erkläre ich. „Kann das ein Sohn nicht mal mit seinem Vater tun?"
„Du willst nicht, dass ich Alkohol trinke."
„Das stimmt." Ich schließe die Flasche wieder und reiche ihm das Glas. „Aber es muss einen Grund haben, wieso du trinkst, weil du Probleme hast. Ich habe auch Probleme. Vielleicht fange ich ja dann an dich zu verstehen."
Argwöhnisch nimmt er mir das Glas aus der Hand. „Du hast keine Probleme."
Unlustig lache ich auf. Wenn er nur wüsste. Wenn er nur von Tammy wüsste, von Raven, von Black Poe, von meinem verlorenen Buch, von meiner ganzen beschissenen Situation. „Wahrscheinlich hast du Recht", sage ich deshalb nur und halte ihm mein Glas hin, damit er anstoßen kann. „Trinken wir darauf, dass ich ein wertloser Bastard bin."
„Dad", murre ich und stumpe meinen Vater an, der mittlerweile mit dem Kopf auf der Schulter eingeschlafen ist. Er ist sturzbetrunken. Nein, wir sind beide sturzbetrunken. Meine Sicht dreht sich und es fällt mir schwer mich auf die ständig wechselnden Bilder des Fernsehers zu konzentrieren.
Mittlerweile ist es zwei Uhr morgens und der Alkohol macht mich noch müder, als ich es sowieso schon bin. Doch genauso wie ich erschöpft bin, schwinden meine ständigen Gedanken zu ihr, zu Raven. Scheiße, sie fehlt mir einfach. Ich fühle mich, als hätte man mir meine Droge genommen und jetzt leide ich unter den Nebenwirkungen des Entzugs. Dauernd diese Erinnerungen an sie und an die Zeit die wir gemeinsam hatten.
Ich frage mich ständig, ob sie auch an mich denkt. Alec meinte, sie würde mich vermissen und das diese ganze Scheiße auch nicht einfach für sie ist, doch wieso zur Hölle bin ich im Nachhinein der einzige, der versucht noch irgendetwas zu retten, indem ich versuche sie anzurufen? Müsste sie nicht eigentlich wenigstens einmal mit mir reden wollen, weil sie meine Stimme hören will? Das, scheiße nochmal, tut man doch, wenn man jemanden liebt oder? Denn ich denke so. Ich vermisse ihre Stimme und die Worte aus ihrem Mund kommen. Doch die Tatsache, dass ich einfach der verkackt einzige in dieser Situation bin, der so denkt, macht mich krank.
Sie müsste doch verstehen, dass ich sie liebe, wieso versucht sie nicht mir zu glauben? Wie kann sie mich einfach verlassen, weil sie denkt, ich würde sie betrügen? Ich könnte sie niemals einfach verlassen, so wie sie es mit mir getan hat. Oder?
Ich versuche mich in ihre Lage zu versetzen. Ich versuche mir vorzustellen, wie ich reagieren würde, wenn ich sie mit Ben so vorgefunden hätte.
Ich rümpfe angewidert die Nase.
Scheiße, ich kollabiere bei dieser Vorstellung, wie sie einen anderen Mann so berührt.
Aber es kann für sie einfach nicht so einfach sein. Sie liebt mich ... Wie konnte sie einfach zulassen, dass so etwas passiert? Wenn sie mir nur richtig zugehört hätte, wenn sie mir einfach nur verdammt nochmal richtig zugehört hätte. Doch sie ist einfach gegangen.
Mit dem Schwindel kämpfend ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und kontrolliere, ob mein Vater noch immer zu besoffen ist, um nicht aufzuwachen. Er schläft tief und fest, umgeben von dem widerlichen Gestank, der sich mittlerweile in diesem Raum angesammelt hat. Susan konnte es nicht fassen, als sie gesehen hat, dass ich mit ihm gemeinsam trinke, doch in dem Moment war mir das egal. Irgendwann komme auch ich an meine Grenzen.
Obwohl es gegen mein innerliches Versprechen spricht, öffne ich das Fotoalbum meines Handys. Wäre ich nüchtern, würde ich mir diese Bilder niemals ansehen. Doch ich bin nicht nüchtern.
Ich switche gedankenverloren durch die Fotos, die wir gemeinsam gemacht haben, genauso wie all die Fotos, die ich von ihr gemacht habe, in jeglichen Situationen. Sie in der Küche, sie schlafend auf der Couch, sie konzentriert auf den Fernseher starrend, sie lernend mit dem Bleistift zwischen den Zähnen, sie wie sie einfach nur wunderschön ist. Und jedes verkackte Mal denke ich, dass es mein Lieblingsbild ist, doch das alles sind meine Lieblingsbilder. Sie ist mein Lieblingsbild.
Dann entdecke ich ein Video. Ich sollte es mir nicht angucken, ich sollte es mir wirklich nicht angucken, doch ich sollte auch nicht Black Poe Enterprise stürmen und mich mit meinem Vater betrinken. Ich drücke auf den Play-Knopf.
„Muss das sein?", fragt sie gespielt genervt in die Kamera, als sie nur mit der weißen Decke bedeckt in dem Bett liegt und sich das Buch vors Gesicht hält. Im Hintergrund sieht man den Ausblick auf das Meer in der Karibik.
„Das muss definitiv sein. Komm schon, irgendwann musst du es sagen", sage ich lachend zu ihr.
„Das ist bescheuert, Aiden."
„Los, komm schon."
Seufzend nimmt sie das Buch von ihrem Gesicht weg und widmet sich wieder den Zeilen. „Nein, das ist bescheuert." Sie sieht wunderschön aus, wie ihr die Sonne ins Gesicht scheint und ihr Haar golden glänzen lässt.
Ich stemme mich auf, halte die Kamera genau vor sie. „Sei nicht so zimperlich. Was hältst du da in den Händen, Baby?"
Genervt verdreht sie die Augen. „Wenn die Nacht am Stillsten ist."
„Wirklich? Das soll ziemlich selten sein. Wer hat dir das denn besorgt?"
„Du bist ein Idiot."
Ich kann mich noch erinnern, dass ich in dem Moment breit grinsen musste. „Sag es."
Sie stöhnt auf und grinst gefaked. „Mein wunderbarer, toller Freund hat es mir besorgt. Er ist der Beste, niemand kann ihn toppen!"
"Und?"
"Und außerdem ist er der sexieste Mann der Welt!"
Glücklich lasse ich mich wieder neben sie fallen, halte die Kamera so, dass ihr Gesicht fast von der Sonne verdeckt ist, doch man seht noch klar ihre Lippen und ihre glänzenden Augen. „Gut, dass ich das aufgenommen habe. Das kannst du jetzt nicht mehr zurücknehmen."
Amüsiert schüttelt sie den Kopf, sieht auf das Buch in ihren Händen. „Du kannst das Ding jetzt ausmachen, du Idiot."
„Ich liebe dich trotzdem, obwohl du mich Idiot genannt hast."
Sie schweigt kurz, doch schließlich lächelt sie sanft. „Ich liebe dich auch."
Das Video endet und mir wird wieder der Play Button angezeigt.
Mir ist kotzübel und mein Blick ist erstarrt. Wie konnte sie das alles einfach wegschmeißen?
Ich muss sie das fragen. Ich muss endlich wissen, wie sie mich einfach auf dem Boden sitzen lassen und aus der Tür gehen konnte.
Ohne länger darüber nachzudenken, gehe ich auf ihren Kontakt und halte mir das Handy ans Ohr, stütze meinen Kopf an meiner Hand ab. Es ist schwieriger in einem Drama zu leben, als ich dachte.
Es tutet genau elf Mal, dann werde ich wieder an die Mailbox verbunden, doch das wundert mich nicht. Selbst wenn sie hätte mit mir reden wollen, wäre sie nicht dran gegangen. Sie hat morgen Schule und es ist mitten in der Nacht.
Schließlich erklingt der hohe Piepton. Mein Herz schlägt bis ins Unermessliche.
„Hi", sage ich mit kratzender Stimme und versuche mein Lallen zu kontrollieren. „Ich bins ... Aiden." Scheiße, meine Ausdrucksweise ist im Arsch, doch das ist mir egal. Ich lache bitter auf. „Falls dir das noch was sagt ... I-Ich – Raven – E-Es – Scheiße ... Raven, ich muss es einfach wissen ... War es für dich leicht? ... War es für dich leicht, einfach ... einfach zu gehen? ... I-Ich weiß nicht – Ich weiß nicht, was ich tun soll, Ravely ... Ich sitze hier, mitten in der Nacht in einem verdammt beschissenen Zimmer und mache mir Gedanken darüber, ob du dich mindestens genauso beschissen fühlst, wie ich. Oder ob du einfach mit dieser ganzen Scheiße umgehen kannst, ob du einfach normal weitermachen kannst, ohne auch nur einen Gedanken an mich zu verschwenden, während ich hier sitze und mir verkackte Gedanken um dich mache ... Wahrscheinlich hast du viel zu tun ... Lernst ständig für die Prüfungen und den ganzen Scheiß ... Aber - Tut