Robert Klotz

Sünder


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Gegenüber meinte.

      „Nein, nein. Dem Kind habe ich nichts getan. Ich war bei so einer Hellseherin, die mir übrigens absolut nicht weiterhelfen konnte. Ihr Kind hat mir dann gesagt, dass ich nur noch bis heute Abend Zeit haben werde …“

      Pfarrer Stolz runzelte nun die Stirn und überlegte ein wenig.

      „Na gut. Ich kann Ihnen gerne die Beichte abnehmen, wenn Sie dazu bereit sind. Wollen sie in den Beichtstuhl gehen, oder wäre es Ihnen auch hier recht?“

      „Ich glaube, es ist auch in ihrem Büro möglich. Auf das ganze Drumherum können wir getrost verzichten.“

      Mit diesen Worten setzte sich Pfarrer Brahm und beide bekreuzigten sich.

      „Gelobt sei Jesus Christus“, fing der junge Pfarrer an und der Beichtnehmer antwortete mit:

      „In Ewigkeit. Amen.“

      Pfarrer Stolz rezitierte einen kurzen Bibelvers, während sein Gegenüber sich noch einmal konzentrierte und im Stillen betete.

      „Ich bin heute hier, um in Demut meine Sünden zu bekennen“, fing er an, sobald der junge Pfarrer mit dem Bibelvers zu Ende war und geriet ins Stocken.

      Er hatte noch nie jemandem die ganze Wahrheit über seine Taten erzählt. Sogar, als er eine genaue Befragung über sich ergehen lassen musste, konnte er gewisse Details verschweigen. Aber wenn er sich jetzt von wirklich allen seinen Sünden befreien wollte, musste er ehrlich sein.

      „Ich bin oft der Versuchung erlegen … Vor allem, seitdem ich Pfarrer bin. Ich habe meine Ministranten unsäglich berührt und mein Verhalten danach damit gerechtfertigt, dass sie es doch auch wollten. Je öfter ich es machte, desto weiter wollte ich gehen.

      Die Eltern vertrauten mir, und machten es mir viel zu leicht. Das erste Mal, als mir das Berühren nicht mehr ausreichte, flößte ich einem 10 Jahre alten Mädchen Alkohol ein und verging mich dann an ihr. Sie hat es nie ihren Eltern gesagt und ich tat es wieder.

      Das „Brechen“ von neuen Kindern machte mir am meisten Spaß. Ein Junge beging Selbstmord, als seine Eltern ihm nicht glaubten und stattdessen mich verteidigten. Diese Tat tut mir mittlerweile besonders leid.

      Hätte er doch nichts gesagt, wäre er heute vielleicht noch am Leben …

      ich zügelte meine Gelüste danach etwas, aber es dauerte nicht lange, bevor ein weiteres Kind auspackte. Diesmal glaubten die Eltern mir nicht, und immer mehr und mehr Leute schienen mich zu meiden. Während dieser Zeit lernte ich eine junge Frau kennen, mit der ich eine kurze Affäre hatte. Sie war auch eine Außenseiterin, und ich war froh, jemand gefunden zu haben, der mich nicht von vornherein verurteilte. Sie wurde schwanger und, nachdem sie das Kind behalten wollte, musste ich mich von ihr distanzieren.

      Eine offizielle Untersuchung des Vatikans fand statt und ich wurde aufgefordert, über all die Vorfälle zu schweigen. Meine Versetzung nach Südamerika kam kurz danach.

      Als ich in Kolumbien ankam, versuchte ich, mich zu bessern, aber es half nichts. Ich schaffte es, die Zahl der Kinder gering zu halten, aber hin und wieder übermannte mich die Versuchung. Waisenkinder schienen das einfachste Ziel zu sein. Ich fand auch genügend Gleichgesinnte und all die Jahre, die ich dort verbrachte, bekam ich nicht ein einziges Mal Probleme mit den Eltern oder dem Gesetz.

      Nach 17 Jahren wurden meine Gebete endlich erhört und ich durfte nach Deutschland zurückkehren. Mir war klar, dass ich einen Neustart machen musste, und so nahm ich mir vor, mich an die Regeln zu halten.

      Dies ging auch gut, bis ich Franz Steiner kennenlernte. Er sagte mir bei unserem ersten Treffen, dass er wusste, wer ich war, mich aber verstand. Zuerst glaubte ich noch, eine gleiche Seele gefunden zu haben, aber schon bald brachte er mich dazu, wieder auf meine alten Bahnen zurückzukehren.

      Er selbst hatte schon ein paar Kinder und ich nahm an seinen, wie er sie nannte „Abenden“, teil. Heute Morgen wollte ich ein paar Fotos abholen, die er von uns gemacht hatte, und ich konnte sie an mich bringen, bevor die Polizei sie finden konnte.“

      Der ihm gegenübersitzende Pfarrer schüttelte nur seinen Kopf.

      „Dies sind alle meine schweren Sünden. Ich bitte um Verzeihung“, damit schloss Pfarrer Brahm seine Beichte.

      „Meine Güte … Herr Brahm … wie Sie wissen, funktioniert eine Beichte nur, wenn der Beichtende seine Sünden aufrichtig bereut. So wie ich das sehe, müssen sie sich der Polizei stellen. Das ist der einzige Weg, wie Sie wirkliche Buße vollbringen können. Wenn Sie ins Gefängnis kommen, was ich annehme, versuchen sie, ihre Opfer zu erreichen und bitten Sie inständig um Vergebung.“

      Tränen begannen, an Pfarrer Brahms Wangen herunterzulaufen. Er nickte und der junge Priester erhob sich.

      „Gott, der allmächtige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und uns den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke er Dir Verzeihung und Frieden. So spreche ich Dich los - von all Deinen Sünden: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes."

      Dabei machte er das Kreuzzeichen über den Sünder und beendete somit die Beichte.

      Sebastian Brahm sammelte sich noch ein paar Sekunden, bevor er sich die Tränen von den Wangen wischte und aufstand.

      „Vielen Dank“, sagte er und fügte hinzu: „Ich weiß, dass ich ein schwerer Sünder bin. Haben sie zufälligerweise einen Rasierer für mich? Ich muss mich noch herrichten, bevor ich zur Polizei fahre.“

      Pfarrer Stolz legte ihm eine Hand auf die Schulter und führte ihn in eine kleine Kammer mit einem Waschbecken und einem Badezimmerspiegel.

      „In dem Kasten hinter dem Spiegel finden Sie alles, was Sie brauchen. Normalerweise ist diese Kammer für mich reserviert, damit ich mich vor der Messe nochmals fertig machen kann. Lassen Sie sich aber ruhig Zeit, ich bin nebenan in meinem Büro.“

      Nachdem die Türe hinter ihm zugezogen wurde, machte er sich an die Arbeit.

      Pfarrer Stolz musste nur ungefähr eine Viertelstunde warten, bis die Türe zu seinem Büro aufging und ein vollkommen veränderter Mann vor ihm stand.

      Sebastian Brahm hatte sich das Haar zur Gänze abgeschoren, seine Jeans und das Hemd und seine Jacke hielt er sauber gefaltet in den Händen und ein reumütiger Ausdruck lag auf seinem Gesicht.

      „Hier, Sie können meine Gewänder jemandem geben, der sie dringender benötigt“, sagte er.

      Überrascht, aber angetan von der offensichtlichen Buße, erwiderte der junge Pfarrer:

      „Ich halte es zwar nicht für notwendig, dass sie wie ein Sünder aus dem Mittelalter durch die Gegend laufen, aber wenn es Ihnen ein Anliegen ist, kann ich das gerne für Sie erledigen.

      Aber bitte, nehmen sie zumindest eine der alten Decken mit, damit Sie sich nicht auf dem Weg zur Polizei eine Lungenentzündung holen.“

      Nachdem sie ihm die alte Decke besorgt hatten begleitete der junge Priester ihn noch bis zum Kircheneingang, wo sich ein sichtlich überraschter Hans beim Anblick bekreuzigte.

      „Ich wünsche Ihnen viel Glück. Möge Gott mit Ihnen sein und Sie beschützen“, sagte Pfarrer Stolz, als sich der ältere Mann in sein Auto setzte und davonfuhr.

      Sebastian Brahm fühlte sich besser. Er hatte nicht das Gefühl, jetzt sicher zu sein, aber zum ersten Mal seit langer Zeit war er mit sich selbst wieder im Reinen. Was auch immer jetzt passieren würde, lag in Gottes Hand.

      Als er vor der Polizeistation vorfuhr und ausstieg, hatte er nicht das Bedürfnis, wegzulaufen. Ruhig und mit gefasster Miene ging er auf die gläserne Türe zu und wich im letzten Moment noch einem rothaarigen Mann aus, der ihn auf eine seltsame Art und Weise an den jungen Priester erinnerte, der ihm die Beichte abgenommen hatte.

      Die Polizisten auf der Polizeistation schauten ihn zuerst nur seltsam an, und wollten ihn schon wegschicken, als er das Bündel Fotos auf den Rezeptions-tisch legte und darauf bestand, eingesperrt