Ralph-Peter Becker

Der Gelbe Kaiser


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      „Das Gastrecht wird dir gewährt. Bündnisse werden uns in letzter Zeit wiederholt angetragen – das braucht eine gewisse Beratungszeit. Der Häuptling entscheidet nicht allein über Bündnisfragen. Bist du zufrieden?“

      „Fast, mein lieber Hoggo. Ich möchte das Gastrecht auch für meine Freunde, in deren Begleitung ich mich befinde, angewendet wissen.“

      „Sag mir, wer und wo deine Begleiter sind, damit ich über die Ausdehnung des Gastrechts auf sie entscheiden kann.“

      „Wölfe, fünf Wölfe und ein Raubvogel. Sie werden sich ordentlich benehmen, solange sie nicht angegriffen werden.“

      „Kannst du im Gegenzug den Kopf des Kriegers wieder auf seinen Körper setzen? Ich habe längst verstanden, was dein Anliegen ist. Der Krieger wird die Dicke als Frau behalten, keinen Brautpreis fordern und sich auch nicht an der Dicken rächen, mehr liegt nicht drin.“

      „Dann sind wir uns einig, Hoggo“, stimmt der Magier zu und wendet sich dem Kopf des Kriegers zu:

      „Sag, du Grobian, konntest du in die Hölle der Dämonen sehen?“

      „Ja“, antwortet der Kopf, „ich habe die schlimmsten aller Dämonen gesehen und sie haben zu mir gesprochen …“

      „Was? Dann siehst und hörst du mehr als ich, du Glücklicher.“

      „Lass es gut sein, Magier, und beende diese Folter. Töte mich richtig oder füge meinen Kopf und Körper wieder zusammen.“

      „Willst du deinen Mann“, wendet sich der Magier an die Dicke, „in einem oder in zwei

      Stücken zurückhaben – es ist deine Entscheidung.“

      „Ich will ihn zurückhaben! In einem Stück. So kopflos nützt er mir ja nicht viel.“

      „Dann geh hin und füge zusammen, was du zuvor getrennt hast …“

      _

      Es ist ein ungewöhnliches Bild – die fünf Wölfe und der Raubvogel im Kriegslager der Darr. Und so, wie der Magier das Gastrecht genießt, so tun es auch seine wilden Gefährten, die mit soviel Fleisch, wie sie nur verschlingen können gefüttert werden. Doch weigert sich Mokk beharrlich, die Tiere an den gemeinsamen Mahlzeiten mit seinen Unteranführern und seinem Gast, dem Magier, teilnehmen zu lassen.

      Misstrauisch, aber friedlich durchstreifen die Wölfe das Lager, der Raubvogel kreist über dem Lager in der Luft. So ist der Magier stets über alles informiert, was sich im und um das Lager herum oder in der Ferne der Steppe ereignet.

      Nachdem der Magier drei Tage lang das Gastrecht im Lager der Darr genossen hat, nachdem er drei lange Tage geduldig darauf gewartet hat, sein Anliegen dem Rat der Krieger vortragen zu dürfen, ist der Zeitpunkt gekommen, die Dinge anzustoßen, die nur darauf warten, in Bewegung gesetzt zu werden.

      In den späten Abendstunden des dritten Tages, nachdem längst der schwarze Mantel des Totengotts sich über die Steppe gelegt hat, lässt der Rat der Krieger den Magier zu sich kommen.

      Einige niedrig brennende Feuer, mit spärlich vorhandenem Holz und trockenem Buschwerk nur mühsam vor dem Erlöschen bewahrt, verbreiten ein eher unwirklich erscheinendes Zwielicht um die Mitglieder des Rates herum, als Dunkelheit vertreibendes Licht. Wegen des Mangels an Holz und trockenem Buschwerks in diesem Teil der Steppe, liegt das Kriegslager der Darr wie erstarrt in Finsternis eingehüllt.

      „Magier, wir haben dich nach sorgfältiger Überlegung vor den Kriegsrat gebeten, damit du dein Anliegen vortragen kannst, über dass wir dann endgültig abstimmen werden. Ist die Entscheidung dann gefallen und verkündet, so ist sie unwiderruflich. Der Rat der Krieger will dich jetzt befragen. Sage uns als erstes, wer und was du bist!“

      „Ich bin Huang, der Magier. Anderenorts nennt man mich auch anders. Die Gor nennen mich den Bogenschützen.“

      „Es wird erzählt“, ruft einer der Krieger des Rats, „du seist ein böser Dämon – ist das Wahrheit oder nur der Phantasie entsprungen?“

      „Nur der Phantasie entsprungen – ich bin nicht böse.“

      „Es wird auch erzählt, du seist der Sohn Huang des Kriegers – wie kannst du da ein Dämon sein?“

      „Kann ich nicht zweierlei oder dreierlei zur gleichen Zeit sein? Ich bin Huang, der Magier, der Bogenschütze und der Sohn Huang des Kriegers und ich bin noch mancherlei mehr.“

      „Kannst du zaubern?“

      „Nein, ich bin Magier, nicht Zauberer.“

      „Wo ist deiner Meinung nach der Unterschied zwischen Zauberei und Magie?“

      „Ich weiß nicht, ob es Zauberer und Zauberei gibt. Der Magier nutzt nur die Kräfte der Natur, die unser aller Mutter, der Erde, innewohnen.“

      „Willst du damit sagen“, fragt Hoggo, „dass jeder Krieger Magier sein und jeder diese natürlichen Kräfte der Magie besitzen könnte?“

      „Ja.“

      „Außer dir kenne ich aber niemanden, der über magische Kräfte verfügt.“

      „Du musst die Schätze der Natur sehen und du musst sie ergreifen können. Nur darin besteht die Kunst eines Magiers.“

      „Ich sehe, dass du nicht mit leeren Händen vor uns erscheinst. Kannst du mit deinen magischen Spielereien aber auch Krieg führen?“

      „Nein. Aber ich bin in der Lage, euch zu befreien von dem Feind, der für euch unbezwingbar ist.“

      „Es gibt für die Darr keine unbezwingbaren Feinde!“, ruft Mokk hitzig dazwischen.

      „Du irrst dich, Mokk. Ihr alle irrt euch in eurem Feind, der euch bereits einkreist, ohne dass ihr es bemerkt. Ihr alle seid dem Tod sehr nah. Ihr werdet die Achtbeinigen ohne meine Hilfe nicht besiegen und wenn ihr nicht zur Einsicht kommt, dann seid ihr morgen früh alle tot.“

      „Dann erkläre mir, Magier, wie du allein die Achtbeinigen bezwingen kannst, wenn dies, wie du sagst, für die vielen Krieger der Darr schon unmöglich ist!“

      „Mit meinem Kristall, Mokk. Du hast ihn ja schon erlebt.“

      „Ich glaube dir kein Wort, Magier. Sag mir, wie dein Trick mit dem Kristall funktioniert. Und vor allem sage mir, warum du unbedingt ein Bündnis mit den Darr willst, wenn du doch alle Feinde mit deinem Kristall bezwingen kannst!“

      „Den Kristall zu benutzen ist nicht nur sehr gefährlich, er fordert für jeden Dienst auch einen hohen Preis.“

      „Dann gib ihm, was er verlangt. Sein Preis für ein Bündnis ist sicherlich nicht so hoch, wie es meiner ist. Was macht den Kristall so gefährlich, dass die Furcht davor dich erzittern lässt?“

      „Ich werde langsam ungeduldig, Mokk. Diese letzte Frage will ich dir gern noch beantworten. Danach soll der Rat der Krieger seine Entscheidung treffen. Ich werde dann nicht weiter mit euch verhandeln.“

      „So sei es, Magier. Erkläre mir die schrecklichen Gefahren, die uns durch dein kleines Spielzeug drohen.“

      „An deinem Spott, Mokk, könntest du heute Nacht noch ersticken. Aber das soll mich nicht weiter interessieren.“

      „Nun fang endlich an zu erzählen. Oder weißt du nicht, wo du mit deiner Lügengeschichte beginnen willst?“, höhnt Mokk.

      „Ich habe euch schon einmal erklärt, dass dieser kleine Kristall der Ort ist, in dem die bösesten und mächtigsten Dämonen gefangen gehalten werden. Genauer gesagt ist dieser Kristall mehr der Eingang zu den Verließen der furchtbarsten aller Höllen …“

      „Dann sind die gefangenen Dämonen kleiner als neugeborene Kinder und jedenfalls nicht schwer zu besiegen!“, höhnt der Häuptling weiter, „Und sehr