Elisabeth Uhlemann

Ledige Kinder


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Ralph 2008

       3

       4

       Vierter Teil

       1

       Ralph 2008

       2

       3

       Ralph 2009

       Fünfter Teil

       1

       Susanne 2009

       2

       3

       4

       5

       6

       7

       8

       Vorwort

      Im Sommer des Nachkriegsjahres 1947 werden im deutschen Südwesten kurz nacheinander zwei Kinder geboren: Ralph und Susanne. Flirrende Hitze lässt die beiden jungen Mütter im nahegelegenen Wald Schutz suchen, am Fluss, in Badezubern, alles andere ist nahezu unerträglich. Ruth ist 19 Jahre alt, Theresia 23. Sie sind Freundinnen, zusammengekommen durch die Wirren des Krieges und der schwierigen Zeit danach. Gemeinsam tragen sie das Los, keine Männer zu haben, die sich zu ihnen und ihren Neugeborenen bekennen. Sie müssen ertragen, dass man ihnen die Schande nicht verzeiht, die sie über ihre Familien gebracht haben. Ihre täglichen Begleiter heißen Scham und Schuld.

      Die Kriegswirren sind noch nicht verheilt, Lebensmittel rationieren die Ernährung, man ist arm. In vielen Familien herrscht tiefe Trauer um den Verlust des Sohnes, Bruders, Ehemannes. Theresia hat in den letzten Kriegstagen Bruder und Schwager verloren, gefallen für Volk und Vaterland. Trauer und Verzweiflung sind allgegenwärtig.

      Die beiden Kinder, Ralph und Susanne, erleben einen Teil ihrer Kindheit gemeinsam. Sie wohnen nicht weit entfernt voneinander, begegnen sich auf den alltäglichen Wegen. Später treffen sie sich auf dem Schulweg, den Spielorten der Umgebung. An den Sonntagen gibt es gemeinsame Unternehmungen mit ihren Müttern: Schlittenfahrten im Winter, Schwimmbadbesuche im Sommer, Wanderungen, Spaziergänge.

      1961 gehen ihre Wege auseinander. Ihre Mütter haben zeitgleich gefunden, wonach sie so lange sehnsüchtig gesucht hatten: einen Ehemann. Endlich können sie das anständige Leben führen, das einer Frau in jener Zeit angemessen ist: Endlich Ehefrau und Mutter sein und damit die Wertschätzung erfahren, auf die sie so lange verzichten mussten. Vergessen ist nun der grausame Makel der unehelichen Mutterschaft.

      Nach fünfundvierzig Jahren, im Jahr 2006, kommen Ralph und Susanne wieder zusammen. Sie sind Fremde und fühlen sich doch vertraut; langsam nähern sie sich einander an und tauschen sich aus über ihr Leben, das unterschiedlicher kaum hätte verlaufen können. Die Begegnung gestaltet sich interessant, gefühlvoll und aufregend. Sie erinnern sich gemeinsam und begleiten sich als Freunde auf dem weiteren Lebensweg. Einem kurzen Weg für Susanne, der nicht mehr viel Zeit bleibt …

       Erster Teil

       1

       Susanne Ende 1949

      Die Schlangen sind zart hellgrün auf cremefarbenem Grund. Ein leichter Glanz soll die Tapete elegant erscheinen lassen. Es gelingt mir nicht, die Schlangen zu zählen, weil es ein Endlosmuster ist, dennoch fange ich immer wieder von vorn an. Ein Auge zuhalten hilft auch nicht weiter. Wenn nur die Zeit schneller verginge, bis Mama endlich nach Hause kommt. Oma und sie hatten wieder Streit, deshalb kommt Oma mich nicht in die Stube holen. Warum werde ich bestraft, wenn sie mit Mama Streit hat? Natürlich sollte es mich gar nicht geben — niemand hat mich gewollt. Das habe ich schon verstanden, aber was kann man tun? Ich bin nun einmal da.

      Das Zimmer mit dem Ehebett, in dem ich mit meiner Mutter schlafe, erscheint mir riesig. Gegenüber steht die Kommode mit dem dreiteiligen Spiegel, in dem man sich von allen Seiten sehen kann. Rechts davon ist die Tür zum Schlafzimmer von Oma und Opa, die aber immer verschlossen ist. Dahinter höre ich Oma husten und Opa manchmal schnarchen. Zum Fenster hin ist Platz für noch ein Zimmer. Da stehen zwei Sessel und ein kleiner Tisch. An einer Wand ist eine Liege, über die eine Decke gebreitet ist. Wenn Besuch kommt, darf der darauf schlafen. An der gegenüberliegenden Seite ist unser großer Kleiderschrank. Zwei Fenster öffnen sich zum Hinterhof hinaus. Eine Wäscheleine ist an unserem und am Nachbarhaus befestigt, da hängen wir unsere Wäsche auf, wenn nicht Frau Storz ihren Waschtag hat.

      Wenn Mama da ist, ist alles gut. Allein ist mir so langweilig und ich kann nichts dagegen tun. Meine geröteten Augen fallen jetzt immer öfter zu, Tränen laufen über meine fiebrigen Wangen, der böse Husten hat mich erschöpft. Ich bin noch nicht einmal drei Jahre alt.

      Ein ganzer Tag ist eine Ewigkeit, denn es gibt keine Ablenkung. Meine Liesel festhalten ist alles, was ich tun kann. Liesel ist meine Stoffpuppe, Lumpenliesel sagt Mama zu ihr, manchmal lege ich sie unter mein Gesicht. Sie ist ganz nass von meinen Tränen. Der Husten will nicht aufhören, der ganze Körper schmerzt, atmen fällt schwer. Ich weine in die Kissen, kann mich nicht mehr beruhigen. Ich weiß, dass ich ein böses Kind bin, denn der Streit war wieder meinetwegen. Ich habe das nicht gewollt, immer bin ich schuld, schuld, schuld. Die Verzweiflung wird unerträglich, der Hals schmerzt, schlucken geht kaum noch. Die grünen Schlangen auf der Tapete tanzen jetzt. Sie werden immer größer und lösen sich von der Wand ab. Ich versuche zu schreien, aber aus dem wunden Hals kommt kein Ton heraus und die Tür ist fest verschlossen. Schließlich schlafe ich vor Erschöpfung ein.

       2

       Susanne 2009

      In den nächsten Wochen wird es soweit sein. Die Entscheidung habe ich getroffen, der Entschluss steht fest. Die Einzelheiten muss ich noch festlegen, aber das ist unbedeutend: Ich bin Apothekerin und kenne mich aus mit der Dosis letalis der infrage kommenden Substanzen. Endlich fühle ich eine köstliche Ruhe in