Hermann Mezger

Rien ne va plus


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Schuhe der Schwester quietschten unablässig auf dem sauberen Linoleum-Boden, während sie ihn vor sich herschob wie einen Servierwagen. Sie passierten eine Tür, dann eine zweite und erreichten schließlich das Foyer. Dort saß in einem bequemen Ledersessel ein untersetzter, dunkelhäutiger Mann in den Dreißigern, der sich mit einem Hut Luft zufächelte. Sein Gesicht war rund und sympathisch und wurde von zwei großen Glupschaugen dominiert, die freundlich in die Welt blickten und die wulstigen Lippen ebenso überstrahlten wie seine Nase, die aussah, als wäre sie schon mehrmals gebrochen worden. Er trug ein großblumig gemustertes Hemd über einer leichten Leinenhose.

      Als Bramme zur Tür hereingeschoben wurde, sprang der Mann sofort auf und trat auf ihn zu.

      „Bonjour, Monsieur Bramme!“, rief er überschwänglich. „Es freut mich zu sehen, dass Sie wieder bei Bewusstsein sind! Die Verkehrspolizei hat mir Ihren schrecklichen Unfall gemeldet, und da wir Kollegen sind, halte ich es für meine Pflicht, mich um Sie zu kümmern. Mein Name ist Bizon. Kommissar Henry Bizon.“

      Bramme brachte ein müdes Lächeln zustande und nickte vorsichtig mit dem Kopf. „Sehr erfreut!“

      „Excusez-moi“, unterbrach die junge Schwester ihre Unterhaltung höflich, aber bestimmt und wandte sich an den Kommissar, „können Sie sich ausweisen?“

      „Selbstverständlich!“ Bizon zog seinen Polizeiausweis aus der Brieftasche, hielt ihn der jungen Frau unter die Nase und wartete, bis er ihrem prüfenden Blick standgehalten hatte. Bizon steckte den Ausweis wieder weg und bedachte seinen deutschen Kollegen mit einem besorgten Blick.

      „Kann ich irgendetwas für Sie tun?“

      „Sie können Ihren Kollegen gleich mitnehmen“, warf die Schwester höflich ein und zog Bizons Aufmerksamkeit damit erneut auf sich. „Das hier ist eine Privatklinik. Unsere Patienten brauchen absolute Ruhe. Zwei Unfallopfer auf einen Schlag bringen unseren Tagesablauf total durcheinander. Im Übrigen schadet es dem Ruf unseres Hauses, wenn die Polizei hier ein- und ausgeht.“

      „Ist Monsieur Bramme denn transportfähig?“

      „Monsieur Bramme ist zwar noch etwas benommen, aber er hat eine ausgezeichnete Konstitution. Er hat ein Schleudertrauma und sollte die Halsmanschette noch ein paar Tage tragen. An seinem linken Oberschenkel mussten wir eine Fleischwunde nähen. Die Fäden müssen in zehn Tagen gezogen werden. Das kann aber jeder beliebige Arzt. Die übrigen Schrammen und Prellungen heilen von selbst.“

      „Haben Sie gehört Monsieur?“, Bizon suchte Brammes Blick, „trauen Sie sich das zu?“

      „Ja, ich denke schon.“

      „Sehr gut!“, der kleine Franzose klatschte vergnügt in die Hände. „In diesem Zustand können Sie aber nicht im Hotel Martinez aufkreuzen. Ich werde Ihr Zimmer dort stornieren und bringe Sie in ein kleines, aber sehr feines Hotel. Sie brauchen jetzt dringend ein paar Tage Ruhe.“

      „Woher wissen Sie denn, dass ich im Hotel Martinez wohne?“

      „Wir haben Ihren Zimmerausweis in Ihrem Sakko gefunden.“ Bizon wandte sich wieder der Krankenschwester zu.

      „Eine Sache wäre da noch: Geben Sie mir bitte die Krankenakte von Monsieur Bramme.“

      „Wozu, wenn ich fragen darf?“

      „Wir haben es hier mit einem Unfall zu tun“, erklärte Bizon seelenruhig, „und es wird sicher eine Gerichtsverhandlung geben. Es ist wichtig zu wissen, wie viel Promille mein Kollege zum Zeitpunkt des Unfalls hatte.“

      „Das kann ich Ihnen genau sagen: Null Komma null.“

      „Ich brauche das schriftlich“, fuhr Bizon beharrlich fort, und Bramme gefiel sofort die Ruhe und Gelassenheit, die sein Kollege an den Tag legte. „Dasselbe gilt natürlich auch für den zweiten Patienten, den Unfallverursacher.“

      „Der liegt noch im künstlichen Koma.“

      „Und selbst wenn er tot wäre, ich muss darauf bestehen, Madame.“

      Die Schwester drehte sich um und ging mit quietschenden Latschen den Flur entlang, während Bizon sich wieder um Bramme kümmerte.

      „Sie sind jetzt in guten Händen, Monsieur Bramme. Ich werde alles tun, um von Ihrem Urlaub zu retten, was noch zu retten ist.“

      4. Kapitel

      Rotgoldene Sonnenstrahlen fielen Bramme in den Schoß und wärmten seine Glieder. Er hatte die Augen geschlossen, den Kopf in den Nacken und die Beine hochgelegt, und er genoss die Ruhe, die der parkähnliche Garten unter ihm ausstrahlte. Seinen Urlaub hatte er sich nicht auf dem Balkon eines Hotelzimmers und schon gar nicht mit brummendem Schädel und Halsmanschette vorgestellt, und dass sein Auto nun ein Schrotthaufen war, konnte er jetzt noch nicht glauben.

      „Schön, nicht wahr?“, ertönte Bizons Stimme hinter ihm. Der Kommissar hatte Bramme bis ins Zimmer begleitet, ihm beim Verstauen seiner Habseligkeiten geholfen und dafür gesorgt, dass es ihm an nichts fehlte. Bramme war ihm dafür überaus dankbar.

      „Ja, ein sagenhaft schöner Sonnenuntergang. Ich muss nur daran denken, dass auch ich heute fast untergegangen wäre“, seufzte Bramme.

      „Sie doch nicht! Sie haben doch heute tausend Schutzengel gehabt! Eine andere Erklärung gibt es überhaupt nicht. Dass Sie aus Ihrem Autowrack noch lebend herausgekommen sind, grenzt an ein großes Wunder. Aber wie man so hört, muss das bei Ihnen immer so sein.“

      Bramme zog fragend die Augenbrauen hoch.

      „Sie sind in unseren Kreisen schließlich kein Unbekannter, Monsieur!“, klärte ihn Bizon auf.

      Bramme lächelte bescheiden. „Auch Schutzengel darf man nicht zu sehr strapazieren“, erklärte er und Bizon nickte nachdenklich, als wisse er genau, was Bramme damit meinte. Wahrscheinlich erinnerte er sich in diesem Moment daran, wie oft bei ihm selbst schon ein Schutzengel versagt hatte.

      Eine kurze Stille trat ein und beide schauten gedankenverloren zum Horizont und bewunderten die untergehende Sonne.

      „Darf ich fragen, ob Sie dienstlich oder privat unterwegs sind?“, durchbrach Bizon schließlich die Stille.

      „Ich wollte mal ein paar Tage ausspannen, einfach mal abschalten und Sonne tanken. Und dann kommt mir am ersten Urlaubstag so ein Idiot in die Quere. Der Kerl muss besoffen gewesen sein.“

      „Ist er nicht. Er hat – wie Sie auch – null Komma null Promille.“

      „Wer’s glaubt wird selig“, brummte Bramme halblaut. „Wie geht es ihm überhaupt?“

      „Nicht gut. Dr. Savin bezweifelt, dass er durchkommt.“

      „Er ist also nicht vernehmungsfähig?“, fragte Bramme aus purer Gewohnheit, obwohl er sich die Antwort hätte denken können.

      „Nein, wo denken Sie hin?!“, Bizon schien zwischen Belustigung und Erstaunen zu schwanken, während er auf Bramme blickte, dessen Gesicht vom Abendrot leuchtete.

      „Weiß man wenigstens schon, wie er heißt?“

      „Ja, Louis Pocher, 32 Jahre alt, mehrfach vorbestraft und arbeitslos. Dabei fuhr er einen teuren Wagen und hatte die Taschen voller Geld. Ich möchte zu gerne wissen, mit was sich dieser Herr seinen Lebensunterhalt verdient hat.“ Bramme fiel auf, dass Bizon nicht erst im Notizbuch nach dem Namen und den Details suchen musste. Gut unterrichtete Beamte mochte er.

      „Und was ist mit meinem Wagen geschehen?“, fragte Bramme und verspürte bei dem Gedanken an sein schickes Cabrio ein leichtes Stechen in der Magengegend.

      „Beide Wagen, beziehungsweise das, was von ihnen übrig blieb, werden von unseren Technikern eingehend untersucht.“

      Beide schwiegen eine Zeitlang und ihre Blicke schweiften ins Leere. Die Eiswürfel in seinem Glas klimperten leise, als Bramme sich aufrichtete.

      „Hatte Pochers Wagen ein Navigationsgerät?“, fragte er.

      „Da