Andreas Zenner

GMO


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      „Warum, warum nur?“, jammerte sie.

      „Ich weiß es nicht, Liebes.“

      Jetzt da sie das erste Mal bewusst darüber sprachen, wich der Druck ein wenig von ihnen. Der zarte Körper der Frau wurde von Weinkrämpfen geschüttelt.

      „Meine Geschwister haben alle Kinder. Julio sogar Zwillinge. Ich schäme mich so. In Mexiko ist Kinderlosigkeit eine Schande.“

      „Nicht doch mein Engel, vielleicht kannst du nichts dafür.“

      „Wie meinst du das“, fragte sie misstrauisch.

      „Vielleicht besteht ein körperliches Hindernis. Ich habe gehört, man könnte die Tuben durchblasen.“

      „Und wenn es nicht an mir liegt?“

      Heinrich schwieg. Darüber wollte er nicht nachdenken.

      „Wir können nichts ausschließen. Doch einfach warten sollten wir auch nicht.“

      Erleichtert und dankbar sah sie ihn an.

      „Die Frau heute Morgen hat noch von einer anderen Möglichkeit erzählt.“

      „Im Reagenzglas, pfui Teufel“, Cielo schüttelte sich.

      „Ich meine ja nur, aber darüber brauchen wir uns heute Abend nicht den Kopf zu zerbrechen.“

      „Es ist doch immer so schön mit uns“, seufzte Cielo.

      „Daran ändert sich nichts“, meinte er und wollte ihr damit Mut zusprechen.

      „Es hat sich schon geändert“, flüsterte sie, „ich kann die Gedanken an ein Kind nicht abschalten.“

      Heinrich erschrak.

      „Ich halte den Druck nicht mehr lange aus. Heute war ich am Rande eines Nervenzusammenbruches.“

      „Sag nicht so etwas.“

      „Du verstehst mich nicht“, weinte Cielo traurig. Der Vorwurf wog schwer. Heinrich löste den Arm von seiner Frau.

      „Warum? Denkst du, ich leide nicht?“

      „Du machst nicht den Eindruck“, stieß sie trotzig hervor.

      „Cielo, ich liebe dich, du bist die einzige Frau mit der ich bis ans Ende meines Lebens zusammen bleiben möchte, ob mit oder ohne Kinder.“

      Der Mond leuchtete durch die Blätter der Eiche, sein weiches Licht stimmte die beiden versöhnlich. Sie fröstelten, spürten die kalte Nachtluft auf der bloßen Haut.

      „Lass uns ins Haus gehen.“

      Das Sofa fühlte sich weich und gemütlich und gleich viel wärmer an. Tröstlich und freundlich schimmerte das Licht der Deckenleuchte. Das Windlicht auf dem Couchtisch brannte ruhig.

      „Wir sind keinen Schritt weiter gekommen“, meinte Cielo, die aufgehört hatte zu weinen. Er reichte ihr ein Kleenex und sie schnäuzte sich ausgiebig.

      „Vielleicht“, hub Heinrich gedankenvoll wieder an, „sollten wir uns beraten lassen.“

      „Daran habe ich auch gedacht“, flüsterte Cielo und Hoffnung schwang in ihrer Stimme mit. Sie kuschelte sich an ihren Mann, schloss die Augen, seufzte tief. Heinrich strich ihr über das blauschwarz schimmernde Haar.

      „Wie schön sie ist“, dachte er.

      „Cielo, geliebte Cielo“, hauchte er ihr ins Ohr. Mutlos saßen sie, schweigend, eng umschlungen, hielten sich tröstend in den Armen.

      „Ich stehe das mit dir durch.“ Voller Zutrauen sah sie ihn an.

      „Lass uns nach oben gehen.“

      Hand in Hand stiegen sie die Treppe hinauf. In dieser Nacht liebten sie sich mit verzweifeltem Mut und doch so zärtlich, bis sie zu guter Letzt erschöpft in einen unruhigen Schlaf sanken.

      „Montag mache ich einen Termin“, überlegte sie, bevor sie in fiebrige Träume hinüberglitt.

      Allein das Schicksal hatte anderes mit ihnen vor. Gegen 10:00 Uhr morgens, die Gerstones saßen auf der Terrasse beim Frühstück, läutete das Telefon. Cielo sprang auf, eilte ins Wohnzimmer. Um diese Zeit pflegte sie mit ihrer Mutter in Mexiko zu telefonieren. Doch es war nicht die Mutter. Cielo brachte Heinrich das Telefon.

      „Es ist dein Halbbruder“, rief sie und hielt die Sprechmuschel zu.

      „Was will der denn?“, brummte Heinrich unwillig. Die beiden verstanden sich nicht sonderlich und ihn beschlich immer ein unangenehmes Gefühl, wenn er Eduard am Telefon hatte.

      „Hier Heinrich.“

      Cielo verstand nicht was die beiden sprachen, aber es schien kein Anruf aus purer Höflichkeit zu sein. Heinrichs Stimme klang heiser.

      „Wann?“, fragte er und, „Wo ist er jetzt?“

      Die Kaffeetasse in seiner Hand zitterte. Er stellte sie behutsam zurück auf den Tisch. Cielo ahnte: das waren keine guten Nachrichten.

      „Ich komme, so schnell ich kann“, krächzte Heinrich ins Telefon. „Ich gebe dir Bescheid, wann das Flugzeug landet.“

      Er unterbrach die Verbindung. Cielo wartete geduldig. Ihr Mann würde erzählen, was vorgefallen war, wenn er sich wieder beruhigt hatte. Heinrich nahm einen Schluck Kaffee, starrte ins Leere. Er saß minutenlang, wie versteinert.

      „Was ist passiert?“ Cielo hielt die Spannung nicht mehr aus. Wie aus einem hässlichen Traum erwachte Heinrich. Er sah seine Frau an und sie bemerkte das Glitzern, von Tränen, in seinen Augen.

      „Vater hatte einen Herzinfarkt. Er liegt auf der Intensivstation. Die Ärzte meinen, es geht zu Ende. Er möchte mich noch einmal sehen“, flüsterte er kaum hörbar.

      Cielo legte ihre Hand mitfühlend auf die seine. Sie schwieg. Was hätte sie auch Tröstendes sagen können.

      „Ich habe es kommen sehen“, stammelte Heinrich. „Es ist nicht sein erster Infarkt. Doch dieser scheint schlimmer zu sein als die vorherigen.“

      „Soll ich mitkommen?“, bot sich Cielo an. Er schüttelte den Kopf.

      „Nein, da muss ich alleine durch.“

      Er erinnerte sich: sein Vater verweigerte ihnen die Zustimmung zu ihrer Hochzeit. Darüber entbrannte vor Jahren ein heftiger Streit.

      „Mein Sohn heiratet keine Mestizin, hatte der Vater ihn mit rotem Gesicht angebrüllt. Mein Sohn nicht.“

      Doch Heinrich blieb hart. Trotz aller Verwünschungen ließ er sich nicht umstimmen, wollte nicht auf seine Liebe verzichten. Wütend trennten sie sich und Heinrich war zu stolz, mit dem alten Sturkopf wieder ernsthaft Kontakt aufzunehmen. Er schrieb die obligaten Geburtstagsgrüße, die Weihnachtsglückwünsche und ganz selten nur rief er an. Der Alte blieb beleidigt, obwohl ihre Auseinandersetzung sechs Jahre zurück lag.

      „Weiße heiraten Weiße, keine Farbigen“, hatte ihm der Vater damals unversöhnlich ins Gesicht geschleudert. Er hatte etwas von Familienehre gefaselt, von Rassenschande. Rassenschande, ein Wort mit dem Heinrich nichts anfangen konnte, das jedoch Furchtbares beinhaltete.

      „Wie sollen deine Kinder aussehen? Mischlinge, kleine Bastarde.“ Das wenigstens stand nicht zur Debatte. Um ein Haar hätte der Vater sich dazu hinreißen lassen, den Sohn zu verstoßen. Im Zorn waren sie auseinandergegangen. Seitdem hatten sie dieses Thema nicht mehr angeschnitten. Und jetzt das. Heinrich fühlte sich elend beim bloßen Gedanken, den Vater besuchen zu müssen, ihn vielleicht nicht mehr lebend anzutreffen. Er wünschte sich, sie könnten in Frieden voneinander scheiden, denn trotz allem blieb er sein Vater. Er hatte ihm das Leben gegeben, er hatte ihn aufgezogen, sein Studium ermöglicht, bis zum frühen Tod der Mutter, für eine unbeschwerte Kindheit gesorgt. In Gedanken versunken frühstückten sie weiter. Heinrichs Bewegungen wirkten schleppend, als zögere er die anstehende Reise so lange wie möglich hinaus. Cielo schenkte ihm Kaffee nach, gab einen Schuss