Olaf Falley

Im Bann der Traumfänger


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schüttelte Gerda den Kopf. Was war mit ihr los? Ihr Mann war tot, ihr Sohn schwer verletzt und ihre Tochter noch immer verschwunden und sie sprach mit einem Pferd über dessen zukünftigen Namen.

      Sie würde später anfangen, sich Sorgen um ihren Geisteszustand zu machen. Jetzt galt es, sich um Baldur zu kümmern. Die Stimme in ihrem Kopf, die ihr sagte, dass sie ebenso dringend Freya suchen müsse, ignorierte sie.

      Instinktiv fühlte sie, dass Freya sich nicht in Gefahr befand, während ihr Bruder im Sterben lag.

      Bei den Resten ihres noch immer brennenden Hauses angekommen lenkte Gerda das Pferd hinüber zur Scheune, die unversehrt geblieben war. Sie scheute sich davor, ihren verletzten Sohn in die Stadt zu transportieren. Zum einen befürchtete sie, dass der Weg zu weit war und beim Kampf um Baldurs Leben jede Minute zählte. Zum anderen wusste sie, dass niemand ihrem Sohn besser würde helfen können, als sie es vermochte. Behutsam hob sie Baldur vom Rücken des Pferdes und legte ihn in eine Ecke der Scheune. Aus den Ruinen ihres Hauses holte sie einen großen Topf, den sie am Brunnen mit Wasser füllte. Den Topf stellte Gerda in die Flammen und verschwand hastig im Wald.

      Nur kurze Zeit später erschien sie wieder, den Arm voller Kräuter. Hastig, aber dennoch mit Bedacht machte sie sich an die Arbeit. Für die Wunde an der linken Hand zerkleinerte sie die Wurzeln des Beinwurz, gab etwas kochendes Wasser hinzu und riss den Saum ihres Kleides ab, um ihn in den heißen Sud zu legen.

      Dieser notdürftige Verband würde die Schmerzen lindern. Die offene Wunde am Unterarm behandelte Gerda mit einem Brei aus Spitzwegerich, den sie mit den Blättern dieser Pflanze abdeckte. Gegen das Fieber, welches unweigerlich auftreten würde, hatte sie die Blätter und Blüten des Frauenmantels gesammelt. Ein Tee aus diesen Zutaten würde das Fieber senken, sobald Baldur in der Lage war, ihn zu sich zu nehmen.

      Nachdem Gerda die Wunden ihres Sohnes versorgt hatte, bereitete sie sich auf das langwierige Heilungsritual vor. Sie würde die Geister des Waldes beschwören und die allmächtige Herrin um Hilfe bitten.

      Mit ausgebreiteten Armen begann Gerda, längst vergessen geglaubte Worte in der alten Sprache der Striga murmelnd, den Genesungstanz für ihren Sohn.

      Die Sonne erwachte und legte sich wieder zur Ruhe, abgelöst durch ihren Bruder, den Mond, der wiederum am nächsten Morgen seiner strahlend schönen Schwester das Himmelszelt überließ. Dieser Zyklus wiederholte sich siebenmal. Während dieser Zeit sang und tanzte Gerda für ihr Kind. Um die Mittagsstunde des siebenten Tages brach die verzweifelte Mutter schließlich entkräftet zusammen. Sie hatte alles in ihren Kräften stehende getan, um ihren Sohn am Leben zu erhalten. Nun lag alles in den Händen der allmächtigen, weisen Mutter, aus deren Schoß das Leben einst geboren worden war.

      Gerda war ein wenig enttäuscht. Nachdem sie in Wolfsstein entdeckt hatte, dass die Traumfänger zurückgekehrt waren, hatte sie insgeheim gehofft, dass mit den Dämonen auch die Kräfte der Magie wiederkehren würden.

      In diesem Falle hätte es nur einen Bruchteil der jetzt verwendeten Energie bedurft, um ihre Sohn zu retten. So aber konnte sie nur abwarten und hoffen.

       Gerda war dem Wunsch der Schwesternschaft gefolgt. Ihre eigenen Bedenken und Ängste ignorierend war sie nach Wolfsstein gekommen, um das neue Selbstbewusstsein der schwächlichen Menschenrasse zu begreifen.

       Auf Schritt und Tritt begegneten ihr hier Verfall und Verderben. Die Menschen huldigten neuen Göttern und ließen die geheiligten Stätten von Tyr, Kvasir und Freyja verrotten. Sie nannten ihre neue Gottheit Baaliel und seine Priester zogen durch die Lande, um den neuen Glauben zu festigen. Einer der charismatischsten Anhänger dieses Irrglaubens war der Schmied Brego. Er betrachtete sich selbst als von Baaliel berührt, als den einen wahren Propheten der neuen Gottheit. Was als Absonderlichkeit einer kleinen Gruppe Aufrührer begonnen hatte, entwickelte sich schon bald zu einem gefährlichen Feuer, welches den Boden für eine neue Religion bereiten sollte. Die Anhänger Baaliels waren skrupellos. Wer sich ihrer Weltanschauung verweigerte, wurde als Heide und Barbar betitelt und aus den Städten vertrieben. Jeder, der die alten Götter verehrte, wurde als Ketzer getötet. Aber am fürchterlichsten wüteten sie unter den ausnahmslos weiblichen Anhängern der Göttin Freyja. Diese erhielten ein Brandzeichen auf die Stirn, welches sie als Hexe kennzeichnete. Dann wurden sie für sieben Tage auf dem Marktplatz zur Schau gestellt und schließlich am achten Tag bei lebendigem Leibe verbrannt. Diese Art des Sterbens bedeutete auch für eine wirkliche Hexe das unwiderrufliche Ende.

       Dass selbst eine harmlose Bauersfrau unter der Folter der Priester zusammenbrach und sich selbst der Hexerei beschuldigte, war allgemein bekannt. Auch Gerda sollte bald diese Erfahrung machen!

       Brego, der Schmied, hatte einen furchtlosen und wortgewaltigen Gegenspieler.

       Ansgar, der ehemalige Priester Tyrs widersetzte sich der der neuen Ordnung. Er wurde verfolgt und verleumdet. Seine Anhänger wurden gefangen genommen und so lange gefoltert, bis sie selbst die übelsten Missetaten gestanden und Ansgar der Ketzerei, der gleichgeschlechtlichen Liebe und der Opferung neugeborener Kinder beschuldigten.

       Diesem Anhänger der alten Götter stand Gerda nun endlich gegenüber. Sie hatte lange nach ihm gesucht, gefährliche Fragen gestellt und sich auch sonst verdächtig verhalten. Am Ende wäre sie beinahe von den Häschern Bregos verhaftet worden. Ein Freund Ansgars hatte sie gerade noch rechtzeitig gefunden und aus der Stadt geschmuggelt. Das heißt, so ganz entsprach das nicht den Tatsachen. War sie doch immer noch innerhalb der Stadtmauern, nur viele Meter unter der Erde.

       Ansgar war ganz anders, als Gerda sich ihn vorgestellt hatte. Er war groß, schlank und trug sein Haar schulterlang. An seiner Oberlippe und am Kinn war die Andeutung eines Bartes zu erkennen. Und er war viel jünger, als Gerda erwartet hatte; sehr viel jünger.

       „Du bist also die Frau, die nach mir sucht. Entweder bist du besonders dumm oder besonders leichtsinnig, beides Eigenschaften, die einen frühzeitigen Tod herbeiführen können.“

       „Glaubst du wirklich, ich hätte Angst vor einem dutzend dummer Bauern, die mit Knüppeln in den Händen eine neue Religion erzwingen wollen?“

       Gelassen sah Gerda ihrem Gesprächspartner in die Augen.

       „Ich suche dich, weil ich dir die Macht zurückgeben möchte. Wir beten dieselben Götter an. Du bist ein Diener Tyrs, ich eine Anhängerin Freyjas. Gemeinsam können wir diesen Aufstand beenden.“

       „Glaubst du wirklich, was du da sagst?“ Ansgar schüttelte resignierend den Kopf „ Ich sehe wohl, dass du eine Striga bist, doch selbst vereint mit all deinen Schwestern wären wir nicht in der Lage, die alten Verhältnisse wieder herzustellen. Man kann eine Menschenmenge aufhalten, indem man ihr eine mindestens gleichgroße Menge entgegenstellt, man kann ein Feuer aufhalten, indem man ihm die Nahrung entzieht, aber wie willst du eine Idee aufhalten?“

       Das hatte Gerda nicht erwartet. Die Hoffnung der Schwesternschaft war ein ängstlicher junger Mann, der den Glauben verloren hatte.

       „Wenn du keinen Sinn in deinem Handeln siehst, warum kämpfst du dann noch?“ Verächtlich zog sie den rechten Mundwinkel nach oben.

       „Warum versteckst du dich hier und versprichst deinen Anhängern Hoffnung, obschon du den Kampf als verloren betrachtest?“

       „Vielleicht brauchen die Menschen diese Hoffnung. Ich bin ein Mann des Wortes, aber meine Worte können vielleicht einen anderen, stärkeren Mann zu Taten ermutigen.“

       „ Oh, das trifft ohne Zweifel zu. Dieser starke Mann, der durch deine Worte noch stärker wird ist Brego, der Schmied. Als Hilda mich zu dir geschickt hat, vergaß sie zu erwähnen, dass du ein winselnder Feigling bist“

       Wütend drehte Gerda Ansgar den Rücken zu und wollte den Raum verlassen. Dazu hätte sie sich allerdings durch zwei Fleischberge wühlen müssen, die auf die Namen Lars und Gunnar hörten. Ansgars Leibwächter waren zwei riesenhafte