Robert Klotz

Sünder


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sein Handy in seiner Hosentasche anfing zu läuten, rechnete er schon damit, dass David ihn anrufen würde, aber die Nummer auf dem Display war ihm gänzlich unbekannt.

      „Hallo?“, fragte er vorsichtig.

      „Markus!“, drang die aufgeregte Stimme seines Vorgesetzten in sein Ohr, „Sehr gut, dass ich dich so erreiche. Es gibt einen neuen Fall, ein Priester ist in seiner Kirche ermordet worden und sie haben die Leiche erst vor kurzem gefunden. Ich schicke dir die genauen Daten in einer E-Mail. Fahr hin und schau, ob du was darüber rausfinden kannst!“

      Ohne auf eine Antwort zu warten beendete er das Gespräch und überließ seinem Assistenten wieder sich selbst.

      Wie in der E-Mail beschrieben, lag die Kirche ungefähr 100 Kilometer weiter als sein ursprüngliches Ziel, er konnte aber in seinem Zug sitzenbleiben.

      Das Opfer war ein gewisser Franz Steiner. Die Priesterweihe hatte er vor 25 Jahren abgelegt, war seitdem immer in der gleichen Kirche beschäftigt und war sonst nie positiv oder negativ aufgefallen. Das aktuellste Bild zeigte einen Mann mit graumeliertem Haar, mit einem strengen aber doch irgendwie freundlichen Gesicht.

      Zu Markus’ Glück kam der Zugbegleiter gerade in dem Moment an seinem Abteil vorbei und er konnte seine Fahrkarte erweitern, bevor er sich wieder seinen Notizen widmete.

      Er ertappte sich vermehrt dabei, immer wieder den gleichen Satz zu lesen ohne etwas davon mitzubekommen und beschloss, etwas anderes zu tun. Nachdem er seinen Wecker auf die neue Ankunftszeit gestellt hatte, ließ er sich tief in die Polstergarnitur sinken und fing an, einzudösen.

      Als er seine Augen öffnete, sah er, dass er sich in einem dunklen Raum befand. David saß ihm in seinem so gewohnten Schneidersitz mit gesenktem Kopf gegenüber. Fasziniert schaute er ihm zu und nach kurzer Zeit begann sein Freund vor und zurück zu wippen.

      „David?“, fragte Markus zögerlich.

      „Markus?“, die Stimme seines Freundes klang überrascht, aber seltsam hohl.

      „Ja?“

      „Wo bin ich?“

      „Das weiß ich nicht.“

      „Komm zu mir.“

      „Ich … kann nicht.“

      „Bitte. Der Umschlag. Er ist zu schwer.“

      Markus versuchte aufzustehen, aber er fühlte sich wie an den Boden gefesselt.

      Der Kopf seines Freundes rollte von Seite zu Seite, nur erklang jetzt ein tiefes Brummen aus seiner Kehle.

      Einer der Schatten hinter ihm schien Gestalt anzunehmen und ruckartig wurde Davids Kopf an den Haaren in die Höhe gerissen. Seine Augen, sah Markus, waren geschlossen und er verzog keine Miene.

      Der Schatten hinter seinem Freund nahm immer mehr Kontur an, bis er sich selbst erkennen konnte. Sein Ebenbild hielt den Kopf noch immer am Haarschopf hoch und grinste ihn dabei auffordernd an.

      „Hallo Markus!“, krächzte er fröhlich, wobei er seinen Hals seltsam verrenkte.

      Der Anblick widerte den rothaarigen Assistenten so an, dass es ihm die Sprache verschlug.

      „Hallo! Markus!“, krächzte das Ebenbild wieder.

      „Hallo“, erwiderte Markus schlicht.

      „Es ist schön, dich endlich persönlich kennenzulernen. Unser Freund hier hat mir schon so viel von dir erzählt“, dabei schüttelte er Davids Kopf wie eine Marionette.

      Die Aussprache der Wörter schien einfach falsch zu sein. Die Wortpausen waren zu lang, die Betonung lag auf den falschen Silben und die Aussprache wirkte unnatürlich.

      „Wer bist du?“

      „Das geht dich nichts an, mein lieber Markus. Ich würde ja sagen, du wirst mich noch kennenlernen, aber ich glaube eher, dass meine Freunde zuerst bei dir sein werden.

      Viel Spaß dabei!“

      Bei den letzten Worten entstand ein gurgelndes Lachen um die beiden herum.

      „Was willst du von ihm?“, hakte der richtige Markus nach, „Er ist unschuldig!“

      „Ihr seid alle schuldig!“, schrie die Kopie und schüttelte dabei den Kopf des Schwarzhaarigen so sehr, dass Markus Angst bekam, er würde ihm die Haare ausreißen. Die wütenden Schreie um sie herum stiegen zu einem Donnern an, ehe sie abrupt stoppten.

      „Aber, du hast recht. Er ist weniger schuldig als andere. Was ich von ihm will? Nichts weiter. Und sei nicht eifersüchtig, ich bin ihm schon näher als du es jemals sein könntest.“

      Mit einer schnellen Bewegung ließ er den Haarschopf los und der regungslose Körper seines Freundes schlug rücklings auf dem Boden auf.

      Markus erwachte schreiend, diesmal lange bevor sein Wecker läutete.

      Kapitel 6

      Um knapp nach zehn Uhr erreichte er endlich seinen Endbahnhof und verließ schweigend und betrübt den Zug. Natürlich hatte er mit dem Gedanken gespielt, David sofort anzurufen, hatte sich aber dann dazu entschieden zumindest bis zur Mittagspause zu warten.

      Wenn das Ganze nur ein weiterer seiner paranoiden Albträume war, wollte er nicht seinen Freund auch noch damit in Schwierigkeiten bringen.

      Markus schnappte sich ein Taxi und wies die Fahrerin an, direkt zur Kirche des Dorfes zu fahren, die Konversationsversuche der jungen Frau ließ er dabei jedoch eiskalt abblitzen.

      Der Traum ließ ihn immer noch nicht los und er war sich klar, dass das auch eine Zeit lang so bleiben würde. Etwas in ihm drängte ihn immer noch dazu, das Handy in die Hand zu nehmen, um Davids Stimme nochmals zu hören, aber er kämpfte weiter dagegen an.

      Wenn er jetzt anrief und nur die Mobilbox erreichte, würde er sofort kehrt machen und zurückfahren, der Auftrag wäre ihm dann vollkommen egal.

      Noch während er sich weiter in Gedanken selbst als Feigling titulierte, weil er es anscheinend nicht einmal ein paar Stunden lang aushielt, ohne die Stimme seines Freundes zu hören hielt das Taxi vor der Kirche. Ein paar fremde Autos standen noch auf dem Parkplatz, sonst schien aber noch alles beim Alten zu sein.

      Er zahlte die Fahrtkosten und überquerte die letzten Meter langsam schlendernd, um die spät morgendliche Sonne so lange wie möglich zu genießen.

      Erst einmal in seinem Leben hatte er eine echte Leiche gesehen, und das war bei einer Beerdigung, die mit einem offenen Sarg stattgefunden hatte. Was auch immer ihn dort drinnen erwartete, es würde mit Sicherheit keinen so klinischen Anblick abgeben.

      Gelbes Absperrband war über die Pforte gespannt worden und ein gelangweilt aussehender Polizist schob Wache. Markus marschierte schnurstracks auf ihn zu.

      „Morgen!“, grüßte er möglichst fröhlich und der Polizist machte einen Schritt auf ihn zu.

      „Journalisten haben hier keinen Zutritt“, erwiderte sein Gegenüber nur knapp.

      „Das trifft sich ausgezeichnet, guter Mann, ich bin nämlich in offizieller Mission vom Vatikan hier. Wie sie sicher wissen ist der Zutritt laut dem Konkordat von 1933“, weiter kam er nicht, da ihm der Uniformierte ins Wort fiel:

      „Ja, ja. Ist schon in Ordnung. Sie sind jetzt der zweite Pfaffe der hier ungefragt rein will. Den letzten musste man fast heraustragen, so schlimm hat es ihm zugesetzt. Gehen Sie schon rein, aber erwarten sie nicht, dass ich dabei helfe, Sie zu beruhigen!“

      Markus spielte mit dem Gedanken, ihn bezüglich des Ausdrucks „Pfaffe“ zu korrigieren, entschloss sich dann aber dagegen. Stattdessen verstaute er das Schriftstück mit offiziellem Stempel wieder in seiner alten Aktentasche und ging hastig an dem sichtlich gereizten Polizisten vorbei in die Kirche. Die Nachricht über einen anderen Geistlichen, der hier herum geschnuppert hatte interessierte ihn sehr. Eigentlich sollte er der erste sein, der außerhalb der Polizei von diesem Unglück