Robert Klotz

Sünder


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Das einzige Anzeichen, dass er nicht alleine hier drinnen war, waren gedrückte Stimmen, die aus dem hinteren Teil der Kirche zu kommen schienen.

      Der weite Raum ließ die leisen Stimmen irgendwie gespenstisch wirken und das schwache Licht trug den Rest zu dieser unheimlichen Atmosphäre bei. Markus strich über das alte Holz der Kirchenbänke und bekreuzigte sich, als er sich dem Altar näherte bevor er sich der kleinen Türe im hinteren Teil des Kirchenschiffs näherte. Einen Moment lang blieb er stehen und lauschte am vergleichsweise neuen Holz, bevor er höflich anklopfte und eintrat.

      Drei Augenpaare waren sofort auf ihn gerichtet, zwei Männer und eine Frau standen in dem Gang und starrten ihn an. Alle drei waren in weiß gekleidet und waren vorher in eine hitzige Diskussion verwickelt gewesen. Die Frau im speziellen schien ihn äußerst kritisch zu begutachten.

      Der rothaarige Neuankömmling setzte sein gewinnendstes Lächeln auf und sagte:

      „Ich bin in offizieller Funktion vom Vatikan hierher geschickt worden. Wenn sie meine Papiere sehen wollen, kann ich sie ihnen gerne zeigen.“

      Die zwei Männer drehten sich um und beschäftigten sich wieder mit einem roten Fleck an der Wand, während die Frau auf ihn zukam. Sie baute sich mit überkreuzten Armen zu ihren vollen 1.65 Metern vor ihm auf und sagte, mit einem leicht nördlichen Akzent:

      „Einer von Ihren Männern war heute Früh schon hier und hätte uns fast den Tatort zerstört.“

      „Das tut mir aufrichtig Leid, wenn sie mir seinen Namen nennen, werde ich persönlich dafür Sorge tragen, dass er angemessen diszipliniert wird. Mein Name ist übrigens Markus, wer sind Sie?“

      „Die arme Sau, die seit viertel vor acht Uhr hier ist um alle Spuren zu sichern.“

      „Können Sie mir irgendetwas erzählen?“

      „Nein.“

      „Schauen Sie, ich wäre nicht hier, wenn die Angelegenheit nicht so dringlich wäre“, versuchte er es auf die beschwichtigende Art.

      „Wenn Sie vom Vatikan hierher beordert wurden, wie kann es dann sein, dass sie nach nicht einmal drei Stunden schon in der Kirche stehen?“, kam die Frage, die Markus gerade wirklich nicht hören wollte.

      Er musste einen kurzen Moment überlegen, entschied sich dann aber doch für die Wahrheit:

      „In Deutschland alleine war dies der 38. solche Fall, der in den letzten Tagen vorgekommen ist.“

      Zum ersten Mal zeigte die junge Frau eine Reaktion. Ihre Augen weiteten sich bevor sie sich einen Schritt zurückzog.

      „Ist das ihr Ernst? Warum gibt’s dann noch keinen offiziellen Aufschrei in den Nachrichten?“

      „Die Kirche hat Mittel und Wege, solche Nachrichten von den Zeitungen fernzuhalten … Lassen sie mich raten: der Priester wurde brutal zu Tode geprügelt und irgendwelche Teile von ihm fehlen.“

      „Ja, damit liegen Sie schon richtig. Ich bin zwar nicht für die Obduktion zuständig, konnte den Leichnam aber ansehen. Wer auch immer das war, muss einen riesen Hass auf euch Geistliche haben. Ein Auge hat gefehlt, die Zunge hat man ihm herausgerissen und es schaut so aus, als ob der alte Mann wie eine Puppe durch die Gegend geschleudert wurde.“

      „Habe Sie irgendwelche Fotos, die Sie mir schicken könnten?“, fragte er nach, aber diesmal schüttelte sie, zu seiner Erleichterung, den Kopf.

      „Das würde nun wirklich zu weit gehen.“

      „Ist schon in Ordnung. Glauben Sie mir, ich bin nicht gerade darauf erpicht, sowas zu sehen. Jetzt habe ich nur noch eine kurze Frage bezüglich des Priesters, der vor mir schon hier war: Was genau hat sich da zugetragen? Hat er Ihnen seinen Namen gegeben?“

      „Nein. Der alte Kauz ist wie aus heiterem Himmel hier aufgetaucht und hat versucht der Leiche die Augenlieder zu schließen, als ich ihn sah. Zwei Polizisten haben ihn dann hinausgetragen, mehr weiß ich leider auch nicht. Den Namen habe ich nie erfahren, nur, dass er ein Freund des Verstorbenen war.

      Wenn sie mich fragen, sitzt er wahrscheinlich bereits in einer Anstalt, aber sie können gerne den verantwortlichen Polizisten fragen, sein Name ist Mike … ähm … Michael Dorn.“

      Markus notierte sich den Namen sorgfältig auf einem frischen Blockzettel und wollte sich umdrehen, um zu gehen, als die Frau ihn zurückhielt.

      „Ich habe Ihnen bereits viel mehr gesagt als ich es eigentlich tun sollte, also will ich ihr Ehrenwort, dass sie sich um das Kümmern werden, was ich Ihnen als Nächstes zeige:

      Der Mann den Sie suchen hat ein Foto von einer alten Polaroid Kamera verloren, als er zurücktaumelte. Ich hab es eingesteckt ohne genauer hinzuschauen und wollte es eigentlich der Polizei weitergeben, aber ich hoffe, dass es bei Ihnen besser aufgehoben ist“, dabei steckte sie ihre Hand in ihre Tasche und hob ein Bild hoch.

      Zwei Männer standen vor einer Pritsche und grinsten in die Kamera. Der linke hatte eine grüne, große Flasche in der Hand, die zweifelsfrei als Whiskey zu identifizieren war. Der Andere rauchte eine Zigarette und schien die beste Zeit seines Lebens zu haben. Im ersten Moment konnte Markus nichts Verwerfliches daran erkennen, Alkohol und Zigaretten waren in der katholischen Kirche keine Sünde. Dann aber fiel sein Blick auf den Teil des Fotos, der zwischen den beiden grinsenden Männern lag. Auf der Pritsche lag ein Kind, ein Mädchen, vom Aussehen her nicht älter als 8 oder 9 Jahre alt. Sie war vollkommen nackt und starrte ins Leere.

      Markus zog seine Hand zurück und sprach in einem leisen Tonfall:

      „Ich bin zur Verschwiegenheit in solchen Fällen verpflichtet, also müsste ich es an meinen Vorgesetzten weitergeben, wenn ich es bekomme. Stecken Sie es wieder ein und geben Sie das Foto einem Polizisten.“

      Mit geballten Fäusten drehte er sich um und ging aus der Kirche hinaus.

      „Vielleicht“, dachte er sich, „gab es wirklich Menschen, die diese Art von Tod verdienten.“

      Was auch immer der Fall war, sein nächster Weg würde ihn direkt zur Polizeistation im Dorf führen. Hoffentlich konnte ihm dieser Michael Dorn mehr erzählen.

      Kapitel 7

      David erwachte in seinem Bett liegend. Er starrte einen Moment lang zur Decke hoch, euphorisch, dass alles nur ein Traum gewesen war. Das Einzige was ihm im Moment wichtig erschien, war mit Markus zu sprechen, ihm zu sagen wie wichtig er für ihn war und dass er sich keine Sorgen um ihn machen musste.

      In seinem Traum hatte er ihn gesehen, er war ihm direkt gegenüber gesessen und doch so weit entfernt. Irgendetwas hatte er aber wieder vergessen. Sein Plan vielleicht ein Tagebuch anzufangen, nur um seine Träume aufzuschreiben, schien jetzt besser als je zuvor.

      Noch während er so auf seinem Bett lag, wühlte er in der Tasche seiner Jeans herum, konnte sein Handy aber nicht finden.

      „Komisch“, dachte er sich, „Vielleicht ist es mir rausgefallen als ich …“

      Er war mit Monsignore Fermi gerade in einer Besprechung gewesen, als ihm schwindlig geworden war. Das war das letzte, an was er sich noch genau erinnern konnte. Danach war alles schwarz, bis auf den Traum.

      Monsignore Fermi. Er hatte ihn wahrscheinlich auf sein Zimmer bringen lassen. David musste unbedingt zu ihm, um sein Handy abholen. Er musste Markus etwas sagen.

      Das war, was er vergessen hatte, die Nachricht.

      Er versuchte sich zu erinnern, aber die Worte wollten und wollten nicht mehr zu ihm zurückkommen. Erneut verfluchte er sein Gedächtnis und schloss die Augen wieder.

      Normalerweise half es ihm, sich die Person vorzustellen, und wie sie ausgesehen hatte, als sie mit ihm sprach. Diesmal sah er aber nur Markus, wie vor Angst gelähmt vor ihm saß und alles was er hörte, waren hunderte von Stimmen, die ihm unzusammenhängende