reibe mir lachend über die Stirn, amüsiere mich selbst, über meine eigenen Worte.
„Fuck, ich rede so viel Bullshit", säusle ich in die Leitung. „Ich weiß nicht mal, was mich dazu gebracht hat, dich anzurufen. Momentan sind da so viele Konflikte in meinem Kopf, weißt du? ... Über diese ganze Situation ... Über diese ganze beschissene Situation, in der wir stecken ... Es ist einfach – Ravely, glaubst du ... Glaubst du, dass es das Ende ist? ... Unser Ende? ... I-Ich weiß es einfach nicht, weißt du? Ich weiß nicht, ob ... Ob ich dich je wieder so ansehen darf. Shit. Ich hätte mir diese beschissenen Bilder nicht ansehen dürfen ..." Wieder lache ich auf. „Siehst du, was du mit mir machst? Ich bin so abgefuckt, ich sehe mir all die Bilder von uns an und hoffe, dass diese ganze Scheiße nur ein Albtraum ist ... Ich bin so jämmerlich ... Wieso erzähle ich dir das überhaupt? Ich bin einfach – Ach, keine Ahnung was ich bin. Was bin ich? Ein Vollidiot, ein Arschloch .... Du wüsstest wahrscheinlich noch mehr Beleidigungen für mich, nicht wahr? ... Du warst immer so gut im Synonyme finden."
Ich merke, wie ein Kloß in meinem Hals wächst. Scheiße, nein, ich kann jetzt nicht weinen.
Schnell wische ich mir die bereits gebildeten Tränen aus den Augen und richte mich entschlossener auf. „Okay, wie auch immer", führe ich meine lächerliche Rede fort. „Ich bin mir sicher, dass ich es in weniger als sechs Stunden bereuen werde, dass ich all diesen Mist gesagt habe, deswegen muss ich jetzt ... Ich werde auflegen. Ä-Ähm, du kannst – Vielleicht willst du – Scheiße, ich kann mich nicht konzentrieren ... Ich – Mach's gut, Ravely."
Und ich lege auf. Starre auf das Handy in meinen Händen. Ich bereue sofort, was ich gerade gesagt habe.
Raven
Die Prüfungen sind um, mein Koffer ist gepackt und Aldbury kommt mir von Minute zu Minute näher. Nachdenklich starre ich aus dem Fenster des Taxis, das mich in meine Heimat zu Dad bringt. Mit den Kopfhörern in den Ohren und The National, die mir von Vergebung vorsingen betrachte ich die Häuser, die mir nur zu bekannt sind. Es ist schon wieder viel zu lange her, als ich das letzte Mal hier war.
Das letzte Mal war ich mit Aiden hier. Ich kann mich noch an alles ganz genau erinnern. Wie er so nervös war, weil er meinen Vater kennenlernen musste, wie ich ihm Aldbury gezeigt habe. Wie wir in der Mula waren. Ich kann mich an jedes einzelne Worte erinnern, dass er zu mir gesagt hat, sie wiederholen sich in meinem Kopf immer und immer wieder und das schlimmste an der ganzen Sache ist, dass ich diese Worte liebe. Jedes einzelne Wort liebe ich. Schon merkwürdig, wie sehr man eine Person lieben kann, obwohl sie einem das Herz herausgerissen hat.
Das Taxi hält an und ich schalte meinen iPod aus, überreiche dem Taxifahrer das Geld und klingel an der Haustür meines Vaters. Gleichzeitig sehe ich wieder dieses Bild vor mir, wie Aiden damals neben mir stand und auf und ab gewippt ist, weil er nichts falsch machen wollte. Hätte ich etwas anders gemacht, wenn ich gewusst hätte, wie alles endet?
Die Tür öffnet sich und Dad grinst mich breit an. „Ravely, endlich bist du da!"
Ich lächle leicht und trete ins Haus. Zur Begrüßung umarme ich ihn fest und bin froh, endlich wieder seinen vertrauten Geruch riechen zu können.
Dad streichelt mir liebevoll über den Rücken. „Wie geht's dir, Maus?" Er redet von der Trennung, denn er scheint zu merken, dass ich nicht gerade glücklich aussehe.
Grauenvoll. „Es ist ertragbar", lüge ich und lasse ihn los, stelle meinen Koffer neben ein Regal im Flur.
„Um dich etwas aufzuheitern, habe ich dir Lasagne gemacht", verkündet er stolz und geht in die Küche.
„Darauf habe ich mich fast am meisten gefreut." Ich setze mich an den Esstisch und beobachte ihn, wie er das Blech mit der Lasagne aus dem Ofen holt.
„Wieso bist du eigentlich ständig nicht an dein Handy gegangen?" Er stellt die Lasagne auf den Tisch. „Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht. Ich dachte, dir wäre etwas passiert in den letzten zwei Tagen."
Ich lächele beschwichtigend und schöpfe ihm und mir Lasagne auf die Teller. „Nein, es ist nichts passiert. Ich habe es ausgeschaltet, weil ich mich komplett auf die Prüfungen konzentrieren wollte." Und weil ich Angst vor Aidens Anrufen hatte.
„Ach so, verstehe. Wie sind sie denn gelaufen?"
„Ich denke, sie waren in Ordnung. Ich hatte keinerlei Probleme. Alec hat mir viel geholfen beim Lernen."
„Alec ist dein schwuler Freund oder?"
Ich grinse. „Ja, ist er."
„Finde ich wirklich toll, dass er dich bei sich wohnen lässt. Er –"
„Jared?", erklingt eine weibliche Stimme von der Tür. Eine braunhaarige, schlanke und durchaus attraktive Frau steht im Türrahmen und beobachtet uns etwas unsicher.
„Ah, da bist du ja." Dad steht auf und schiebt ihr einen Stuhl hin. „Ravely, das ist Carmen. Ich habe dir von ihr bereits am Telefon erzählt, erinnerst du dich?"
Ich blicke aus meiner kleinen Schockstarre auf und lächele sie freundlich an. „Ja, natürlich." Ich halte ihr die Hand hin. „Ich bin Ravely."
Sie schüttelt sie warm lächelnd. „Schön dich kennenzulernen, Ravely. Jared hat mir schon ganz viel von dir erzählt."
„Na ja, so viel gibt es da nicht zu erzählen", sage ich und Dad setzt sich wieder an den Tisch.
„Nun ja, wessen Tochter geht schon in New York auf eines der begehrtesten Colleges", prahlt Dad.
Ich verdrehe nur die Augen und esse etwas von der Lasagne.
„Er hat aber recht", sagt Carmen, während Dad ihr etwas auf den Teller legt. „Das ist wirklich beeindruckend. Jared meinte, dass du vorher in London warst. Wie kam es zu dem Wechsel?"
Bei der Erinnerung daran, dass ich für Aiden London hingeschmissen habe, verspüre ich einen kurzen Stich in meinem Herz..
„Wenn ich fragen darf!", wirft Carmen sofort ein. „Ich möchte dir nicht zu nahe treten, immerhin kennen wir uns gerade mal eine Minute."
Ich lächele beschwichtigend. „Schon okay. Ich denke, ich war in London einfach nicht so zufrieden, wie ich es hätte in New York sein können." Wenigstens ist es nicht ganz gelogen. Aiden lasse ich außen vor.
„Verstehe."
Carmen kommt mir wirklich sympathisch und nett vor. Ich würde sie auf Anfang vierzig schätzen und auch ihre Ausstrahlung strahlt etwas ungemein Unschuldiges aus. Mit den kleinen Falten um ihre braunen Augen sieht sie aus, wie eine Frau, die keiner Fliege etwas zu Leide tun könnte.
„Und, ähm", sage ich mit vollem Mund, zeige mit der Gabel zwischen ihr und Dad hin und her. „Was seid ihr jetzt? Ein Paar? Bereits verlobt?"
Dad lacht auf. „Verlobt? Schätzchen, bleib mal auf dem Boden der Tatsachen. Was sind wir denn Carmen?"
Sie zuckt mit den Schultern und kichert leise. „Was glaubst du denn, Jared?"
„Ich glaube, wir sind ein Paar."
Wieder kichert sie fast schon jugendlich. „Dann glaube ich das auch."
Dad sieht mich an. „Wir sind ein Paar."
Ich lächele und versuche ihnen zu zeigen, dass ich mich tatsächlich für sie freue, während sie mir erzählen, wie sie sich in dörflichen Supermarkt getroffen und sich sofort ineinander verknallt haben. Es fällt mir einfach schwer, mich – auch wenn es um meinen Vater geht – für anderer Menschen Liebesglück zu freuen, während meines gerade den Bach hinunter geht.
Ich wünsche mir, ich wäre Zuhause. Doch gleichzeitig realisiere, dass ich Zuhause bin und das ist der schlimmste Teil an der ganzen Sache. Aiden ist noch immer mein Zuhause und das verbreitet in mir verdammte Panik. Alles hier erinnert mich an ihn. Vor nicht einmal zwei Monaten saßen wir hier an dem Tisch mit meinem Vater und wir haben ihm erzählt, wie wir uns kennengelernt haben. Es passiert alles viel zu schnell.