Robert Klotz

Sünder


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In seiner Panik warf der Bub einen letzten Blick zurück, aber als der Mann aus dem Licht des Büros trat, verwandelten sich seine Rufe in Schreie.

      Johann hörte nicht auf zu rennen, bis er sicher daheim angekommen war.

      Kapitel 2

      „37 Fälle sind uns alleine aus Deutschland gemeldet worden.“

      Der junge Mann stand in der Mitte eines geräumigen Büros und blickte starr auf seine Füße hinab, um nicht Blickkontakt mit seinem Vorgesetzten halten zu müssen.

      „Gibt es auch eine Liste von den Opfern?“, fragte ihn der ältere, ein wenig rundliche Herr, der gerade hinter seinem Schreibtisch saß und seinen Kopf schüttelte.

      „Ja. Habe ich Ihnen bereits per E-Mail geschickt“, erwiderte der Jüngere.

      Der Mitte 60-Jährige schaltete seinen Computer ein und murmelte etwas vor sich hin.

      „Ich habe mir auch bereits die Arbeit gemacht, die Todeszeitpunkte in einer Tabelle zusammenzufassen.“

      Der ältere Herr schaute wieder von seinem Bildschirm auf.

      „Nette Idee, jetzt lass mich aber die Liste einmal in Ruhe durchgehen. Komm in einer Stunde wieder vorbei, vielleicht fällt mir etwas ein. Und, Markus, kein Wort davon verlässt dieses Büro, verstanden?“

      Der junge Mann nickte nur und verschwand dann durch die Türe. „Als ob nicht schon jeder von den Vorfällen gehört hätte “, dachte er sich im Stillen.

      Die katholische Kirche wurde angegriffen. 37 Fälle in Deutschland, knapp 120 in ganz Europa in den letzten Nächten. Zuerst war man noch von einer Gruppe an Terroristen ausgegangen, was aber mit jedem neuen Angriff unwahrscheinlicher schien.

      Markus, der vor drei Jahren hierhergekommen war, war einer der zahlreichen unbedeutenden Personen, die im Vatikan außerhalb des Rampenlichts arbeiteten. Als persönlicher Assistent wurde man nur selten von den wichtigen Personen der Kurie wahrgenommen. Eigentlich nur dann, wenn wieder ein Sündenbock für etwas gebraucht wurde.

      Und in den letzten Wochen war einiges schiefgelaufen.

      Der erste Vorfall hatte sich in Südamerika ereignet.

      Ein Pfarrer war tot in seinem Haus aufgefunden worden. Jemand oder Etwas hatte ihn aus seinem Bett gezerrt und geradezu in Stücke gerissen. Die Polizei hatte natürlich sofort mit einer Großfahndung begonnen, bis heute konnte aber noch kein Schuldiger gefunden werden.

      Als dann die nächsten Vorfälle stattfanden, kam prompt der Befehl von ganz oben:

      Verschwiegenheit um jeden Preis. Keine Konversationen mit Außenstehenden, worin auch die Polizei des jeweiligen Landes eingeschlossen war, durften über die Vorkommnisse stattfinden. Als Strafe drohte die Exkommunikation.

      Markus schritt die alten Steinstiegen hinunter und überlegte gerade, was er mit seiner freien Stunde anfangen sollte, als zwei Gestalten an ihm vorbeihuschten.

      Er erkannte sie als zwei der höherrangigen Mitglieder des Verwaltungsapparats. Normalerweise würde man sie nie in der Nähe der Bürogebäude finden, aber die Situation schien den ganzen Staat in eine Art Panik versetzt zu haben. Er überlegte sich kurz, ob er ihnen folgen sollte, entschied sich dann aber zum Wohle seiner Karriere dagegen.

      Stattdessen machte er sich auf den Weg zu den Unterkünften für Assistenten.

      Die kargen Wände sollten wohl zum Beten und der inneren Reflexion anregen, aber irgendwie hatte er schon vor Jahren die Lust daran verloren.

      Wenn Gott ihn wirklich hören konnte, dann würde er ihm auch so zuhören.

      Er streckte sich auf seinem Bett aus, stellte seinen Wecker auf 30 Minuten und döste weg.

      Der Traum war lebendiger als sonst. Er sah einen alten Mann vor sich am Boden knien und ihn anflehen. Die Worte, die er von sich gab, ergaben keinerlei Sinn für ihn.

      Es zählte in diesem Moment nur der blanke Hass, den er verspürte. Neben ihm standen noch weitere Figuren, die keinerlei Emotion zeigten, aber Feuer loderte in ihren Augen. Sie alle streckten ihre Finger nach dem alten Mann aus, als ob sie versuchen würden, die Luft zwischen ihnen zu zerreißen.

      Die Luft um Markus begann zu vibrieren.

      „Schuldig!“, stimmte eine der Stimmen den Tenor an.

      „Schänder!“, folgte die Nächste.

      „Mörder!“, das Wort schien den Bann zu brechen und die Figuren stürzten sich auf den Wehrlosen.

      Das schrille Läuten des Weckers riss ihn aus dem Schlaf und er musste sich zusammenreißen, um sich nicht direkt auf den Boden zu übergeben.

      Ohne weitere Zeit zu verschwenden lief er, so schnell, wie er nur konnte, zu seinem Waschbecken und hielt seinen Kopf unter den aufgedrehten Wasserhahn. Er konnte Blut in seinem Mund schmecken und mit seiner Zunge eine aufgebissene Stelle an der Innenseite seiner Wange spüren.

      Überhaupt erschreckte ihn der Anblick, der sich ihm im Spiegel bot. Er wirkte bleich, verängstigt und mindestens 10 Jahre älter als noch vor einer Stunde. Seine blaugrauen Augen waren mit roten Äderchen verziert und seine Lippen schienen dünn und bläulich, wie von einer Totenmaske.

      Zumindest hatten seine Haare nichts von ihrer roten Farbe verloren, dachte er. Als er auf die Uhr blickte, traf ihn der nächste Schock, er hatte nur noch 15 Minuten, um wieder im Büro seines Vorgesetzten zu sein.

      Ein paar Spritzer Wasser und einen wohl ausgesuchten Fluch später rannte er los.

      Kapitel 3

      „So, Markus. Du gesellst dich wohl auch wieder zu uns?“

      Der Mann mit den graumelierten Haaren hinter dem Schreibtisch würdigte ihn nicht einmal eines Blickes. Ein kleiner Berg von Akten lag auf dem hölzernen Tisch bereit, verpackt in unauffällig beigen Umschlägen, versehen mit schwarzen, aufgedruckten, Nummern.

      „Ja … Ähm … tut mir leid, Herr Kardinal.“

      „Schau, dass das nicht mehr vorkommt.

      Nun, zu der Liste die du mir geschickt hast. 24 der 37 Opfer sind Leute die … Sagen wir es einmal so: Probleme mit jüngeren Gläubigen hatten …“ Er blickte von seinem Bildschirm auf und starrte seinen Assistenten durchdringend an.

      Markus verstand den Ausdruck im Gesicht des älteren Mannes sofort. Das Wort „Pädophil“ oder „Kinderschänder“ durfte hier in diesen Gemäuern nicht ausgesprochen werden.

      „Wie schaut es mit den anderen 13 Opfern aus?“, fragt der Assistent.

      „Unauffällig. Bei uns in den Archiven wurde zumindest kein Vermerk hinterlegt.

      Deswegen wirst du eine kleine Reise nach Deutschland machen. Fang beim Ersten auf der Liste an und schau nach, ob du etwas über weitere etwaige Probleme rausfinden kannst.“

      Der Assistent nickte. Nach seinem letzten Albtraum war ihm jede Ausrede recht, den Vatikan für eine Zeit zu verlassen.

      „Und noch etwas, Markus. Das Stillschweigen muss weiterhin eingehalten werden. Wir wollen nicht, dass sich Außenstehende in unsere Angelegenheiten einmischen.“

      Erneut nickte er und sprach: „Wann soll ich losfahren?“

      „So schnell wie möglich. Und vergiss nicht, die Akten mitzunehmen. So gibt man jemandem übrigens ein Dokument, auf Papier!“

      Markus packte sich den