Ralph-Peter Becker

Der Gelbe Kaiser


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      „Ich muss jetzt fort“, flüstert der Magier der Dicken zu.

      „Du bist doch gefesselt und auch ohne Fesseln könntest du nicht von hier fliehen“, flüstert die Dicke.

      „Oh, das hätte ich fast vergessen“, lächelt der Magier in die undurchdringliche Dunkelheit, „wäre ich doch fast geflohen, ohne mich vorher zu befreien.“

      „Magier!“, ruft die Dicke noch, doch der hat das Zelt in der Art eines echten Magiers längst verlassen.

      _

      Vor dem ersten Morgengrauen ist der Magier zurück im Zelt. Geduldig erwartet er das erste Licht des neuen Tages, mit dem auch die Wächter in das Zelt treten würden.

      „Wer hat dir die Fesseln abgenommen?“, fragt der Wächter harsch, als er in das Zelt tritt und den Gefangenen ungefesselt erblickt. „Rede, du Hund, oder ich trete dich, dass dir das Blut aus deinem Maul läuft!“

      „Wenn du so unhöflich bist, Wächter, dann rede ich gar nicht mit dir. Wenn du mich aber freundlich um meine Erlaubnis bittest, dann darfst du mir auch neue Fesseln anlegen.“

      „Warum sollte ich einen gefangenen Hund wie dich um Erlaubnis bitten!“, lacht der Wächter, „soll ich dich vielleicht mal mit meiner Lanze kitzeln? Der Häuptling will dich sehen und er hat richtig üble Laune. Ich sage dir, das wird ein Spaß. Ich habe nicht viel Zeit, weil der Häuptling wartet – also lass dir freundlicherweise Fesseln anlegen!“

      Der Magier lässt sich erneut in Fesseln legen und der Wächter führt ihn zum Häuptling, dessen böse blitzende Augen allerdings von einer so schlechten Laune zeugen, dass der Wächter ihn kaum anzusprechen wagt.

      Mokk schaut dem Magier eine Weile in das jungenhaft lächelnde Gesicht und fragt ihn schließlich:

      „Trinkst du noch Milch aus deiner Mutter Brust? Du hast den Körper eines Kindes, das Gesicht eines Einfältigen und dein Verstand scheint auch nicht dem eines normalen Kriegers zu entsprechen – was bei allen Steppengeistern hast du in meinem Kriegslager zu suchen?“

      „Nichts.“

      „Was heißt nichts? Antworte richtig, sonst lasse ich dich auspeitschen!“

      „Ich suche nichts, was ich schon gefunden habe.“

      „Und was hast du gefunden, du Kind?“

      „Nun – dich.“

      „Warum hast du mich denn gesucht, du Hund? Wer hat dir erlaubt, nach mir zu suchen?“

      „Ich frage niemanden um seine Erlaubnis – auch dich nicht, Mokk. Wenn du höflich bist, dann mache ich dir aber vielleicht ein Angebot, dass dein Leben und das deiner Krieger retten würde.“

      „Was soll das für ein Angebot sein?“, fragt der Häuptling ungläubig.

      „Ich besitze etwas, was du dringend benötigst, Mokk, und du verfügst über etwas, das ich ganz gut gebrauchen könnte.“

      „Ich weiß, dass du ein gefährlicher Lügner und Betrüger bist – wie alle Feiglinge. Und ganz sicher brauche ich nichts, was im Besitz eines Betrügers und Feiglings ist. Vielleicht mit einer Ausnahme.“

      Das jungenhafte Grinsen im Gesicht des Magiers wird immer breiter, bis sich schließlich die weißen blitzenden Zähne zeigen.

      „Ich habe gestern dein Pferd und deinen Bogen an mich genommen. Der Bogen sieht wertvoll aus, taugt aber nichts. Er ist aus einem Holz gemacht, das sich nicht spannen lässt. Selbst dein Pferd sieht edel aus, scheint aber ebenfalls nichts zu taugen, wie ich gestern bei einem Ausreitversuch feststellen musste. Pferd und Bogen täuschen vor, etwas zu sein, was sie nicht sind – und nun sind sie verschwunden. Weißt du, wo meine Sachen geblieben sind?“

      „Erstens sind es nicht deine Sachen, wie du mein Pferd und meinen Bogen nennst, sondern meine, die du zweitens nicht an dich genommen, sondern mir gestohlen hast – obwohl ich doch als Gast zu dir gekommen bin. Deine Tochter He hat sich mit ihrem Wort als Kriegerin für meine Sicherheit verbürgt. Frag sie danach.

      Das Pferd und meinen Bogen habe ich in Sicherheit gebracht. Sie erscheinen hier erst wieder, wenn du mir das Gastrecht garantierst. Dann werde ich dir gerne zeigen, das Pferd und Bogen edler sind, als deine Gesinnung als Räuber es jemals war.“

      „Wegen des Ehrenwortes meines dummen und unreifen Kindes, das nicht länger Kriegerin der Darr sein wird, erlaube ich dir, mein Kriegslager zu verlassen.

      Allerdings musst du als der neue Ehemann von Fleischberg dem Krieger, der bis heute Morgen der Ehemann von Fleischberg war, einen Brautpreis entrichten oder so lange ihm als Sklave dienen, bis du deine Schuld beglichen hast.“

      „Ich bin einverstanden, Mokk. Ich bitte dich, diesen Krieger mitsamt seiner Ehefrau, die sie ja noch ist, bis der Brautpreis vollständig entrichtet ist, hierher bringen zu lassen, damit ich den Preis aushandeln und schnell bezahlen kann.“

      „Wir haben dich genau durchsucht, du Feigling, du besitzt nichts mehr, was für uns von Interesse sein könnte. Aus dir spricht die Angst.“

      „Schon vergessen? Ich bin der Gelbe Magier, werde nicht nur so genannt. An meinem Körper befinden sich tausend Verstecke, in denen ich ein Vermögen verstecken könnte.Lass die beiden nur kommen, dann sollst auch du deinen gerechten Anteil erhalten.“

      _

      Die Zeit, die die Sonne braucht, um auf ihrem Aufstieg ein Wegstück von zwei Handbreiten zurückzulegen, hatte Mokk als Zeitpunkt bestimmt, zu dem alle Beteiligten sich einfinden sollten, um den Brautpreis auszuhandeln. Eine knisternde Spannung beginnt sich über das ganze Kriegslager auszubreiten. Aus allen Richtungen, aus allen großen und kleinen Zeltreihen, strömen die Neugierigen herbei, um Zeuge erahnter, ungewöhnlicher Ereignisse zu werden. Der große Versammlungsplatz vor dem Zelt des Häuptlings ist schon bald hoffnungslos überfüllt mit Kriegern, die von einer auffälligen Schweigsamkeit ergriffen sind. Und immer noch will der Zustrom der Neugierigen nicht versiegen.

      Der Häuptling, der mit dem klugen Hoggo vor seinem Zelt Platz genommen hat, gibt das Zeichen zum Beginn der Verhandlungen, nachdem er wegen des großen Andranges an Kriegern den Verhandlungsbeginn um weitere zwei Handbreiten der Sonnenbewegung am Himmel verschoben hat.

      „Bringt den Gefangenen, den Besitzer der Frau, die ‚Fleischberg’ genannt wird und natürlich diese Frau selbst!“, befiehlt er und als die drei in respektvollem Abstand vor ihm stehen, wendet er sich zunächst an den Magier.

      „Du bist der Magier, sagst du. Erkläre mir doch, was ein Magier ist und warum du deine Fesseln nicht wegzaubern kannst – oder bist du nur ein Lügner und Betrüger?“

      „Ich habe in der vergangenen Nacht genau dies getan, bevor ich unsichtbar durch die Luft reitend mir mein Pferd und meinen Bogen aus deinem Zelt zurückgeholt habe.“

      „Und warum hast du bei dieser Gelegenheit nicht die Flucht ergriffen? Auf deinem schnellen Pferd hätten wir dich nicht sobald einholen können!“

      „Es war so dunkel, ich wusste nicht, in welche Richtung ich mich wenden sollte“, erwidert der Magier so treuherzig lächelnd, dass einige Krieger laut zu lachen beginnen.

      „Womit willst du den Brautpreis bezahlen, du besitzt doch nichts!“

      „Ich habe ein Pferd und einen Bogen, Mokk, und die Kriegsbeute – eine Anzahl von Schwertern und Pferden.“

      „Irrtum, alles gehört schon mir. Das ist das Recht der Steppe – was ich finde, das gehört mir“, erwidert Mokk höhnisch.

      „Ich habe in der vergangenen Nacht in deinem Zelt ein Pferd gefunden und einen Bogen mitsamt Köcher – du weißt ja, Mokk, was ich finde, das gehört mir.“

      „Ich würde gern von dir wissen“, mischt sich Hoggo in das Gespräch, „was du in dieser Gegend