Elke Bulenda

Pariser Nächte


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Bei der Geburt blieb ich mit meinem riesigen Schädel im Geburtskanal stecken und brachte meine Mutter beinahe damit um. Weiß der Teufel wie mich die Heilerin da herausbekommen hat. Aber ich ahnte wohl schon, dass diese Welt ein verdammter Haufen Scheiße ist und wollte mich anschließend mit meiner eigenen Nabelschnur strangulieren.«

      Engelchen machte ein betroffenes Gesicht.

      »Oh, das tut mir leid. Aber sei doch nicht immer so negativ.«

      »Zieh nicht so einen Flunsch, es war ja nicht deine Geburt. Jedenfalls war meine Mutter eine zierliche Person und mein Vater ein wahrer Koloss, da konnte man sich schon ausrechnen, dass die Entbindung nicht so leicht werden würde. Und später, als ich schon etwas größer war, erzählte mir mein Vater, er habe zu Odin gebetet und diesem für meine geglückte Geburt sein Auge gegeben. Mann! Ich hatte jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn ich meinen einäugigen Vater sah. Als ich dann auf See war, kamen wir in eine Stadt, in der die Kunst der Glasbläserei in Blüte stand. Dort besorgte ich für meinen Erzeuger ein Glasauge. Leider war er nicht vor Ort und so mussten wir es Pi mal Daumen anfertigen lassen.«

      Der Engel an meiner Seite nickte verständnisvoll und signalisierte mir weiterzuerzählen.

      »Stolz präsentierte ich meinem Vater das Glasauge und er setzte es sich ein. Kein schöner Anblick, kann ich dir sagen. Leider war das Ding wohl etwas zu klein für seinen Schädel. So kam es öfter vor, dass ihm dieses vermaledeite Glasauge aus dem Gesicht fiel. Was bei uns sofort eine Panikattacke auslöste und alle Nordmänner unter den Tisch zwang, um es wieder einzufangen.«

      Leicht verunsichert blickte Barbiel zu mir herüber. »Und deshalb willst du keinen Geburtstag feiern?«

      Kopfschütteln meinerseits. »Nein, aber ich dachte, das wäre eine schöne Geschichte. Obacht! Das dicke Ende kommt noch. Später erfuhr ich ganz beiläufig, dass ich nicht der Grund für das verlorene Auge meines Vaters war. Es wurde ihm schon vorher bei einem Kampf ausgeschlagen.«

      »Oh!«, meinte der Engel.

      »Ja, oh!«, brummte ich.

      »Und deshalb willst du keinen Geburtstag feiern?«, bohrte er weiter.

      »Nein, aber versuch du mal 1211 Kerzen auf eine Torte zu bekommen ...«

      Leicht dümmlich kratzte er sich am Kopf. »Du hast recht, das könnte ein echtes Problem werden.«

      Wir stiegen aus und betrachteten den Louvre.

      »Wusstest du, dass der Name Louvre vom lateinischen Luperia abgeleitet ist? Das bedeutet so viel wie Wolfsbau«, bemerkte der Flattermann.

      »Ist mir egal! Wenn ich einen Wolf sehe, schlage ich ihn tot. Mir geht diese Schmiererei und das ganze elendige Gesocks am Arsch vorbei!«, blaffte ich.

      »War für mich klar, dass du keinen Picasso von deinem Hintern unterscheiden kannst«, grinste er.

      »Doch, mein Hintern ist symmetrisch, du Horst!«, grunzte ich.

      »Hör auf zu meckern und tritt nicht in die Pyramide.«

      Da wir einen Parkausweis besaßen, der uns als Interpol-Agenten kennzeichnete, parkte ich mitten im Hof. Man muss schließlich nicht weiter laufen als nötig. Da der Trakt in dem sich der Tatort befand für das Publikum gesperrt war, liefen viele Touristen leicht verunsichert zum gelben Absperrband, guckten blöde und machten wieder kehrt.

      Ein kleiner Junge, schätzungsweise zehn Jahre alt, rempelte Barbiel und Brutus an, murmelte ein »Pardon, Monsieur«, und entfernte sich raschen Schrittes.

      »Was für ein netter, kleiner Junge« meinte Engelchen. »Hey, Ragnor, wo willst du hin?«, fragte mein Kollege leicht irritiert. Derweil folgte ich dem Burschen, der, nachdem er sich umsah, in einen zügigen Laufschritt verfiel.

      »Bleib stehen, du Borscht!« setzte ich ihm nach.

      Vampire sind ziemlich schnell und bald darauf hatte ich das kleine Würstchen am Kragen gepackt und wollte es kräftig schütteln. Da ich Kinder wirklich mag, ersparte ich ihm dieses Schicksal. Edgar Allan Poe schrieb einmal: Kinder sind wie Schnitzel. Je mehr man sie klopft, desto zarter werden sie. Also Hände weg von Kindern, klar? Sie sollen schließlich keine Weicheier werden! Sie könnten so einen Hass auf denjenigen entwickeln, der sie misshandelt hat, dass sie eines Tages zurückschlagen. Kinder bleiben nicht für immer klein. Denkt daran!

      »Was wollen Sie von mir?«, fragte er entsetzt.

      »Die Börsennachrichten!«

      »Hey, Monsieur, kaufen Sie sich eine Zeitung, ich kenne die Börsennachrichten nicht!«, beharrte er.

      »Doch! Ich will Nachricht darüber, wo die Börse meines Kollegen geblieben ist. Entweder du rückst sie freiwillig raus, oder ich schüttle dich über Kopf aus. Und wer weiß, was da noch alles zum Vorschein kommt!«, berichtigte ich ihn.

      Leicht deprimiert händigte er mir die Brieftasche aus.

      »Na, warum nicht gleich so? Und jetzt mach einen Abgang, bevor ich dich zu den Uniformierten bringe!«

      Das ließ sich der kleine Langfinger nicht zweimal sagen und suchte das Weite. Als ich dem unwissenden Engel die Börse zurückbrachte, machte er ein erstauntes Gesicht.

      »Na, so was! Dabei machte der Kleine einen wirklich netten Eindruck.«

      »Ja, ja. Du und deine Eindrücke. Er ist jetzt schon ein verkommener Lumpenkerl! So klein, aber hat es faustdick hinter den Ohren. Man sollte meinen, die Diebe hätten inzwischen ein paar andere Maschen drauf«, brummte ich wissend. Mit einem Blick auf seine Uhr von Patek Philippe (er steht auf so einen Scheiß!), meinte er: »Wir sollten zum Kurator, wir sind schon viel zu spät dran.«

      Da ich wusste, dass Barbiel wusste, wo es lang ging, schleppelte ich ihm einfach hinterher. Den Kuratoren, Monsieur Antoine Dupin, konnte ich schon von Weitem ausmachen. Er zeichnete sich durch seine Nervosität aus, die ihn wie einen Hamster im Rad rotieren ließ. Die Begrüßung gestaltete sich etwas seltsam, als sich Barbiel fast einen radebrechenden Wortschwall ab rang. Der Kerl hat wirklich arge Probleme mit seinem Vokabular. Also übernahm ich das Gespräch, als ich sah, dass dem Engel die Schweißperlen auf die Stirn traten. Der Kurator schien überhaupt nicht überrascht zu sein, einen Riesen mit dunkelroten, bis über die Schulter langen Dreadlocks vor sich stehen zu sehen, und dessen Partner, mit einen kleinen Hund auf dem Arm.

      »Monsieur Dupin, meinen Kollege Special Agent Marx wollte sagen, dass er sehr erfreut ist, Sie kennenzulernen; mein Name ist Special Agent McClane. Zuerst eine Frage. Warum sind hier noch jede Menge Polizisten vor Ort? Ich dachte, die Sache wäre klar und wir übernehmen den Fall.«

      Herr Dupin ... Ja, ich bin zu faul, ständig "Monsieur " zu sagen. Denn eigentlich wissen wir, um wen es sich dabei handelt, oder?...

      Also, Dupin wischte sich nervös mit einem Taschentuch über die Stirn und startete seine Konversation, indem er dazu Hand und Fuß gebrauchte. Verdammt, wieso müssen die Franzmänner beim Reden immer so herum hampeln?

      »Mir ist auch völlig unklar, wieso sich hier noch diese Menge an Polizisten aufhält. Dabei hatte man mir hundertprozentige Diskretion zugesagt. Ebenfalls wurde mir zugesichert, dass der Museumsbetrieb reibungslos laufen würde. Und nun das! Es wird ein sehr schlechtes Licht auf unser Museum werfen! Meine Herren, gehen wir hinein.«

      Es gelang mir kaum, diesen nervösen Kerl im Auge zu behalten. Junge, Junge, was hat der genommen? Pure Energie?

      »Monsieur Dupin, geben wir den lokalen Polizisten noch etwas Zeit, den Unfallort zu räumen. Sie könnten uns währenddessen ein wenig die Örtlichkeiten zeigen und uns erzählen, was Sie beobachtet haben.«

      Meinem Tucken-Engel warf ich ein paar giftige Blicke zu. Mit ihm würde ich später noch das ein oder andere Wörtchen zu reden haben.

      Der Kurator führte uns durch die verschiedenen Räume des Louvre. Bei Odin! Hätte ich geahnt, dass es in so eine Latscherei ausarten würde, hätte ich Jogging-Schuhe mitgebracht. Zum Glück war das Museum für das Publikum noch nicht geöffnet. So hatten wir die Möglichkeit einen