Robert Klotz

Sünder


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13

      Die Fahrt in die Stadt verlief ereignislos. Dennoch konnte Sebastian Brahm das Gefühl nicht abschütteln, nicht alleine in seinem Auto zu sein. Trotz dauernder Blicke in den Rückspiegel sah er nicht ein einziges Mal das Antlitz des Geistes, der ihn in der Kirche heimgesucht hatte, er fühlte aber die leblosen Augen aus jedem an ihm vorbeiziehenden Schatten auf sich ruhen.

      Seine Nerven schienen bis zum Zerreißen angespannt, als er das Auto auf einem kleinen Parkplatz vor einem Häuserblock abstellte und den Schlüssel zog. Die Sonne schien auf seine Umgebung herunter, aber der gepeinigte Pfarrer konnte sich dem Anschein nicht erwehren, dass sie vieles von ihrer Strahlkraft verloren hatte. Die Schatten außerhalb waren dunkler, als sie sein sollten, die Heiterkeit der Menschen wirkte aufgesetzt, vorgespielt.

      Er zog die Luft nochmals zwischen seinen Zähnen ein, öffnete die Fahrertür und machte sich daran, auszusteigen. Ein kaum spürbarer Druck an seinem linken Knöchel ließ ihn jedoch innehalten. Seine Füße standen bereits auf dem Schotter vor der Wagentüre, aber etwas schien ihn aus dem Schatten unterhalb des Autos gepackt zu haben.

      Er unterdrückte einen Schrei gerade noch und spähte auf seine Schuhe hinab.

      Da war keine mit Klauen besetzte Hand, kein totes Fleisch, in Fetzen von einem Knochen hängend, sondern einfach nur seine Schuhe, Socken und Jeans. Sebastian verlagerte sein Gewicht nach vorne, stand auf und ging ein paar Schritte vom Auto weg. Der Griff schien sich in Luft aufzulösen, die Erinnerung blieb aber.

      Er verspürte einen starken Drang, unter das Auto zu schauen, um zu wissen, was genau ihn da gerade gepackt hatte, widerstand ihm aber. Zu groß war die Angst, diesem Ding wirklich in die Augen schauen zu müssen.

      Seine nun zitternden Hände steckte er in die Jackentaschen und ging zu der Eingangstüre.

      Die Namensschilder an den Klingeln wiesen alle möglichen Bewohner aus, nur die nicht, die er suchte. Eine Frau mit dem Namen „Kassandra“ sollte hier wohnen und ihr Büro haben.

      Er spähte durch die Glastür, in der Hoffnung zumindest die Briefkästen zu sehen, hatte aber wiederum kein Glück. Sein eigenes Abbild versperrte ihm die Sicht.

      Ein Gesicht erschien ihm in der Reflexion und der Pfarrer wirbelte herum. Zu seiner immensen Erleichterung stand nur eine alte, gebrechliche Frau hinter ihm, die ihn nun entsetzt anstarrte.

      Herr Brahm sammelte sich schnell und, um die Situation zu entschärfen, sagte er:

      „Grüß Gott. Ich bin ein Pfarrer, Brahm ist mein Name, und bin auf der Suche nach einer Frau Kassandra. Kennen Sie die junge Dame?“

      Die Miene der alten Dame verdüsterte sich zusehends.

      „Was will ein Pfarrer von so einer Frau?“, fragte sie ihn, mit unverhohlenem Misstrauen.

      Er fühlte sich ertappt, sammelte sich aber schnell wieder.

      „Nun ja, sehen Sie … eine Frau aus meiner Kirche hat einen Sohn, der bei ihr war. Ich bin nun hierhergekommen, um auch sicherzugehen, dass hier alles mit rechten Dingen zugeht“, dabei setzte er sein charmantestes Lächeln auf.

      Die alte Frau wurde schien sich zu entspannen. Sie öffnete die Türe mit einem Schlüssel von ihrem viel zu großen Schlüsselbund und wies ihm an, einzutreten.

      „Diese ‚Kassandra‘ wohnt im dritten Stock und ich kann ihnen jetzt schon sagen, dass hier nicht ‚alles mit rechten Dingen zugeht‘. Wildfremder Besuch, zu allen Tages und Nachtzeiten, und das obwohl sie ein Kind hat! Wenn sie mich fragen, gehört ihr das Kind weggenommen und in eine anständige Familie gebracht!“

      Die Schärfe in ihrem Ton verwunderte den Pfarrer.

      „Können sie mir genauer sagen, wo die Dame wohnt?“, fragte er nochmals, vorsichtig, nach.

      „34“, antwortete die Frau.

      „Vielen Dank, damit haben Sie mir sehr weitergeholfen!“, sprach er, bevor er sich der Stiege zuwendete. Hinter ihm schlug die alte Dame einen anderen Weg, im Erdgeschoss, ein.

      Das Stiegenhaus wirkte, im Gegensatz zum Eingang, schmutzig und alt. Ein paar Kaugummiflecken verzierten die Wände und Staub lag in den Ecken. Die Halogenlampen flackerten, als der Pfarrer unter ihnen durchging, und er war sich nicht 100 % sicher, dass dieses flackern wirklich an den Lampen lag.

      Er betete inständig, dass diese Kassandra ihm helfen können würde und er den Trip hierher nicht umsonst gemacht hatte.

      Nachdem er die letzten Stiegen hinter sich gebracht hatte suchte er die Wohnung mit der Nummer 34. Er folgte einem langen, ein wenig zu dunklem, Gang und fand sich endlich vor dem Eingang zu seiner möglichen Erlösung. Die Frau hatte ihm einen Termin für die nächste Woche vorgeschlagen, aber das wäre für ihn viel zu spät.

      Er läutete die Klingel und begann nervös am Holz der Türe zu lauschen. Leise Schritte waren auf der anderen Seite zu hören, bevor eine Stimme zu ihm durchdrang:

      „Wart! Lass mich das machen!“

      Ein Schlüssel wurde im Schloss gedreht und die Türe wurde nach innen gezogen.

      Im Licht einer flackernden Glühbirne sah Sebastian Brahm zum ersten Mal „Kassandra“, die mit bürgerlichem Namen Stephanie hieß, wie er an einem Schild an der Wohnungstüre ablesen konnte.

      Sie wirkte vollkommen anders, als das Bild, das groß auf ihrer Webseite angezeigt wurde. Der riesige, rote Haarschopf war nach hinten, in einen Pferdeschwanz, gebunden, die jetzt ungeschminkten Augen starrten ihn Furchtsam an und ihre Fingernägel waren nicht zehn Zentimeter lang. Alles in allem war Pfarrer Brahm so überrascht, eine normal aussehende junge Frau vor sich zu haben, dass ihm die Worte im Hals stecken blieben.

      „Was wollen Sie?“, fragte das Medium, einen ungeduldigen Ton anschlagend.

      „Pfarrer Brahm“, sagte er, „wir haben heute miteinander telefoniert.“

      „Dann sollten sie aber auch wissen, dass ich heute keinerlei Zeit für Termine habe“, gab sie zurück und machte sich daran, die Türe wieder zu schließen.

      Der Mann, der ihr körperlich überlegen war, drückte mit einer Hand die Türe vollends auf und trat ein, während die Wahrsagerin in ihr Vorzimmer zurückgedrückt wurde.

      „Sie missverstehen mich“, sprach er, während er wie beiläufig die Türe hinter sich schloss, „ich kann nicht auf einen Termin warten. Wenn Sie mir nicht helfen können, bin ich in nicht einmal zehn Stunden tot.“

      Die Frau funkelte ihn wütend an während ihre Hand in ihrer Hosentasche nach etwas suchte.

      „Bitte unterlassen Sie das“, sprach er und versuchte dabei möglichst ruhig zu bleiben, aber sie ignorierte ihn und fischte endlich ihr Handy heraus.

      Mit einem schnellen Griff umschloss er ihr Handgelenk und zog es zu sich. Das kleine Gerät fiel ihr aus der Hand und landete auf dem kitschigen, roten Teppich.

      „Ich habe nur noch zehn Stunden zu leben. Glauben Sie mir doch bitte, dass ich hier keine Späße treibe!“, herrschte er sie an und ein erschrockener Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht.

      „Helfen Sie mir, bitte. Danach verschwinde ich wieder und Sie werden mich nie wieder sehen. Wenn Sie wollen können sie dann auch die Polizei anrufen, aber bitte helfen Sie mir doch zuerst“, der flehende Ton in seiner Stimme schien sie noch mehr zu verwirren.

      Die Frau sammelte sich erstaunlich schnell und sprach ruhig: „Ich bin gerade am Kochen. Setzen Sie sich ins Wohnzimmer, und ich bin in 15 Minuten bei Ihnen.“

      Der Pfarrer lockerte seinen Griff um ihr Handgelenk und sie bückte sich, um ihr Handy aufzunehmen, fand seinen Fuß aber darauf ruhend.

      „Es tut mir sehr leid“, sagte er, „aber ich kann Ihnen leider nicht vertrauen. Sobald Sie mir geholfen haben, bekommen Sie es wieder.“

      Die Frau richtete sich auf und ging davon.

      Sebastian Brahm folgte ihr auf dem Fuß, und ließ