Robert Klotz

Sünder


Скачать книгу

noch jemanden einen kleinen Besuch abzustatten.

      David war am Anfang so etwas wie ein kleiner Bruder für ihn gewesen. Die zwei hatten sich kurz nach Markus’ Ankunft im Vatikan kennengelernt und direkt eine tiefe Freundschaft geschlossen. Zwar war Markus ein knappes Jahr älter als sein Freund, er war aber ein paar Monate später hier angestellt worden. Die Beiden befanden sich in einer ähnlichen Position, angestellt als Assistenten der Kurie, nur hatten die verschiedenen Abteilungen kein gutes Wort für einander übrig.

      Die hierarchischen Machtkämpfe, die sich hinter den Kulissen abspielten, konnten Neuankömmlingen schnell zu viel werden. Da jeder versuchte, mehr zu wissen als die Konkurrenz, war eine Freundschaft zwischen Leuten in Abteilungen den Leitern oftmals ein Dorn im Auge.

      Er blickte auf die Uhr auf seinem Handy. Mittagspause.

      David sollte aktuell in seinem Zimmer anzutreffen sein.

      Die meisten Menschen hier nahmen ihre Mahlzeiten in der Kantine zu sich, nicht so aber sein Freund. Er war einer jener Menschen, denen Einsamkeit nichts auszumachen schien und fühlte sich in größeren Menschenmengen furchtbar unwohl.

      Als Markus an die Türe zu seinem Zimmer klopfte und eintrat, bot sich ihm ein seltsamer Anblick. Der junge Assistent saß im Schneidersitz auf seinem Bett und hatte seine Hände an die Ohren gepresst. Sein Gesicht wirkte verzerrt und Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn.

      Erst nach ein paar Sekunden wendete er ihm den Kopf zu und setzte ein müdes Lächeln auf, als er den besorgten Gesichtsausdruck seines Freundes sah.

      „Schau nicht so besorgt, Markus. Ich hatte nur heute einen etwas seltsamen Traum und wollte mich an ein Detail daraus erinnern. Mir ist schon den ganzen Morgen so, als ob ich irgendetwas wieder vergessen hätte.“

      Der rothaarige Assistent setzte sich neben ihn aufs Bett und reichte ihm ein Kuvert.

      „Da, damit sind meine Schulden beglichen“, sagte er.

      David nahm das Kuvert an sich und legte es ungeöffnet auf sein Nachtkästchen.

      „Du willst es gar nicht ansehen?“, fragte Markus.

      „Nein. Du weißt ja, ich vertraue dir. Und lügen wäre eine Sünde!“, dabei zwinkerte er.

      Markus‘ Gedanken kreisten um seinen eigenen Traum.

      Wenn er genau darüber nachdachte, konnte auch er sich kaum mehr an die Details erinnern. Irgendetwas hatte ihm aber eine Heidenangst eingejagt. Um sich auf anderes zu besinnen wechselte er das Thema:

      „Wie läuft es in deiner Abteilung?“

      „Gut, gut“, antwortete David, „Monsignore Fermi hat zumindest noch nicht rausgefunden, wem ich die Liste mit den 37 Namen geschickt habe. Hast du was über die Leute rausfinden können?“

      Markus schaute ihn an und lächelte als er antwortete:

      „Ja, laut Kardinal Schleck sind zumindest 24 davon Kinderficker.“

      Sein Freund zuckte bei dem letzten Wort zusammen. Man merkte ihm hin und wieder an, dass er in einem sehr katholischen Haushalt aufgewachsen war.

      Der Ältere der zwei fuhr fort: „Kirby schickt mich übrigens nach Deutschland, um genaueres über die anderen 13 herauszufinden. Das heißt, ich werde dich wohl jetzt ein paar Wochen alleine lassen müssen.“

      Kirby war der Spitzname, den Markus seinem Vorgesetzten gegeben hatte. Sein offizieller Name lautete Kardinal Stefan Schleck, wobei nur wenige Menschen ihn so hinter seinem Rücken nannten.

      Der Mann war klein und rund, weshalb man ihn nur selten hinter seinem Schreibtisch hervorkommen sah, und wenn er zornig wurde bekam seine Haut eine schweinchenrosa Färbung.

      „Pass auf dich auf, gib mir Bescheid, wenn du was rausfindest und bring mir ein Souvenir mit“, entgegnete David lächelnd.

      „Wird gemacht!“, versprach Markus, „Ich muss nur noch ein paar Akten kopieren, und dann mach ich mich auf den Weg.“

      Er küsste seinen Freund auf die Lippen und verließ das Zimmer.

      Kapitel 4

      Sebastian Brahm, seines Zeichens Pfarrer einer kleinen Gemeinde im Süden Deutschlands, hatten die Nachrichten über die Mordfälle noch nicht erreicht.

      Er war erst seit einem halben Jahr wieder in hier tätig, zurückgekommen aus dem Exil in Südamerika.

      Seinen letzten verbliebenen Freund, der er noch am Vorabend getroffen hatte, ließ sich nicht mehr erreichen.

      Als Sebastian deswegen um 8 Uhr morgens an der Kirche, in der sein Freund arbeitete, vorbeifuhr, konnte er bereits die Blaulichter der Polizeiautos aufblitzen sehen.

      Die Menschenmenge ließ nichts Positives vermuten, aber er hatte hier keine Wahl. Was auch immer passiert sein mochte, er musste hinein.

      Nachdem er das Auto am Parkplatz abgestellt hatte und sich auf dem Weg zum Eingang machte, versperrte ihm ein Polizist den weg.

      „Kein Zutritt für Unbefugte“, lautete die Anweisung des Ordnungswächters. Mit nun rasendem Puls packte er den Uniformierten am Arm und herrschte ihn an:

      „Ich bin Pfarrer in der Nachbargemeinde. Dies ist die Kirche meines langjährigen Freundes. Lass mich sofort durch, bevor ich anfange laut zu werden, und die Leute sehen, wie Männer Gottes von euch behandelt werden!“

      Zu seiner großen Erleichterung trat der Polizist peinlich berührt zur Seite.

      In kleineren, abgelegenen Dörfern hatten die Leute zumindest noch Respekt vor seinem Stand.

      Sebastian schob sich an dem Uniformierten vorbei und trat in den Vorraum der großen Kirche, der makellos sauber war.

      Franz war noch ein Mensch der alten Garde. Seine Kirche hatte er stets absolut makellos gehalten, auch wenn das hieß, dass er selbst bis spät in die Nacht damit beschäftigt war, die Heiligenstatuen abzuwischen.

      Aus dem Inneren des Kirchenschiffs drang gedrücktes Murmeln an sein Ohr, fünf, in verschiedene Uniformen gekleidete Leute standen dort und flüsterten hektisch miteinander. Was auch immer sie zu tratschen hatten interessierte den Pfarrer dennoch wenig.

      Ihn zog es in den hinteren Teil der Kirche, dorthin, wo die Sakristei lag.

      Wichtiger war aber die ein wenig zu groß geratene Abstellkammer, die Franz zu seinem Büro umfunktioniert hatte. Was er suchte, befand sich sicherlich noch dort.

      Mit besorgter Miene eilte er weiter, durchquerte die Türe zum kleinen Gang hinter dem Hauptsaal und stürmte kurz darauf in das Büro.

      Zu seiner Verwunderung war der Raum unangetastet. Die zwei Kaffeetassen standen noch an der gleichen Stelle auf dem Schreibtisch, auf denen sie am Abend zuvor gestanden waren. Was auch immer die Polizisten in der Kirche machten, hier drinnen hatten sie noch nicht herumgestöbert.

      Sebastian durchquerte den Raum, und fing an die einzelnen Schubladen zu durchsuchen. Es dauerte nur kurze Zeit, bis er fündig wurde.

      Das Päckchen Polaroidfotos wanderte schnell in seine Tasche und er war wieder auf seinem Weg nach draußen. Im Gang wieder angekommen sah er aus seinem Augenwinkel einen Blitz aufleuchten.

      Ertappt drehte er sich in die Richtung, bemerkte aber zu seiner Erleichterung, dass eine Fotografin auf etwas an der Wand fokussiert war. Neugierig geworden machte er einen Schritt auf die Frau zu,

      Den roten Fleck erkannte er sofort als das, was es war: Blut.

      Es sah so aus, als ob jemand mit dem Kopf gegen die Wand gerannt war. Vorsichtig, um sie nicht zu stören, näherte Sebastian sich ihrem Rücken und die private Toilette des Pfarrers