macht nicht alles«, kicherte Tobias.
»Braucht er auch nicht. Die meisten Dinge kommen eh aus China«, verkündete Jens Haberland lax und hatte sofort die Lacher auf seiner Seite. Schrimp gönnte dem stillen Jens einen kleinen Triumph. Er liebte es, wenn man sich seiner legeren Art anzugleichen versuchte. Es war auch nicht Chaos, was er zuweilen zuließ. Es war die Flexibilität, die ihn so wohltuend von der Sturheit anderer Lehrer abhob. Aber wenn er »Schluss!« sagte, dann war auch Schluss.
Auf dem Instrumententisch hatte Schrimp die Präparate der Ambrosia aufgereiht, die in der letzten Stunde akribisch angefertigt worden waren. Heute ging es darum, die Einzelheiten zu erkennen und zu protokollieren. Männliche von weiblichen Blüten zu unterscheiden, das bot den Schülern keine Hürde mehr. Wie stets, wenn das verborgene Mikroleben entschlüsselt wurde, stieg auch jetzt die Begeisterung. Winzige gelbe Pollen, ähnlich einer ungehäuteten Kastanie, aber mit einer Größe von weniger als 20 µm, klemmten zwischen Objektträger und Deckglas und versetzten die Schüler in Forscherlaune. Während dessen erzählte Schrimp eine komische Geschichte:
»In der griechischen Sage ist Ambrosia die Speise der Götter. Der Legende nach brachten Tauben eine ominöse Ambrosia zu Zeus. Als Speise oder Trank genossen, sollte sie die Schönheit erhöhen und vor Fäulnis schützen. Noch heute verwenden Dichter das schöne Wort ambrosisch für göttlich oder unsterblich.«
»Gut, dass das der Barthels nicht weiß«, fauchte einer und berichtigte sich beim Anblick von Schrimps Stirnfalten. »äh, Herr Barthels, natürlich. «
»Herr Fedder. Wir haben mal gelernt, dass Ambrosia die Nahrung der Bienenkönigin ist.«
»Stimmt, Tanja«, sagte Schrimp nicht ohne Erstaunen. War es ihm doch selbst entfallen, »die Mischung aus Pollen und Honig.«
Jens Haberland, der es inzwischen genoss, die Lacher auf seiner Seite zu wissen, drehte mit schelmischem Blick sein Präparat zwischen den Fingern vorsichtig nach allen Seiten und gab sich naiv:
»Also kann man das essen.«
»Als Henkersmahlzeit vielleicht.« Schrimp gab dem Jungen einen Knuff in den Oberarm. Er hatte den Schülern nicht nur die Gefährlichkeit der Pflanze eingebläut, er hatte ihnen auch aufgetragen, im handelsüblichen Vogelfutter darauf zu achten, ob sich die winzigen Früchte, die er Achänen nannte und deren Größe gerade mal drei Millimeter maß, dazwischen gemogelt hatten. Im selben Atemzug entfuhr ihm die Frage, was mit Sebastian Hamm sei.
»Der hat Ambrosia genascht«, kicherte der Geknuffte.
»Quatsch. Der hat mal wieder Summen im Kopf«, wusste ein anderer. Erst als Schrimp wieder abseits stand, raunte einer der Jungen, den Schrimp oft an der Seite von Sebastian angetroffen hatte, wenn sie gemeinsam den Weg zum Konservatorium gingen:
»Der hält nie bis zu den Ferien durch. Aber in den Ferien, da flitzt er mopsfidel zur Musikschule und zum Training. Der Hamm ist ein Weichei.«
»Ick denke, Hamm heißt Schinken?«
»Bei Fräulein Brown vielleicht. Sonst heißt es Weichei.«
Schrimp war beileibe keiner, der dahergesagte Worte auf die Goldwaage legte. Auch wenn sie noch jung waren, solche Reden machten ihn zuweilen wütend. Sie hatte durchaus ihren Spaß an gewisser Häme, aber kaum einer betrachtete sich selbst. Wer das nicht von Kindesbeinen an lernt, der lernt es nie mehr. Und dieser Schmierer, dieser Eike, der ist doch selbst ein Weichei, eines der größten sogar, dachte Schrimp bei sich, doch er sagte:
»Wenn du die Hälfte von dem wärest, was du zu sein glaubst, dann wärest du das Doppelte von dem, was du bist.« Seine Knöchel knufften den Hinterkopf des Jungen, gerade so, dass es noch als freundschaftlich durchging.
»He Eike«, jaulte einer im Hintergrund, »lös das mal schnell im Dreisatz.«
Das Gelächter hielt nur kurz, damit hatte Ole Fedder kein Problem. Dann hob er die Hand.
»Schluss jetzt!«
Die Projektstunden nach der Mittagspause waren wesentlich anspruchsvoller, obwohl Schrimp genau wusste, dass nicht alle am Schluss die gleiche Erkenntnis teilen würden. Die Erbsubstanz sollte extrahiert werden. Dazu hatte er umfangreiche Vorbereitungen getroffen, die an Laborbedingungen anknüpften. Das waren genau diese Stunden, die er Inka stahl, wofür sie nur schwerlich Verständnis zeigte.
Nur drei Schüler bekamen Zettel mit dem Versuchsablauf. Die anderen hatten nach deren Anweisung die Substanzen exakt nach Milligramm abzuwägen oder zu protokollieren, was geschehen sollte.
Fein geschnittene Pflanzenteile, Kochsalz und Spülmittel. Das Becherglas stand auf der Platte und der Stabmagnet drehte sich. Erhitzen. Abkühlen und alles zerkleinern. Ein Stabmixer surrte.
»Vorsicht«, mahnte Schrimp, »das ist doch keine Gulaschkanone. Ihr zerstört mir noch die DNA.«
Die erste Gruppe gab alles bereits durch einen Filter und füllte den Extrakt in Röhrchen. Erst dann kam Schrimp mit dem eiskalten, hochprozentigen Alkohol ins Spiel. In den Röhrchen setzt es sich am Boden das Objekt der Begierde ab.
»Cool«, staunte Tanja Kurz, die als Erste die DNA erkannte und mit einem Stäbchen aus dem Röhrchen angelte.
»Cool«, sagten auch einige andere, während wieder andere nur gelangweilt schauten.
»Ich wette, die Hälfte weiß nicht, was soeben passiert ist«, provozierte Schrimp die Gelangweilten und reichte die Röhrchen zur Begutachtung herum.
»Aber höchstens die kleinere Hälfte«, witzelte Tobias.
Schrimps geballte Faust fuhr in gewohnter Manier über den kurz geschorenen Hinterkopf des Jungen: »Wer in Bio was kann, muss noch lange keine Leuchte in Geometrie sein.«
Wippenden Schrittes ging Schrimp nach der Stunde hinunter zum Lehrerzimmer. Nach seiner Laune zu urteilen war es ein schöner Tag. Die Zwölfer, deren Leistungskurs er jetzt noch hätte, waren auf Geschichts-Exkursion in Berlin, somit hatte er für heute frei.
Aaron saß wie ein geprügelter Hund auf seinem Stuhl und stützte den Kopf in den hochgezogenen Schultern ab. Schrimp setzte sich zu ihm.
»Und?« Mehr Worte brauchte es nicht.
»Geht so.«
»Na dann.«
Das Ehepaar Barthels war nicht mehr so jung, um alles Moderne mitmachen zu müssen. Seit Kurzem aber hatte Schrimp das Gefühl, Aaron holte auf, was er zu verpassen geglaubt hatte. Materiell gesehen. Erst hatte er das Wohnzimmer erneuert und die Garageneinfahrt verbreitert und im Moment, das wusste Schrimp, war gerade eine neue Küche in Arbeit, deren Aufbau Aaron ganz sicher viel Kraft gekostet hatte. Auch Heiner Bär, der Informatiker, wusste davon. Aaron hatte sich erkundigt, wie die neuen Fliesen am besten anzubringen seien. Bär hatte gerade den Umzug in sein eigenes Haus hinter sich.
»Ist deine Küche fertig?« Grinsend schaute Heiner Bär zu Aaron herüber.
»Fertig.«
»Alles neu? Nur Hanna nicht?«
Heiner Bär pfiff durch die Zähne und blinzelte in die Runde der Kollegen, die hier ihre Pause verbrachten. Sie wussten alle, was Hanna für Aaron bedeutete. Sie war ihm Heiland und Verderben zugleich, nur die Anteile waren schlecht verteilt. Fast jeder wusste ein bisschen darüber Bescheid und einige zollte Aaron sogar Respekt für seine Haltung. Wer jeden Morgen eine solche Frau am Frühstückstisch ertrug und noch verträglich blieb, dessen Trübsal musste sogar vor Widersachern als gerechtfertigt gelten.
Heiner Bär prahlte auch gern mit seinem Verstand von elektronischer Technik, die das ältere Semester sträflich verschmähe. Schrimp hatte eine sehr interessante CD bekommen, die er leider kurzfristig wieder an den Besitzer zurückgeben musste. Deshalb wollte er sie allen Zehnerklassen zugleich vorspielen, wusste aber nicht, ob das neue Gerät, das man in der Aula installiert hatte, zum Abspielen geeignet war.
»Was bedeutet C/A-Wandler?«, fragte er Bär. Der verschränkte sofort seine Arme auf dem Rücken, reckte den Kopf