Ralph-Peter Becker

Der Gelbe Kaiser


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Steppengeist, der für die Augen aller sterblichen Wesen stets unsichtbar durch die Lüfte fliegt“, flüstert He, die sich einmal mehr an den Magier wendet:

      „Wir dachten, du seist unser Gefangener, Magier. Aber du denkst gar nicht an Flucht. Was willst du von den Darr – und wer bist du wirklich? Alles, was du tust und sagst ist widersprüchlich. Ich vermute, du wirst uns freiwillig zu unserem Kriegslager begleiten. Was aber machen wir mit den toten Kriegern des Kaisers?“

      „Nun, wir machen mit ihnen, was sie mit ihren Feinden tun. Raubt ihnen die Waffen, ihre Pferde und lasst sie einfach liegen – zur Abschreckung und Warnung an den Kaiser.“

      „Was willst du von der Beute, Magier?“

      „Euch gehören, nach dem Recht der Steppe, die Waffen und Pferde von den Toten, die von eurer Hand den Tod empfangen haben.

      Ich beanspruche die Waffen und Pferde der Krieger, die durch meine grauen Freunde und durch meine Pfeile den Tod empfangen haben sowie alle Fleischvorräte, mit denen die Soldaten des Kaisers stets im Überfluss ausgestattet sind, als Kriegslohn für meine Grauen, von denen viele mit ihrem Leben bezahlt haben, als sie euch zu Hilfe eilten.“

      „Wir Darr sind Krieger und Räuber, wir handeln nicht – doch bin ich einverstanden.“

      „Du bist noch jung, He, und ich frage mich, ob eure erfahrenen Krieger und Räuber sich deiner Entscheidung, was die Verteilung der Beute betrifft, fügen werden? Vor allem könnte doch Mokk, der Kriegshäuptling, deinen Beschluss aufheben.“, denkt der Magier schon an die kommenden Tage, an denen er auf Mokk treffen wird, doch die Kriegerin antwortet ihm nicht darauf.

      „Ich vermute, du willst ein Bündnis mit den Darr, wie jener tapfere Krieger, dem die Armee des Kaisers alles genommen hat, was man einem tapferen Krieger nur nehmen kann:

      Alle Krieger getötet, alle Bewohner des Dorfes getötet, in dem er mit seiner Familie glücklich gewesen sein soll. Die Ehre genommen durch die schändliche Pfählung des Familienoberhauptes, seines Vaters. Dann kam er zu uns, verlacht als Ein-Mann-Armee, verhöhnt und gedemütigt vom obersten Häuptling der Darr und einigem Gesindel, das auch zu unserem Volk gehört. Schlimm genug muss ihn zuvor schon der Tod seines Sohnes getroffen haben, der bei den Gor sich den Ruf äußerster Tapferkeit erworben hat. Er hat mir leidgetan, der Kommandant, der mit gesenktem Haupt unser Dorf verlassen hat. In seinen Augen sah ich es kurz auf eine furchtbare, feindselige Weise aufblitzen. Der wird zumindest dem Kriegshäuptling noch einmal gegenüber stehen, wenn nicht sogar mit einer neuen Armee dem ganzen Volk der Darr.“

      „Dann kam er wohl mit leeren Händen.“

      „Ja. Es ist Sitte in unserem Volk, nichts zu tun, was uns nicht den größten Gewinn bringt. Dafür darf uns niemand verurteilen. Aber wir wollen jetzt schlafen. Mit dem ersten Morgengrauen werden wir zu unserem Lagerplatz aufbrechen.“

      –

      Der Magier wälzt sich unter seinem Schlaffell ruhelos hin und her. Er findet in dieser Nacht keinen Schlaf.

      „Magier“, hört er den Hauch eines Flüsterns zu sich wehen, „Ich bin es, He.“

      „Was willst du von mir“, flüstert der Angesprochene leise zurück.

      „Lass mich zu dir unter das Schlaffell – ich will mit dir reden.“

      „Nein, auf gar keinen Fall.“

      „Ich will wirklich nur reden, nichts anderes!“

      „Dann lass uns ein Stück in die Steppe gehen.“

      Die beiden gehen schweigend durch die dunkle, nur von dem schwachen Licht der Sterne erleuchteten Steppe.

      „Ich habe dich genau beobachtet, Magier, und ich habe über dich nachgedacht. Wenn ich nicht genau wüsste, dass der Bogenschütze genannte fremde Krieger bei den Gor ums Leben gekommen ist, dann würde ich denken, du wärst der Bogenschütze, der wie du einen riesigen, grauen Wolf zum Freund hatte. Und noch etwas ist mir aufgefallen, Magier.“

      „Und was wäre das, He?“

      „Wir Darr sind nicht blind, Magier, und wir sind auch nicht dumm. Deine Augen, die habe ich schon einmal gesehen.“

      „Wo wäre das gewesen?“

      „Ich musste eine Weile nachdenken, bis es mir einfiel. Es war in unserem Kriegslager.“

      „Unmöglich! Da bin ich noch niemals gewesen!“

      „Das ist wahr – und doch irre ich mich nicht. Es waren die Augen des Kommandanten, der alles verloren hatte und sich dennoch um ein Bündnis mit meinem Volk bemüht hat. Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich denken, du wärst der Sohn dieses Kriegers. Wie dem auch sei, Magier, ich will dich nicht drängen. In meinem Stamm gibt es aber viele scharfe Augen, die zu klugen Köpfen gehören.“

      „Ich verstehe nicht, was du mir mitteilen willst, He.“

      „Oh doch, du verstehst sehr genau. Kommt wieder ein Huang mit leeren Händen in unser Kriegslager, dann ist es sein Tod.“

      „Wer immer dir über den Bogenschützen oder über den Sohn des Kriegers berichtet hat – hat er dir jemals von magischen Kräften berichtet?“

      „Jedenfalls nichts, was ich nicht der Phantasie der Berichtenden zugeschrieben habe.“

      „Vielleicht verstehst du, dass ein Magier niemals mit leeren Händen kommt. Warte ab, was er dich an wunderbaren Dingen sehen lassen wird. Danach entscheide, mit wem du es zu tun hast – mit dem Sohn des Kommandanten, mit dem Bogenschützen oder vielleicht doch mit einem Dämon. Hab nur ein wenig Geduld und ziehe keine voreiligen Schlüsse. Lass uns jetzt zu unserem Lagerplatz zurückkehren.“ _

      Der Ritt zum großen Kriegslager der Darr, das etwa vier Tagesritte entfernt ist von der Stelle, an der die drei Kriegerinnen der Darr auf den Gelben Magier gestoßen sind, verläuft ereignislos. Die junge Kriegerin hatte darauf bestanden, dass der des Reitens kaum mächtige Magier den Weg zum Kriegslager der Darr auf dem Pferd des gefallenen Anführers der kaiserlichen Krieger zurücklegt.

      „Die Darr“, belehrt sie den Magier, „beurteilen dich, wie jeden anderen auch, nach deinem Pferd und deinen Waffen. Selbst wenn du gleich einem Dämonen unsichtbar durch die Luft geflogen kämst – ohne ein Pferd bist du bei uns ein Nichts. Wenn du schon kein Schwert besitzt und nicht einmal im Besitz einer Kampflanze aus Holz bist, dann musst du wenigstens über ein edles Pferd verfügen.“

      „Aber es ist wild, dieses Pferd. Es wird mich abwerfen. Sieh nur, mit welchen wilden Augen es zu mir blickt. Es erlaubt mir sicher nicht, seinen Rücken zu besteigen. Schon gar nicht wird es mich freiwillig durch die Steppe tragen.“

      „Dann rede doch mit dem Tier, stolzer Magier. Bitte es freundlich, nett zu dir zu sein!“, höhnt die Kriegerin und ihre beiden älteren Schwestern lachen laut und prustend vor Vergnügen.

      Als der Magier sich vorsichtig dem temperamentvollen Pferd nähert, beginnt das Tier nach dem Magier zu schnappen und mit den Vorderläufen hochzusteigen.

      Als der Wolf sich nähert, um Beistand zu leisten, läuft es von Panik ergriffen im Galopp in die Weite der Steppe davon.

      Die drei Kriegerinnen fallen in ein nicht enden wollendes, kreischendes Gelächter über so viel Ungeschicklichkeit und über die Ratlosigkeit im Gesicht des Magiers.

      „Es hat mich gesehen, wie ich mit meinem Bogen seinen Herrn getötet habe. Nur deswegen verhält es sich so unbändig“, murmelt der Magier und überlegt, wie er mit seinen mentalen Kräften auf die Furcht des Pferdes einwirken könne. Regungslos steht er mit geschlossenen Augen in der Steppe. Die drei Kriegerinnen beobachten mit angespannter Neugierde, auf welchen Wegen der Ungeschickte den Widerstand des Tieres brechen würde.

      „Er wird doch nicht im Stehen einschlafen“, spottet Ho, „und womöglich im Schlaf umfallen und sich verletzen“, lacht ihre