ich stelle das Bindeglied zwischen dir und dem Vogel dar.“

      „Wir erwarten hier jemanden. Der Vogel soll mir sagen, ob er die Erwarteten sieht und erkennen kann.“

      Der Gelbe ahmt so täuschend ähnlich den Schrei eines Adlers nach, dass in keiner der misstrauisch beobachtenden Kriegerinnen auch nur der leiseste Zweifel aufkeimt, es könnte etwas anderes sein, als ein Befehl an den Adler in seiner Sprache.

      Der Adler antwortet dem Gelben mit einem ähnlich klingenden Schrei und schießt dann pfeilschnell in den blauen Frühlingshimmel hinauf und kreist eine Weile im Schwebeflug über der Steppe. Als der Gelbe wieder seinen Arm ausstreckt, setzt der Greifvogel gehorsam zum Landeanflug an.

      „Nun, was hat er gesehen?“

      „Er wird nicht eher mit mir reden, Kriegerin, bevor du ihm deine Fleischvorräte ausgehändigt hast.“

      „Wann hat er das gesagt?“

      „Bevor er losgeflogen ist.“

      Wortlos schreitet die Kriegerin zu ihrem Pferd und greift nach einem Lederbeutel, der auf dem Rücken des Reittieres befestigt ist. Sie entnimmt dem Beutel ein großes Stück vorgebratenes Fleisch und legt es auf den Steppenboden nieder. Drei wilde Schreie stößt der Adler aus und stürzt sich auf das Fleisch, ergreift es mit scharfen Krallen und schießt dann hoch hinauf in sein luftiges Reich.

      „Hat er mit dir gesprochen, Gelber?“

      „Ja. Er hat schlechte Nachrichten. Ich kann kaum verstehen, was er mir mitgeteilt hat.“

      „Vielleicht kann ich es ja, Kleiner. Rede endlich.“

      „Er sagte, er habe zwei Gruppen von Reitern gesehen. Eine kleinere, die der größeren vorauseilt und in kurzer Zeit wohl hier, wo wir uns gerade befinden, eintreffen wird. Es scheint, als wären es Krieger, fremde Krieger, wie sie hier noch nicht gesehen wurden. Sie sind mit Schwertern, Kriegsbögen und Schilden bewaffnet.“

      „Was hat er noch gesehen? Woher kennt er Kriegsbögen.“, fragt die Kriegerin kritisch.

      „Natürlich kennt er keine Kriegsbögen. Er teilt mir mit, was er sieht und ich muss versuchen, Sinn in das, was er sieht, zu bringen“, antwortet der Gelbe vorsichtiger. „Wer mögen die fremden Krieger wohl sein?“

      „Das geht dich nichts an, Gelber. Jedenfalls sind es Freunde.“

      „Freunde, denen ihr nicht zu trauen scheint!“

      „Wie kommst du darauf?“

      „Ihr reitet euren Freunden voller Misstrauen entgegen. Sicher sind noch etliche eurer Kundschafter in der Steppe, die genau beobachten sollen, ob die fremden Krieger vielleicht Verrat planen. Mich würde es nicht wundern, wenn es Krieger des Kaisers wären, die sich uns nähern und mittlerweile schon sehr nahe an uns herangekommen sind.“

      „Wenn du so schlau bist, Gelber, dann ist es dir nicht entgangen, dass einige von uns bereits die Waffen des Kaisers tragen. Der Kaiser ist unser Freund, mit dem wir uns verbünden werden.“

      Die kleine Vorhut der kaiserlichen Krieger hat sich dem Standort des Gelben und der drei Kriegerinnen bis auf etwa zweihundert Schritte genähert. Der Führer dieser kleinen Vorhut bringt sein Pferd in den Stand und die ihm folgenden Krieger tun es ihm gleich.

      Der Gelbe greift ruhig nach seinem Bogen und legt schnell und geübt einen Pfeil nach dem anderen auf die Sehne und schickt den fliegenden Tod den Soldaten des Kaisers entgegen. Der Totengott kann sein Maul nicht so schnell aufreißen, wie die Pfeile des Gelben ihm die Geister der tödlich getroffenen zuführen.

      „Jetzt ist der Kaiser nicht mehr euer Freund!“, erwidert der Gelbe und schaut lächelnd den wenigen übrig gebliebenen Kriegern der Vorhut hinterher, die der gefräßige Gott des Todes nicht so schnell verschlingen konnte, wie die Flucht die Überlebenden von dem Ort des unerwarteten Angriffs forttreibt.

      Regungslos hatte die Kriegerin in ungläubigem Staunen dem Gelben bei seinem blutigen Handwerk zugesehen.

      „Du hast gerade einen großen Krieg begonnen“, flüstert die Kriegerin sofort begreifend. „Einen Krieg mit ungewissem Ausgang, gegen einen nur schwer zu besiegenden Feind – ich werde dich töten müssen!“, haucht die Kriegerin in tonlosem Flüstergespräch, greift nach ihrem Schwert, bringt es aber nicht aus dem Waffengurt heraus.

      „Was ist?“, rufen ihre beiden Begleiterinnen, „Zieh doch endlich dein Schwert, Schwester, und kämpfe!“

      „Es geht nicht!“, keucht die Kriegerin, „Das Schwert sitzt so fest, als wäre es mit seiner ganzen Klinge tief in einen Felsen gerammt.“

      „Das ist das Werk böser Geister oder dieses lächerlichen Magiers. Wir helfen dir!“, rufen die beiden entschlossen. Auch ihre Hände fahren zu den Schwertern, die sie ebenfalls in Waffengurten auf dem Rücken tragen.

      Als wäre an diesem milden Frühlingstag plötzlich ein wilder Herbststurm über die Steppe hergefallen, der mit seiner Sturmgewalt alles vor sich hertreibt und durcheinander wirbelt, so werden die beiden Kriegerinnen von Kräften erfasst, die sie mitsamt ihren Pferden spielend leicht zu Boden werfen.

      „Magier“, keuchen die drei Kriegerinnen, „bist du das mit deinen Zauberkräften?“

      „Nein, das ist das Werk der bösen Geister, die sonst nur in der Dunkelheit die Steppe unsicher machen. Hütet euch vor ihrem Zorn. Sie sind meine Freunde.“

      „Der Rest des Spähertrupps