„Wenn du deine Aufpasser in Zukunft noch benötigst, solltest du ihnen raten, mir aus dem Weg zu gehen“ Zornig fuhr Gerda herum, um verblüfft festzustellen, dass ein Lächeln Ansgars Lippen umspielte.
„Bregos Leute versuchen regelmäßig in unsere Gemeinschaft einzudringen. Manchen gelingt es sogar einen Zugang zu diesen Höhlen zu finden. Wenn sie dann vor mir stehen, erkenne ich sofort, ob ihre Geschichten vom heimlichen Widerstand gegen Brego und ihr Wunsch, sich uns anzuschließen echt sind.
Lars und Gunnar sind ebenso skrupellos, wie Bregos Männer. Wir können es uns nicht leisten, dass Verräter den Weg zurück zur Oberfläche finden.“
Ansgars Lächeln wurde breiter „ Ich hoffe doch, du nimmst es uns nicht übel, dass wir uns erst über deine Identität im Klaren sein wollten, bevor wir dir vertrauen“
„Und die paar Sätze haben für diese Zwecke genügt? Dann musst du ein Gedankenleser sein!“
Jetzt lachte Ansgar laut und herzlich.
„Nein, natürlich nicht. Aber du erwähntest, dass Hilda dich geschickt hat. Niemand außerhalb der Schwesternschaft kennt eure Namen. Deshalb hat mir die Oberste deines Ordens genau dies als Erkennungsmerkmal genannt.
Wer Hildas Namen kennt, muss eine Hexe sein und da die Hexen unsere Verbündeten sind, können wir dir trauen“
Das klang in Gerdas Ohren nicht unbedingt überzeugend. Ansgar war schließlich auch keine Hexe, trotzdem kannte er Hildas Namen.
Vorerst war sie jedoch bereit, die Umstände als gegeben hinzunehmen.
„Außerdem erwähnte Hilda, dass ihre Gesandte von unglaublicher Schönheit gekennzeichnet sein würde…“
Gerda tat so, als hätte sie diese Bemerkung Ansgars nicht gehört. Sie war nicht empfänglich für Schmeicheleien und Zuneigungsbekundungen. Zumindest glaubte sie das…
5.
Die Tage kamen und vergingen. Baldurs Zustand verbesserte sich sichtbar. Fieberphantasien wurden abgelöst von Momenten der Klarheit, denen wiederum ein todesähnlicher Schlaf folgte, so tief und fest, dass kaum eine Atmung festzustellen war. Gerda hatte aus Ästen und Zweigen eine behelfsmäßige Trage zusammen-gezimmert, welche in der Lage sein sollte, das Gewicht ihres Sohnes zu tragen.
Der Überfall auf ihr Zuhause lag siebzehn Tage zurück, als sich Gerda entschloss, diesen Ort für immer zu verlassen. Es versprach ein wunderschöner Tag zu werden. Ein leichter Wind ermutigte die Bäume, mit ihren Blättern eine sanfte Melodie aus Wispern und Rascheln anzustimmen, während die Vögel in den Wipfeln die Köpfe unter den Flügeln hervorholten, unschlüssig, ob sie in das Lied des Waldes einstimmen sollten. Die Sonne war noch nicht zu sehen, jedoch konnte man ihr Erscheinen bereits erahnen.
Gerda ging mit der Trage in der Hand zu ihrem noch immer namenlosen Pferd.
„ Hast du dir einen Namen ausgedacht, oder möchtest du, dass ich dir einen aussuche?“
Mittlerweile fand sie es nicht mehr befremdlich, mit einem Pferd zu reden. Es war ja sonst niemand da.
„ Ich glaube, ich sollte dich Alsvidr nennen; der Name des Pferdes, welches den Sonnenwagen zieht. Oder wäre das zu anmaßend? Wie gefällt dir Ullrein oder Donar? “
Während Gerda das Tragegestell am Sattel befestigte, tätschelte sie mit einer Hand den Hals des Pferdes.
„ Ist dir alles zu kompliziert, oder? Wie wäre es mit Nils? “
Sie verknotete die letzten Gurte, nahm die Zügel in die Hand und ging hinüber zu ihrem Sohn, der noch immer schlief. Das Pferd schnaubte leise.
„ Jetzt hör auf, dich zu beschweren. Nils ist ein rechtschaffener Name. Viele großartige Männer hießen Nils.“
Das Schnauben des Tieres wurde lauter. Störrisch stemmte es seine Hinterbeine in den Waldboden, nicht bereit, auch nur einen Schritt weiter zu gehen.
Nervös versuchte Gerda zu erkennen, was das Pferd so beunruhigte. Sie spähte in die Dämmerung zwischen den Bäumen, lauschte den Geräuschen des erwachenden Waldes, doch nichts deutete auf eine Gefahr hin.
Doch plötzlich glaubte sie, eine schemenhafte Bewegung zwischen den Bäumen wahrzunehmen. Ganz langsam näherte sie sich dem Rand der Lichtung, als hinter ihrem Rücken unvermittelt ein ohrenbetäubendes Brüllen ertönte. Gerda fuhr auf der Stelle herum und sah eine riesige Gestalt zwischen den Bäumen hervorbrechen. Das Wesen ähnelte einem Menschen, wobei es allerdings eine Körpergröße von beinahe acht Fuß erreichte. Die gewaltigen lederartigen Flügel auf seinem Rücken verstärkten das Entsetzen noch, welches von Gerda Besitz ergriffen hatte. Nils, der in panischer Angst versuchte, sich von dem Tragegeschirr zu befreien, hatte keine Chance. Mit einem Hieb seiner gewaltigen Pranken brach der Dämon dem Pferd das Genick. Als der Traumfänger Gerda das Gesicht zuwandte, konnte sie auch, wie bereits in Wolfstein, den vertrauten Geruch von Tod und Verwesung wahrnehmen, welcher das Erscheinen dieser Kreaturen seit jeher begleitete.
Vom Entsetzen gelähmt sah Gerda nicht, wie die Schatten hinter ihr, denen sie sich gerade genähert hatte, Gestalt annahmen. Während sie den Traumfänger und das tote Pferd, dem sein neuer Name kein Glück gebracht hatte, anstarrte, vernahm sie nicht das Rascheln in ihrem Rücken, nicht die flüsternden Stimmen, die Beschwörungen in der alten Sprache murmelten. Doch ihr Instinkt verriet ihr, dass sich ihr etwas näherte. Eine kreatürliche Angst lies prickelnde Schauer ihren Rücken hinaufwandern. Vorsichtig begann sie sich umzudrehen, doch sollte sie diese Bewegung nie zu Ende führen. Bevor sie sehen konnte, was in ihrem Rücken geschah, löschte ein greller Blitz ihr Bewusstsein aus.
…Sie hatte geglaubt, immun zu sein, nicht in der Lage einen Menschen zu lieben, einen Priester. Sie hatte sich getäuscht!
Die Beziehung zwischen ihr und Ansgar war etwas Einmaliges, etwas Wundervolles. Es war die Verschmelzung zweier verbotener Götter, die Wiedergeburt des alten Glaubens und gleichzeitig der Beginn einer neuen Hoffnung.
Sie waren wie im Rausch, gaben sich ohne Bedenken dem anderen hin.
Sie liebten sich wie Verdurstende, die nach Wochen des Darbens auf eine Wasserstelle treffen, wie Erfrierende, die plötzlich mitten im ewigen Winter ein Lagerfeuer vorfinden: gierig und zügellos!
Es war ein intensiver aber kurzer Sommer der Euphorie und Träumereien, dem ein bitterer Herbst folgen sollte.
Bregos Gefolgsleute hatten es geschafft, einen Spion in den Reihen der Getreuen Ansgars unterzubringen. Durch dessen Verrat war es ihnen ein Leichtes, das unterirdische Versteck aufzuspüren. Fast alle Anhänger der alten Götter wurden getötet, Gerda wurde gefangen genommen und Ansgar konnte mit seinen beiden Leibwächtern, Lars und Gunnar, fliehen.
Die folgenden Wochen bestanden für Gerda aus Schmerz und Qualen, aus Folter und Gewalt.
In der Nacht, bevor Gerda das Brandzeichen der Hexen erhalten und auf dem Markt für sieben Tage zur Schau gestellt werden sollte, überfiel Ansgar mit dem Rest seiner Getreuen das Gefängnis. Und obwohl sie dabei alle den Tod fanden, glomm der Funke der Hoffnung weiter, da Gerda die Flucht gelungen war.
Mit sehr viel Glück und mit Hilfe ihrer Fähigkeiten gelang es ihr, zu ihren Schwestern zurückzukehren, nur um festzustellen, dass diese sich entschlossen hatten, den Kampf gegen den Baaliel-Kult gar nicht erst aufzunehmen.
Die Schwesternschaft war total zerstritten. Ein Teil war der Meinung, dass es doch egal sei, welchen Gott die Menschen anbeteten. Es sei nur wichtig, die Kontrolle über alles Leben zu behalten. Hilda führte diese Gruppe an.
Der Rest der Hexen hatte sich um die vorsichtige Sonja gescharrt. Sie betrachteten das