Elke Bulenda

Pariser Nächte


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weiß, ob ein Maler auch wirklich, - ich meine richtig - malen kann? Das Ding, welches wir betrachteten, erschien mir jedenfalls abgrundtief abstoßend.

      »Was ist denn das für eine Scheiße?«, entrüstete ich mich. Das Geschmiere war wirklich unter aller Kanone. Ein Kerl mit einem umgedreht-birnenförmigen Gesicht, stand auf einer Brücke und hielt sich den Kopf. Sein Mund war zu einem Schrei verzerrt. Hinter ihm loderte der Himmel in rot-orangen Tönen. Das Wasser war blau-schwarz. Wahrscheinlich hatte er ebenfalls Migräne.

      »Das ist eine Leihgabe der Nasjonalgalleriet, Oslo. Dieses Gemälde ist vom berühmten, norwegischen Maler Edvard Munch geschaffen worden und heißt: Der Schrei. Ein sehr berühmtes Bild, es ist weltbekannt«, erklärte mir der Engel.

      »Ach so! Das hat quasi ein besoffener Nordmann gemalt. Dafür ist es wiederum ganz passabel«, nickte ich anerkennend.

      Barbiel grinste und ging los, den Kaffee holen. Doch er bremste ab, blieb stehen und sah mich fragend an. »Wie trinkst du ihn?«

      »Bring etwas zum Umrühren mit. Schwarz, mit Zucker, zwei Löffel«, war meine Antwort.

      »Okay, komm Brutus!«, rief er dem Chihuahua zu. Doch Brutus blieb bei mir sitzen und lugte immer wieder zu dem verstaubten Wolf. Also musste Bärbel alleine losziehen. Als Babsie außer Hörweite war, wandte ich mich an Brutus.

      »Na? Übst du schon mal deinen Ruhestand? Du weißt, dass dies hier dein letzter Einsatz ist. Dein Nachfolger wird nicht ganz so zerbrechlich sein. Ein Boston-Terrier, aber du kannst beruhigt sein, er sieht nur halb so gut aus wie du.«

      … Was machte ich hier eigentlich? Jetzt redete ich auch schon mit diesem Köter!...

      Vorsichtig bewegte ich mich zurück zu dem Gemälde, welches vorhin so stark meine Aufmerksamkeit erregte.

      Verdammt, das ist mein Bild! Wie konnte es nur hierher gelangen?

      Ach ja ... Jetzt muss ich über 600 Jahre zurückblicken ...

      Lord Seraphim hatte mir mal wieder eine demütigende Aufgabe gegeben. Immer wieder bekam ich solche Arbeiten aufgetragen. Der Lord hoffte, mich irgendwann beim Scheitern zu ertappen, doch ich tat ihm diesen Gefallen nicht. Damals sollte ich die marode Stadtwache auf Vordermann bringen. Einigen der Gesetzeshütern wurde nachgesagt, dass sie die Hand hinhielten, um zur rechten Zeit wegzusehen. Ich räumte ordentlich auf und anschließend lief es besser als erwartet. So hatten wir gerade einen verrückten Serienmörder gefangen und das war ein Grund zum Feiern. Meine Frau Mala hatte es nie besonders gern, wenn ich einen über den Durst trank. Im Grunde bemühte ich mich, nicht zu sehr über die Stränge zu schlagen. Eigentlich habe ich kein Alkoholproblem. Ich trinke, falle hin und bleibe liegen. - Kein Problem. Nun, manchmal blieb ich auch an den verrücktesten und nicht ganz so sauberen Plätzen liegen. Nun ja. An diesem Abend war ich froh, als ich nach dem Erwachen aus meinem Alkohol geschwängertem Koma, eine streunende Katze davon abhalten konnte, mein Gesicht aufzufressen. Besudelt, vom Liegen im Rinnstein, machte ich mich auf den Weg nach Hause. Als Mala mein desolates Äußeres sah, wurde sie fuchsteufelswild. Sie trieb mich in die Badewanne und schrubbte mich so erbarmungslos, als wäre ich ein Stück Wäsche. Dabei beschimpfte sie mich aufs Heftigste. Diese rüde Behandlung ließ ich mir nicht gefallen und drohte ihr mit der Scheidung. Es gab ein Hin und Her, böse Worte wurden gewechselt und schließlich packte ich meine Siebensachen und flüchtete aus dem Haus. Danach bat ich meinen Dienstherren um meine lang verdiente und sofortige Entlassung. Mein Lord und Herr war überaus erfreut mich loswerden zu können und schickte mich in den Ruhestand. Da ich mit der Stadt und ihren Bewohnern nichts mehr zu tun haben wollte, schnappte ich mir mein großes Pferd Gustav und zog leicht erzürnt in Richtung unseres Landsitzes. Früher war es nur ein kleines Haus am Fluss, gleich in der Nähe der Vampir-Festung. Doch als unsere Familie immer mehr Mitglieder bekam, riss ich das alte, feuchte Gemäuer mit meinen Söhnen nieder und wir erbauten einen kleinen Landsitz für die Sommerfrische. Das sollte nun meine neue Bleibe werden; Mala und den beiden kleinen Töchtern, Jule und Mara, wollte ich unsere Stadtvilla überlassen.

      In meinem Marschgepäck befand sich auch dieses Gemälde.

      Es heißt "Die Seeschlacht" und der Künstler, der dieses blutige Inferno erschuf, war niemand anderes als mein Sohn Wally. Normalweise gebe ich für Kunst kein Geld aus, es sei denn, es handelt sich dabei um kostbare Möbel, Schmuck oder Orientalische Teppiche. Da dieses Bild in einer Vernissage von Wally, für einen guten Zweck zum Verkauf stand, gönnte ich mir ein wenig Sentimentalität und kaufte es. Darauf waren mutige Wikinger zu sehen, die ein Handelsschiff enterten und aus der Besatzung Hackfleisch machten. Eben ganz nach meinem Geschmack. Beim Betrachten dieses Gemäldes, überkam mich jedes mal die Lust, sofort England zu überfallen. Es gibt nur wenige Dinge im Leben, in meinem Falle Unleben, an denen ich wirklich hing. Da waren zum einen Mala und die Kinder und natürlich meine Enkel. Zum anderen ein paar Gegenstände, die mir ans Herz gewachsen waren, weil sie etwas mit meiner Vergangenheit zu tun hatten, als ich selbst noch ein menschliches Wesen war. Zum Beispiel fand ich, als ich die zerstörten Ruinen meiner Heimatsiedlung, auf der Suche nach Überresten meiner Familie durchstöberte, das Glasauge meines Vaters. Dieses behielt ich, als Andenken an ihn, damit ich ihn im Gedanken immer wieder ehren und für ihn zu Odin beten konnte. Und natürlich gehörten auch Kuriositäten zu meinen Sachen, die mir mein Freund Cedric mitgebracht hatte. Eine uralte verbeulte Münze und ein noch älterer, verbeulter Helm. Also gab es quasi nur vier materielle Dinge, die mir als Gegenstände wirklich etwas bedeuteten. Und nun musste ich dieses Bild hier sehen, das ich längst verloren glaubte.

      Nachdem ich Mala und die Kinder so entrüstet und in meiner Ehre gekränkt verlassen hatte, deponierte ich in unserem Sommerhaus meine wenigen Habseligkeiten. Zwar versuchte ich Zerstreuung von meiner mir angetanen Schmach zu finden, doch bei einem Besuch im Bordell überfiel mich die Reue. Sofort machte ich mich auf den Weg, damit ich Mala um Verzeihung bitten konnte. Denn ohne sie und die Kinder empfand ich mein Leben nur als öde und leer.

      An diesem Tag hatten die Zwillinge Geburtstag und ich empfand es als gute Idee, gerade an diesem denkwürdigen Datum meine Abbitte zu leisten. Mir gelang es sogar ungesehen in die Stadt einzudringen; nachdem ich mein Dienstsiegel abgegeben hatte, war mir der Zutritt vom Lord verboten worden. Dummerweise wusste ich nicht, was mich vor dem Haus meines Sohnes Gungnir erwartete.

      Der Lord war dafür bekannt, dass er sich immer wieder neue Mittel und Wege erdachte, um die Vampire endgültig auszurotten. Also züchteten er und seine Handlanger eine Monstrosität, wie sie vorher noch nie ein Wesen zu Gesicht bekommen hat. Diese Abnormität war eine Kreuzung aus Vampir und Dämon und hörte auf den vielsagenden Namen "Typhoon". Aber jetzt kommt´s: Seine Lordschaft hatte zu hoch gepokert und verloren, denn das Vieh dachte nicht im Traum daran, auf irgendetwas zu hören, schon gar nicht auf seinen Namen, wenn man ihn rief. Typhoon geriet außer Kontrolle und zog wild mordend durch die Stadt. Leider fühlte Typhie sich von Gungnirs Blut angezogen. Denn diese kranken Köpfe hatten ausgerechnet sein Blut zur Erschaffung dieses verabscheuungswürdigen Monsters missbraucht. Nun drückte es sich lauernd vor Gungnirs Villa herum und ich taumelte unversehens in diese dumme Situation.

      Da ich meine Lieben von diesem grauenvollen Wesen bedroht sah, ging ich sofort zum Angriff über. Dabei gingen sowohl der Springbrunnen, als auch die Grundstücksmauer zu Bruch. Dieses Unwesen spie mir seinen giftigen Speichel ins Gesicht, woraufhin ich erblindete. Aber mein Gehör ist enorm empfindlich und so war es mir möglich, dem räudigen Bastard doch noch das Fell über die Ohren zu ziehen. Diese Aktion katapultierte mich auf sofortigem Wege in Malas Herz zurück. Der Lord war allerdings weniger angetan darüber, dass ich ihm seine Geheimwaffe zu Klump gehauen hatte. Deshalb ließ er mich in der gesamten Stadt und Umgebung suchen.

      Nun, zum Glück war die Verwandtschaft von Gungnirs Frau vor Ort, um seinen Geburtstag zu feiern. Cornelius behandelte meine Augenverletzung und so schifften Cedric und ich uns aus der Stadt aus, um zur Insel Høy Øya gebracht zu werden, wo ich die Ruhe fand meine Verletzungen auszukurieren. Ich blieb auf der Insel und Mala und die Mädchen kamen später nach. Dort führten wir ein mehr oder weniger beschauliches Leben. Mein Pferd Gustav wurde vom kleinwüchsigen Benito mit dessen Kühen gemeinsam auf den Wiesen des Land-Anwesens versorgt. Und so vergaß ich völlig, dass in meinem Sommerhaus noch meine Heiligtümer deponiert waren.