Elke Bulenda

Pariser Nächte


Скачать книгу

Rozier, was gibt es Neues?«, fragte Bruno, der es eigentlich gar nicht hören wollte. Wenn die Alte erst einmal gefragt wurde, betrachtete sie es als Freibrief für ihre Gebrechens-Sammlung, die sie ihm ungeschönt aufzählen würde. Doch diesmal war es anders.

      »Wenn Pierre nicht sämtliche Busverbindungen in die Stadt kennen und seine Finger bei sich behalten würde, gäbe es nichts zu klagen, außer meiner Arthrose im Knie, die ist heute besonders schlimm.«

      »Was?«, fragte Bruno entsetzt.

      »Wenn Sie mit ihm im Wohnmobil fahren würden, würde er nicht immer schwarz mit dem Bus fahren! Wann fahren Sie endlich mit dem Wohnmobil in den Urlaub?«, brachte Madame Rozier zur Sprache.

      »Wenn ich in der Lotterie gewonnen habe! Ich muss meinen Sohn etwas zu essen geben, ihm ein Dach über dem Kopf bieten und seine Hausdame bezahlen«, gab Bruno lahmer, als beabsichtigt, von sich.

      »Wissen Sie was? Ich habe gehört, man wird eher von einem Blitz getroffen, als in der Lotterie gewinnen. Mir wäre es aber nicht recht, dass Sie vom Blitz getroffen werden, ich hätte es lieber, Sie würden vorher fahren! Außerdem würde ich selbst gern mal wieder Urlaub machen. Wissen Sie, was er gestern wieder angestellt hat?«

      »Bitte Madame Rozier, bringen Sie es mir schonend bei«, seufzte Bruno.

      Die ältere Dame setzte sich laut ächzend auf den Stuhl, erwähnte nochmals ihr Knie und legte los:

      »Schonend, ja? Er war wieder in der Innenstadt und hat lange Finger gemacht. Sich diesmal einen MP3-Player unter den Nagel gerissen. Als ich fragte, woher er ihn hat, meinte er, der wäre ein Geschenk«, berichtete die alte Dame. Bruno bedeckte seine Augen und schüttelte verzweifelt den Kopf. »Bitte, wer schenkt ihm - so mir nichts, dir nichts - einen MP3-Player? Warum tut er das nur? Ich bin Polizist und er ein Dieb? Dabei haben wir erst gestern über Diebstahl gesprochen. Noch ist er nicht alt genug, doch eines Tages wird er dafür ins Gefängnis kommen! Wo bleibt er eigentlich?«

      Plötzlich ereilte ihn ein seltsames Gefühl, beinahe so etwas wie eine Panikattacke. Er rannte in Pierres Zimmer, diesmal ohne anzuklopfen. Das Bett war leer. Der Vogel ausgeflogen. Doch nicht dem Bett entrissen, sondern entflohen. Auf Pierres Kopfkissen grinste ein Blatt Papier mit einem Smilie. Das Fenster war nur angelehnt. Verdammt!, dachte Bruno, wenn das so weiter geht, wird mir die Erziehungsberechtigung entzogen!

      »Madame Rozier? Er ist schon wieder getürmt! Ich sage meinen Kollegen Bescheid. Wenn sie ihn sehen, bringen sie Pierre nach Hause. Bitte passen Sie gut auf den Ausbrecherkönig auf, wenn er wieder hier ist, ja?«

      »Als würde ich es nicht schon tun! Soll ich Ihr Jackett aufbügeln, es sieht aus, als hätten Sie darin geschlafen!«, beschwerte sich die Dame. Gerne hätte Commissaire Bruno weiter dieses Thema behandelt, genauso gern, wie er über die Behandlung seiner Jacke erfreut gewesen wäre, doch er musste zur Arbeit. Diesmal verzichtete er auf einen weiteren Kommentar und machte sich auf den Weg zum Louvre.

      Als er aus seinem 57er Citroen DS ausstieg, wartete schon sein Kollege Commissaire Vincent Legrand auf ihn. Dieser trug seinen Nachnamen nicht von ungefähr, denn er war wirklich sehr groß. Mindestens einen Meter neunzig. Seine mandelförmigen Augen gaben ihm ein leicht exotisches Aussehen. Seine Kollegen neckten ihn damit, dass er dem Martial-Arts-Actor Mark Dacascos ähnlich sähe. Gut, er trainierte Selbstverteidigung und war in der Polizeihandballmannschaft; nur war er kein Crying Freeman, sondern ein frischgebackener Commissaire de Police aus Marseille. Seit dem schrecklichen Ereignis begleitete Legrand ihn als Anstands-Wauwau und Stittenwächter. Ohne ihn ging es nicht, weil die Dienstaufsicht der Meinung war, er, Commissaire Bruno, sei noch nicht so weit und bräuchte dringend jemanden, der ihn voll und ganz unterstützte. Und sein Chef? Dummerweise war er damals sein Partner. Doch als die schlimme Sache passierte, wurde Bruno beinahe für geisteskrank erklärt, mit der Beförderung übergangen und musste sich jetzt von seinem Ex-Partner sagen lassen, dass er im Fall von Josephine nicht ermitteln durfte. Leider, wie sein Chef, Lucas Perrier, bedauerte. Das brachte Bruno aber nicht davon ab, insgeheim seine eigenen, kleinen und äußerst privaten Untersuchungen zu leiten. Bisher allerdings mit wenig Erfolg.

      Vincent Legrand trug seine ihm zugeteilte Aufgabe dagegen mit stoischer Ruhe. Er hatte sich freiwillig gemeldet, als es darum ging für Bruno einen neuen Partner zu finden. Doch Vincent meldete sich nicht nur, weil ihn das Schicksal von Etienne Bruno berührte, sondern auch aus persönlichen Gründen. Ihn interessierte der ganze Fall, ebenso die Tatsache, die sein Chef so peinlich unter den Teppich zu kehren versuchte.

      Bruno nickte dem Dunkelhaarigen zu und schenkte dem Koleos, der so mutwillig an der Pyramide parkte, einen finsteren Blick. Interpol! Diese aufgeblasenen Wichtigtuer! Mit ihnen hatte er noch ein Hühnchen zu rupfen. Nie wird er die spöttischen Blicke und das verständnisvolle Nicken vergessen. Dabei wollte er mit den Agenten über diese Vampir-Sache sprechen und drängen, dass dieses Problem von internationaler Bedeutung wäre; da sich die Vampire unbemerkt über alle Kontinente bewegen und für die gesamte Menschheit zu einer Bedrohung auswachsen könnten. Fazit, er musste zum Psychologischen Dienst und nachdem er gepeilt hatte, dass ihn jeder für verrückt halten könnte, dann schließlich doch klein beigeben und bestätigt, dass es wohl an einem abnormen Schockerlebnis gelegen habe, das seinen Sinnen einen Streich gespielt habe.

      »Bist du nicht in der Zentrale gewesen? Perrier tobt wegen des Zeitungsartikels. Du weißt also gar nicht, dass es jetzt nicht mehr unser Fall ist? Du siehst doch, die Sache geht an die Interpol. Etienne, ich halte zu dir, aber du bringst uns mit deiner Sturheit um Kopf und Kragen«, meinte Vincent Legrand, der seinen verfrüht ergrauten und etwas unordentlich gekleideten Kollegen wirklich schätzte.

      »Das soll mir Lucas selbst sagen.« Bruno hielt einen Gendarme an. »Lassen Sie den Falschparker da abschleppen!«

      »Aber Commissaire, er hat einen Parkausweis, der ihn als Interpol-Wagen kennzeichnet!«, erwiderte der Uniformierte.

      »Egal, ihr sagt alle, ich solle wieder etwas Spaß haben. Das ist Spaß, so ein kleiner Joke unter Kollegen!«

      Zuerst warf der Gendarme einen Blick auf Vincent, der darauf nur mit den Schultern zuckte. Nun würde die Entscheidung an ihm selbst hängen bleiben.

      »Geht in Ordnung, Monsieur Commissaire«, meinte der Polizist und machte sich schneller als gewöhnlich aus dem Staub.

      »Warum dieser Aufstand? Der Fall ist nicht mehr unserer«, bemerkte Vincent.

      »Das sagst du, aber daran ist etwas faul. Das habe ich im Urin.«

      Nachdenklich rieb er sich die Narben, die seit gestern so unglaublich unangenehm juckten. Das betrachtete Bruno als ein untrügliches Zeichen, dass er einer heißen Spur folgen musste. Dies war garantiert kein Unfall gewesen, dass die alte Dame in den Tod gestürzt war. Auch wenn der Augenzeuge ziemlich unglaubwürdig war, glaubte er, ach was, wusste er, dass sie beabsichtigt zu Tode kam.

      Sie betraten den Louvre, besahen sich noch einmal den Tatort und diskutierten, was es mit der Zeugenaussage auf sich hatte. Dann bemerkten sie Schritte und trafen auf die Interpol-Agenten. »Nun guck dir mal diese entzückenden Burschen an! Sag mal, haben wir schon Fasching?«, fragte Commissaire Bruno seinen Partner. Doch Vincent blieb seltsam still und schlug die Augen nieder. »Nicht so laut, sonst bekommen wir noch Probleme.«

      »Lass mich das in die Hand nehmen und halt die Füße still!« Bruno kam auf die beiden zu, hob die Hand mit der Marke. Auch Vincent zeigte seinen Ausweis. Doch Bruno war wie ein Terrier. Wenn er sich erst einmal in etwas verbiss, blieb er dran, provozierte und zerrte.

      »Moment, die Herren, was suchen Sie hier? Bitte verlassen Sie den Tatort, bevor Sie ihn verunreinigen und Spuren vernichten!«

      ***

      Obwohl mein Handy endlich Ruhe gab, war meine Stimmung nicht gerade auf ihrem Höhepunkt. Dieses bescheuerte Museum nervte mich jetzt schon. Im Grunde genommen kann ich es einfach nicht fassen, dass Leute einen Haufen Geld bezahlen, nur um sich diesen bescheuerten, alten Schrott anzusehen. Und das Schlimmste an der Sache ist eigentlich, dass das Geld auch nicht mehr das ist, was es einmal war. Nun will ich nicht unbedingt behaupten, früher sei alles besser gewesen, aber es gab wenigstens