Ralph-Peter Becker

Der Gelbe Kaiser


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auf uns Kriegerinnen einwirken zu lassen. Vielleicht ist die Reichweite deiner magischen Kräfte auch gar nicht so groß, wie es unser Abstand von dir sein wird. Wir werden es in jedem Fall ausprobieren!“

      „Du bist wahrhaftig nicht dumm“, murmelt der Magier anerkennend und für die Kriegerin unhörbar vor sich hin, „und schon ziemlich dicht an der Wahrheit. Für meinen Geschmack bist du aber zu neugierig. Probiert soviel ihr wollt – ich werde mich bemühen, eurer Neugierde Grenzen zu setzen!“

      „Nun beeil dich schon!“, drängt die Kriegerin den Gelben mit lauter Stimme.

      „Wir haben keine Eile, Kriegerin.“

      „Das bestimmst nicht du, Magier. Wir werden mit Pfeilen auf dich schießen, wenn du nicht kooperierst!“

      „Bin neugierig, Kriegerin, ob ihr drei schneller schießt und trefft als ich. Ihr werdet tot auf dem schönen grünen Gras liegen und ich werde wieder allein sein.“

      „Willst du unbedingt mit der Hauptgruppe der Krieger zusammenstoßen? Sie werden nicht lange reden, sondern dich und auch uns sofort umbringen. Es müssen neue Unterhändler zum Kaiser geschickt werden, um deinen Fehler wieder gut zu machen. Wärst du nicht so voreilig, dann wärst du als Bogenschütze vielleicht sogar ein ganz brauchbarer Krieger.“

      „Ich war weder voreilig, noch habe ich einen Fehler gemacht, Kriegerin.“

      „Das – das verstehe ich nicht.“

      „Oh doch. Ich sehe es an deinem erschreckten Gesichtsausdruck, dass du genau verstanden hast.“

      „Dann lass uns sofort zu unserem Kriegslager aufbrechen – es ist noch nicht zu spät!“

      „Es ist bereits zu spät, Kriegerin. Ich habe dir vorhin nicht die ganze Wahrheit gesagt. Der Haupttrupp der Krieger des Kaisers ist nicht zusammengeblieben. Sie hatten sich längst aufgelöst und uns eingekreist, als der Adler mir Bericht erstattet hat.“

      „Und du hast dennoch die Dummheit besessen, die heraneilende Vorhut mit deinen Pfeilen zu beschießen. Gerade habe ich angefangen, meine schlechte Meinung von dir als Krieger zu ändern. Nun weiß ich, dass du ganz offensichtlich dumm bist oder alle Freude am Leben verloren hast. Warum nur musstest du uns Kriegerinnen in deine Dummheiten mit einbeziehen? Sag ehrlich, Magier, ist es deine Absicht, Zwietracht zwischen dem fernen Kaiser und dem obersten Häuptling der Darr zu säen?“

      „Du bist klug, Kriegerin – ja, dies war und ist noch immer meine Absicht.“

      „Ha und Ho“, wendet sich die Kriegerin an die beiden anderen, „haltet Ausschau nach den Kriegern des Kaisers. Ich will wissen, ob der Magier die Wahrheit sagt. Und du, Magier, erklärst mir unterdessen, wie du den Häschern des Kaisers entkommen willst. Ich kann mir ja nicht wirklich vorstellen, dass du des Lebens überdrüssig bist.“

      „Die Namen der beiden Kriegerinnen, die wohl deine Schwestern sind, hast du eben genannt. Ich habe mich dir schon bekannt gemacht. Sage mir nun noch deinen Namen, damit ich weiß, mit wem ich das Vergnügen, das uns erwartet, teilen darf.“

      „Ich bin die dritte von drei Schwestern und werde He gerufen. Dies sind Abkürzungen unserer Namen. ‚He’ steht für ‚Morgensonne’, ‚Ho’ für ‚Mittagssonne’ und ‚Ha’ für ‚Abendsonne’. Zufrieden?“

      „Ja“, lächelt der Magier, „du scheinst sehr einfallsreiche Eltern zu besitzen.“

      Ha und Ho sind nach kurzem Kundschaftergang schnell zurückgekehrt. Sie bestätigen die Anwesenheit der Krieger des Kaisers, die, wie vorausgesagt, um die Kriegerinnen und den Magier einen Belagerungsring gelegt haben. Jede Aussicht auf ein Entkommen scheint ausgeschlossen zu sein.

      „Es nähert sich einer der Soldaten des Kaisers“, flüstert Ho und Ha ergänzt, „Er scheint unbewaffnet zu sein. Ich glaube, er will mit uns reden.“

      „Wo ist der Magier?“, flüstert Ho, „Wenn wir ihn ausliefern, dann haben wir eine gute Chance zu entkommen!“

      „Ich bin mir sicher, dass He wieder ganz anderer Meinung ist. Wir ...“

      Bevor die Schwestern in einen Streit geraten können über ihre verschiedenen Ansichten, wird der Streit durch das Eingreifen des Magiers unwiderruflich entschieden. Keine der drei Kriegerinnen kann sich erklären, wie der Magier von ihnen unbemerkt, sich ihrer Bewachung entziehen konnte. Die allmählich einsetzende Dunkelheit beflügelt die Phantasie der beiden älteren Schwestern, während He, die Jüngste von ihnen, wortlos auf dem Boden hockt.

      „Er wird uns nicht glauben, dass der Magier uns entkommen ist. Er wird uns nicht einmal glauben, dass ein Magier hier seine Hände im Spiel hat. Sie werden uns töten. Sie warten nur auf die Dunkelheit, um uns umso mehr in Furcht und Schrecken zu versetzen. Wenn wir den Boten gleich töten, dann haben wir jedenfalls einen Feind weniger.“

      In den Augenblick des Schweigens, der auf die Meinungsäußerung der ‚Morgensonne’ folgt, dringt der leise Hauch eines schnell fliegenden Pfeils, der zielgenau auf den Boten der kaiserlichen Krieger zufliegt, mit einem kaum hörbaren Aufschlaggeräusch in den Oberkörper des Ahnungslosen eindringt und den Rumpf des Opfers in ganzer Länge durchbohrt.

      „Nun, wir müssen uns im Augenblick nicht über ‚richtig’ und ‚falsch’ streiten. Der Magier hat für uns entschieden. Haltet euch bereit, Schwestern, ehrenvoll zu sterben.“

      Im Augenblick der Ermahnung der „Morgensonne“ an die Schwestern, beginnen die Soldaten des Kaisers mit der ersten Phase ihres Angriffs. Ein dichter, nicht enden wollender Pfeilhagel fällt auf die drei Kriegerinnen, die der aufprallenden Wucht nicht lange standhalten können und sie zum Rückzug in die dichten Büsche zwingt.

      Während die drei Kriegerinnen mit ihren Schilden noch versuchen sich der Wucht des aufschlagenden Pfeilhagels entgegenzustemmen, beginnt der Magier seinerseits den Gegenangriff. Von allen Seiten lässt er lang gestreckte, graue Schatten durch die dunkle Steppe fliegen, die lautlos den Tod in die Reihen der Krieger des Kaisers tragen. Neben dem frei in der Dunkelheit stehenden Magier steht ein solcher grauer Schatten zu scheinbarer Regungslosigkeit erstarrt. Seine Augen und die Augen all der Grauen, die hierhin und dorthin durch die Dunkelheit der Nacht huschen, sehen noch klar und deutlich, wo die Augen der Krieger vergeblich die Dunkelheit zu durchdringen versuchen. Die zunehmende Dunkelheit, als Schrecken für die Kriegerinnen gedacht, trägt nun den Schrecken in die eigenen Reihen der kaiserlichen Krieger, denen es schließlich trotz der unaufhörlichen Angriffe der grauen Schatten gelingt, rings um die belagerte Gruppe aus Büschen und vereinzelten Felsen einige Feuer zu entzünden.

      Hatte der Magier in der Dunkelheit sich auf Augen, Ohren und Nase seines grauen Freundes verlassen müssen, um einen Todesboten nach dem anderen ins Ziel zu senden, so kann er nun die im Feuerschein deutlich erkennbaren Feinde direkt mit seinen Pfeilen dem Totengott in die weit geöffneten Arme treiben.

      Längst haben auch die kluge He und ihre Schwestern erkannt, dass die Geister der Steppe ihnen unerwartet zu Hilfe geeilt sind. Mit ihren Bögen wehren sie die wenigen zu ihnen vordringenden kaiserlichen Krieger erfolgreich ab. Der größte Teil der Soldaten des Kaisers liegt schließlich hingestreckt auf dem grünen Steppenboden, jeder dort, wo der Tod ihm beschieden hat, den Weg in die ewige Dunkelheit anzutreten.

      „Das habt ihr Grauen gut gemacht, mein Freund. Fast wärt ihr zu spät gekommen“, flüstert der Magier dem Grauen ins Ohr, als der kurze, doch mit aller Härte geführte Kampf sich dem Ende zuneigt.

      „Viele von euch habe ich fallen gesehen und eure geschundenen Leiber sehe ich in großem Durcheinander zwischen Freund und Feind liegen. Doch will ich dafür Sorge tragen, dass eure Leiber, die der Mutter Erde entsprungen sind, friedlich in ihren Schoß zurückkehren sollen.“

      „Diese fremden Krieger, diese Grauen, die wie dunkle Schattenwesen sich gleich Geistern durch die Steppe bewegen, kämpfen genauso tapfer, wie die Krieger der Darr. Wem aber verdanken wir die Hilfe jener Grauen, die wir sonst hetzen und jagen, weil sie über