Hermann Mezger

Rien ne va plus


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und runzelte die Stirn. „Ist das nicht der Draufgänger, der den Drogenbaronen auf der ganzen Welt das Leben so schwer macht?“

      „Ja, das ist er! Soll ich den Chef verständigen?“

      „Später!“, fauchte sein Kollege ungehalten. „Der Man muss auf dem schnellsten Weg ins Krankenhaus.“ Er wandte sich an den Arzt. „Wird er durchkommen?“

      „Er schon! Bei dem anderen da drüben habe ich so meine Zweifel“, erwiderte der Doktor, während er Bramme eine Infusionsflasche verpasste. „Ich habe bereits einen Rettungshubschrauber angefordert. Am besten bringen wir ihn in die nächstbeste Klinik.“

      „Sie sind der Chef!“, antwortete der Polizist lapidar.

      „Natürlich wieder ein Deutscher! Die fahren doch immer wie die Verrückten!“, rief ein Mann aus der Menge. „Wann zum Teufel können wir denn endlich weiterfahren?“

      „Wenn Sie hier nicht noch ein paar Stunden warten wollen, empfehle ich Ihnen, umzudrehen“, brummte der Polizist ungehalten, wies mit einer Handbewegung auf das geschäftige Treiben ringsherum und warf dem Gaffer einen missbilligenden Blick zu. Dieser schien einen Moment lang zu überlegen, zurückzufauchen, doch dann verzog er nur herablassend die Mundwinkel, drehte sich um und stieg wieder in seinen Wagen. Die Zahl der sensationslüsternen Schaulustigen wurde immer größer, immer mehr Autos kamen angerollt und verlängerten den Stau in beide Richtungen.

      „Zurücktreten, bitte! Seien Sie doch vernünftig!“

      Eine aufgebrachte Frau schrie etwas von einem dringenden Termin, aber ihr Gekeife ging im Fluglärm eines herannahenden Hubschraubers unter.

      Als Bramme auf eine Trage gehievt wurde, öffnete er die Augen einen Spalt breit, um sie sofort wieder zu schließen. Er lächelte gequält, hatte aber offenbar begriffen, dass man sich um ihn kümmerte.

      2. Kapitel

      Während Bramme die Augen schloss und wieder in eine leichte Ohnmacht fiel, machte einige Kilometer entfernt Albert Albi ebenfalls die Augen zu. Allerdings nur, um die Nase der Sonne entgegenstrecken zu können. Der ungekrönte König der Côte d’Azur seufzte zufrieden, streckte die Beine weit von sich und nippte an seinem Glas Champagner. In den tiefen Korbsesseln zu beiden Seiten von ihm fläzten sich fünf Männer, alle zwischen fünfzig und sechzig, alle in Bermuda-Shorts und alle in eine dicke Rauchwolke gehüllt, die von kubanischen Zigarren stammte. Witze reißend und hin und wieder zum Sonnendeck hinaufspähend, auf dem sich sechs bildhübsche Mädchen oben ohne in der Sonne räkelten, ließen sie es sich im gleißenden Sonnenschein gut gehen.

      Unterdessen schipperte die große, weiße Jacht, deren einzige Passagiere sie waren, gemächlich zwischen Cap d’Antibes und Monte Carlo auf einem schier unendlichen, blauen Meer dahin. Eine angenehm kühle Brise wehte den Duft von Salz, frischem Fisch und Freiheit zu ihnen hinüber, vereinzelte Möwen riefen sich über ihren Köpfen Botschaften zu und ab und an füllte eine kokette Blondine die Platte mit Früchten und Chips auf und füllte die Sektkübel mit Eiswürfeln und Champagnerflaschen. Der herrliche Blick von ihren Sitzen aus fiel auf vorbeiziehende Städte, auf Burgen und Schlösser und auf die weiter entfernten, schneebedeckten Berge.

      Albert Albi, von allen liebevoll Papa Albi genannt, richtete sich gähnend auf. Er schob den Sonnenhut die Stirn hoch und beugte sich vor, um nach einer tief rot-orangenen Aprikose zu greifen. Auguste Roux, der offensichtlich das Gleiche vorgehabt hatte, ließ Albi sofort den Vortritt und griff stattdessen nach einer Champagnerflasche. Albi musterte Roux aus den Augenwinkeln und konnte sich ein süffisantes Lächeln nicht verkneifen. Roux konnte ein noch so gerissener Rechtsanwalt sein, aber er wusste wenigstens, wenn es Zeit war, den Kopf einzuziehen. Neben ihm paffte Paul Segret, einer der einflussreichsten Politiker Südfrankreichs, genießerisch seine zweite Zigarre, deren Glut sich in den Gläsern seiner Sonnenbrille spiegelte. Albi konnte ihn nicht ausstehen, doch solche persönliche Nichtigkeiten spielten keine Rolle, wenn es um Geschäfte ging. Und es war immer gut und vorteilhaft, wenn man auf einen Mann wie Segret zurückgreifen konnte.

      Yves Martin, zu Albis linken Seite, stand auf und trat an die Reling, wo er den Rest seiner Zigarre achtlos über Bord schnippte, sich streckte und einen erneuten Blick hinauf zum Sonnendeck warf. Albi wusste, dass Martins Architekturbüro an der Côte boomte, wie kaum ein anderes auf der Welt. Viele Gebäude, an denen ihre Jacht gemächlich vorbeiglitt, hatte seine Firma entworfen und gebaut.

      Die zwei anderen Männer, die sich jenseits von Martins leerem Sessel angeregt unterhielten, waren Philippe Ambroix, Besitzer mehrere Hotels, Kinos, Discos und Spielhallen und Dr. Pierre Savin, Chirurg und Leiter einer noblen Privatklinik. Wenig interessiert folgte Albi dem Gespräch der beiden für einige Sekunden, länger brauchte er nicht, um festzustellen, dass es um finanzielle Kabbeleien ging, etwas, das Albi im Moment überhaupt nicht interessierte. Gelangweilt zog er genüsslich an seiner Zigarre und wandte sich dem Champagner zu.

      Ein Smartphone, das auf dem Tisch zwischen dem Zigarrenanzünder und einem Champagnerkorken lag, summte. Sofort griff Roux danach, wischte in gewohnter Eile über den Touchscreen und hielt es sich ans Ohr. Amüsiert beobachtete Albi, wie ein Gewitter über Roux’ Gesicht zog und seine Augenbrauen sich zu einer finsteren Wolke zusammenzogen. Schließlich legte er das Handy mit nachdenklicher Miene wieder auf den Tisch, lehnte sich langsam zurück und gönnte sich einen tiefen Lungenzug.

      „Sorgen, lieber Freund?“, fragte Albi gelassen, schob seinen Hut wieder über die Augen und legte die Füße auf einen kleinen Beistelltisch.

      „Sorgen?“, es war eindeutig, dass Roux unbeeindruckt klingen wollte. „Das Wort kenne ich überhaupt nicht!“

      „Nicht mehr, wolltest du sicher sagen“, korrigierte ihn Albi.

      Roux schien diese Bemerkung nicht zu gefallen, aber offensichtlich beschäftigte ihn der Anruf von soeben mehr, als ihm lieb war, und er verzichtete deshalb auf eine Retourkutsche. Einige Sekunden vergingen, in denen er aufs Meer hinausstarrte, ohne es wirklich wahrzunehmen, dann stand er entschlossen auf, trat an die Reling und bedeutete Dr. Savin mit einer Kopfbewegung, sich ihm anzuschließen. Die beiden entfernten sich ein paar Schritte und sprachen mit gesenkter Stimme miteinander. Während Roux dabei aufgeregt gestikulierte, schien Dr. Savin zunächst wenig beeindruckt zu sein. Je mehr Roux auf ihn einredete, desto blasser wurde er aber, was bei seiner sonnengebräunten Haut schon etwas heißen wollte. Schließlich holte er sich hastig Hemd und Hose und schlüpfte in seine Schuhe.

      „Meine Güte, seid ihr wieder mal hektisch!“, rief Segret beinahe anklagend und blickte von Roux zu Savin und zurück.

      „Ich muss leider weg. Ein Unfall“, entgegnete Savin hastig und wollte sich entfernen.

      „Und warum klingelt dein Handy, wenn der Doktor gebraucht wird? Hast du neuerdings ein Notruftelefon?“, fragte Ambroix sarkastisch und sah dabei Roux an.

      Roux musste sich beherrschen. „Wenn ich etwas nicht leiden kann, dann sind das dumme Fragen!“, zischte er ungehalten, und Philippe Ambroix hob beschwichtigend die Hände.

      „Schon gut, schon gut!“

      Dr. Savin hob kurz die Hand, deutete einen Gruß an, nickte kurz aber respektvoll Albi zu und stieg in ein Beiboot, das ein Matrose gerade startklar machte. Kurz darauf legte das Boot ab und nahm mit voller Geschwindigkeit Kurs auf die Küste.

      3. Kapitel

      Bramme fühlte sich hundeelend. Sein Schädel, der von einer Halsmanschette gestützt wurde, brummte unter einem dicken Verband. Beruhigungsmittel in hohen Dosen machten ihn nahezu willenlos, und er musste sich zusammennehmen, um nicht aus dem Rollstuhl zu fallen, den eine hübsche Krankenschwester den Flur entlang schob. Die Wände waren eierschalenfarbig gestrichen und mit großen Fotos zugepflastert, die einen Mann mit seiner Beute bei der Großwildjagd zeigten. Der Boden war so sauber, ja fast steril, dass man sich darin spiegeln konnte. Selbst die Krankenschwester roch nach Desinfektionsmitteln.

      Es war schwierig mit diesem benebelten Kopf einen klaren Gedanken zu fassen, doch Bramme registrierte immerhin, dass er alle Glieder, wenn auch unter Schmerzen,