Andreas Zenner

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Augenbrauen hoch. Statt zu antworten küsste er ihren Mund, fuhr mit der Zunge zwischen ihre Zähne. Er liebte es morgens mit ihr zu schlafen. Es fühlte sich anders an als nachts, sanfter, zärtlicher. Kein wilder Trieb drängte sie zueinander, kein lustvolles Ringen, keine verzehrende Leidenschaft. Es glich eher – er suchte nach einem Vergleich – es glich den sanften Wellen des Meeres, die über seinen Körper plätscherten, wenn er am Strand in der Sonne lag. Sie kamen und gingen, streichelten die Haut, umspülten alles bis tief ins Herz hinein. Der Leib gab sich dem Rieseln des Sandes hin, den Strahlen der Sonne. Kein Gedanke mehr an die Arbeit, an den ständigen Ärger mit seinen Auftraggebern. Sich lautlos treiben lassen, eins werden mit dem Meer, der Sonne, dem Sand und ihr. Er tauchte ein in ihre Weichheit, ihre Wärme, ihre Liebe. Tiefe Freude durchflutete ihn, er hätte laut jauchzen können, so glücklich kam er sich vor.

      „Ist es gut?“, hauchte sie. Sie roch seine Haare, die immer eine Spur nach Meer dufteten und schmeckte seine leicht salzige Haut.

      „Ich liebe dich, ich liebe dich, mehr als alles auf der Welt.“

      Sie streichelte ihm das Gesicht und er wurde gewahr wie eine Träne aus ihrem Augenwinkel über die Schläfe in das schwarze Haar rann. Behutsam, ohne sich von ihr zu lösen, küsste er sie weg.

      „Es wird schon“, raunte er ihr tröstend zu. „Wir haben so viel Zeit.“

      Sie wusste, er hatte recht – und doch. Eine bange Ahnung zog wie ein grauer hässlicher Schatten durch ihr Herz.

      „Denk nicht daran, nicht jetzt.“

      Sie schloss die Augen, so konnte er ihre Tränen nicht sehen. Und doch waren sie da. Er liebte sie ganz sanft, voller Inbrunst, als glitten sie, ineinander verschlungen durch das stille Wasser eines Sees, im gleichen Rhythmus, im gleichen Atem. Fast unmerklich kam es ihm und er genoss es anders, inniger, zärtlicher als im Dunkel der Nacht. Lange hielten sie sich im Arm, lagen eng aneinander geschmiegt, als müssten sie sich wärmen.

      „Das war schön“, hauchte sie ihm ins Ohr, „lass uns noch ein wenig schlafen.“

      Behutsam löste er sich von ihr, wickelte sich in sein Laken und schlief gleich einem Kind sofort ein. Cielo regte sich nicht. Lautlos liefen die Tränen über ihr Gesicht, tropften auf das Kopfkissen, bildeten einen feuchten Fleck. Sie wollte das nicht, wusste nicht einmal zu sagen, warum ihr gerade jetzt die Tränen kamen. Allein sie konnte sich nicht dagegen wehren. Sie spürte den Kloß in ihrer Kehle, versuchte ihn hinunter zu schlucken, vergeblich.

      „Ich bin doch glücklich, ich habe den liebsten Mann der Welt“, sprach sie sich in Gedanken Mut zu. Möglicherweise hatte er recht, vielleicht müssten sie sich nur gedulden; sie war noch jung, knappe 32 Jahre. Woher also kam diese dunkle Ahnung, die sie von Zeit zu Zeit heimsuchte? Sie bemühte sich, die trüben Gedanken zu verscheuchen, versuchte an etwas Schönes, Heiteres zu denken. Die ersten Sonnenstrahlen hüpften ins Schlafzimmer, malten lustige Kringel an die Decke, sprangen auf ihr rotes Kleid, ließen die Farben für einen Augenblick hell aufblitzen. Dann fielen ihr die Augen zu und sie sank in einen unruhigen Schlaf.

      Sie erwachten spät, duschten endlos miteinander und frühstückten auf der Veranda. Der Wind schaukelte die Zweige der mächtigen kalifornischen Eiche, die einen Teil des Gartens in bläulichen Schatten tauchte. Im Laufe der Jahre stetig gewachsen überragte der Baum das Haus und er hätte schon längst gefällt gehört. Doch Heinrich brachte es nicht über das Herz, den alten Baum abholzen zu lassen. Zu viele Erinnerungen verband er mit dem knorrigen alten Gesellen.

      Sprach ihn Cielo darauf an, antwortete er: „Solange ihn der Sturm nicht umreißt, mag er stehen bleiben. Sonne haben wir hier überall, aber Schatten, Schatten ist etwas Kostbares in Kalifornien.“ Schwarzer mexikanischer Kaffee dampfte in bunten Bechern, dazu aßen sie Tortillas, die Cielo gestern gebacken hatte. Für den Teig verwendete sie selbst angebauten Mais, den sie in einer sonnigen Ecke des Gartens mit Hingabe züchtete.

      „Der eigene Mais schmeckt tausendmal besser als das gekaufte Zeug. Wer weiß, was da alles drin ist“, behauptete sie steif und fest, ließ sich auch durch die spöttischen Bemerkungen Heinrichs nicht davon abhalten. Gutmütig ließ er sie gewähren. Cielo stammte aus Oaxaca und diese Provinz ist die Maiskammer Mexikos. Die Liebe zum Maisanbau war ihr in die Wiege gelegt. Am Rande hatte er über Cielos Vater mitbekommen, dass in der Schatzkammer mexikanischer Maissaaten von merkwürdigen Vorgängen um den Mais gemunkelt wurden. Doch er interessierte sich nicht wirklich dafür. Mexiko war weit und sie lebten in Kalifornien. Sollte Cielo ihren kleinen Spleen haben. Insgeheim musste er ihr sogar recht geben. Die Tortillas mit ihrer Füllung aus kaltem Hähnchenfleisch und Tomaten schmeckten köstlich. Er musterte Cielo verstohlen von der Seite. Ihren schlanken Körper im luftigen Sommerkleid, das gebräunte, feingeschnittene Gesicht mit den vollen Lippen und den kräftigen Wangenknochen, die dunklen Augen, die unter den langen Wimpern hervor blitzten. All das liebte er an seiner betörend schönen Frau und manchmal konnte er sein Glück kaum fassen, sie zur Partnerin zu haben. Fünf Jahre waren sie verheiratet. Er erinnerte sich mit Vergnügen an die ausgelassene Hochzeitsfeier, die sie im Heimatdorf seiner Frau gefeiert hatten. Ganz Jamiltepec war auf den Beinen. Es wurde gegessen, getrunken, getanzt und wieder gegessen. Mitten im Festgewühl Padre Pio, der sich als über die Maßen trinkfest erwies.

      „Behandle meine Cielo gut“, dröhnte der Kirchenmann zu später Stunde, „sonst soll dich der Teufel holen, Gringo, und dass ihr mir viele, nette Kinderchen macht.“

      Unwillkürlich musste Heinrich lächeln, so greifbar stand das Bild vor ihm. Sie rückte ihren Stuhl an seine Seite, streichelte Heinrichs gebräunten Arm und sah ihn fragend an.

      „Ich musste an Padre Pio denken“, beantwortete er ihre unausgesprochene Frage. Sie lächelte, dann huschte ein Schatten über ihr Gesicht.

      „Und“, wollte er wissen, „hätte ich das nicht erwähnen dürfen?“

      Sie schüttelte tapfer den Kopf und er nahm wahr, wie sie schluckte.

      „Es wird schon klappen, irgendwann“, munterte er sie auf.

      „Sicher“, doch in ihrer Stimme schwangen unüberhörbare Zweifel mit.

      Er merkte, es wäre besser das Thema zu wechseln.

      „Was wollen wir heute unternehmen?“, fragte er betont fröhlich. Sie blickte ihn erleichtert an.

      „Ich muss einkaufen, aber das geht schnell, dann könnten wir zum Strand gehen. Es wird ein heißer Tag. Ich würde gerne ein wenig schwimmen, du kannst windsurfen.“ Sie wusste, er liebte Windsurfen über alles und es war eine Freude ihm zuzusehen wenn er sportlich auf seinem Brett durch die Wellen kurvte, verfolgt von den bewundernden Blicken vieler Frauen. Cielo genoss es, wenn andere Frauen ihrem Mann nachschauten, es machte sie stolz und führte ihr vor Augen, wie viel Glück sie bei der Wahl ihres Mannes bewiesen hatte.

      „Prima“, pflichtete er ihr bei, „dann kann ich gleich mein neues Board ausprobieren.“ Er küsste sie stürmisch auf den weichen Mund. Sie verstand es, ihm die Wünsche von den Augen abzulesen.

      „Aber vorher gehen wir einkaufen.“

      Er half ihr das Geschirr abzuräumen, stapelte alles ordentlich in die Spülmaschine. Er nannte es Spülmaschinen-Tetris. Dann fuhren sie mit dem Pickup zum Supermarkt. Dort herrschte wie jeden Samstag dichtes Gedränge. Mütter schoben ihre Einkaufswagen durch die engen Gassen, vorbei an den überquellenden Regalen, schimpften ihre Kinder, die quengelnd die Ständer mit den Süßigkeiten umlagerten. Zwei Jungen stritten lautstark um ein Mickey-Maus-Heft. Dazwischen quäkte die Ansage des Marktleiters, informierte über die heutigen Sonderangebote.

      „Nichts wie raus hier“, raunte Heinrich. „Hast du alles?“

      „Nur noch ein paar Tomaten und für morgen tiefgefrorene Garnelen, dann bin ich fertig.“

      Sie zahlten, schoben ihren Einkaufswagen über den weitläufigen Parkplatz. Neben ihnen stand das Auto einer Frau, die zwei kleine Kinder, offensichtlich Zwillinge, in den Kindersitzen festgeschnallt hatte. Die Mutter verstaute ihre Lebensmittel im Kofferraum und die beiden Mädchen greinten trotzig. Cielo hätte am liebsten mit geweint, so ging