Andreas Zenner

GMO


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er langweilt sich dabei nur. Sein Vater hat dieses Wochenende Dienst auf der Marinebasis und ich habe niemanden, der auf ihn aufpassen könnte.“

      Heinrich schickte einen schnellen fragenden Blick zu seiner Frau hinüber. Cielo nickte.

      „Manuel“, rief Mary, „Manuel, beeile dich, du darfst mit den Gerstones an den Strand.“ Manuel, ein quirliger achtjähriger Junge mit einem roten Haarschopf stürmte aus dem Haus, die Badetasche unter dem Arm.

      „Danke, dass Sie mich mitnehmen“, grinste er zufrieden, warf seine Tasche auf die Ladefläche des Pickups und schlüpfte in den Wagen. Er fing gleich an zu quatschen, die trübe Stimmung von Heinrich und Cielo schien er nicht zu bemerken.

      „Cool, alleine zuhause ist es langweilig und im Fernseher kommen nur die blöden Simpsons, da kenne ich schon alle Folgen."

      Er verfiel in die Sprache des Rotzlöffels Bart und das gelang ihm so täuschend echt, dass Cielo lächeln musste. Gemächlich rollte der Wagen den Ocean Boulevard hinunter, am Hotel del Coronado vorbei, in dem sie den Film „Manche mögen es heiß“ gedreht hatten, und weiter auf die Landzunge des Silver Strand State Beach. Sie suchten einen Platz, auf dem nicht ein Handtuch das andere berührte, machten es sich im warmen Sand bequem. Jetzt Ende Mai war die Luft noch nicht so drückend heiß wie im August. Die beiden Männer stürzten sich sofort ins Wasser. Sie planschten, bespritzten sich und schwammen einträchtig ein Stückchen nebeneinander her. Cielo in ihrem knappen schwarzen Bikini beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Sie lag auf dem Bauch, die Wochenendzeitung vor sich, doch ihre Augen konnten den Zeilen nicht folgen. Mit den Gedanken weilte sie bei der Mutter der Zwillinge. Sie neidete der Frau ihr Glück, schämte sich dabei ein bisschen. Das Rauschen der Wellen und die leichte Brise schläferten sie ein. Sie erwachte von einem kalten Schwall glitzernder Wassertropfen, die auf ihren Rücken fielen. Die beiden Männer machten sich den Spaß, die nassen Haare über ihr auszuschütteln.

      „Das ist gemein!“, schrie sie und sprang auf. Sie jagten den Strand hinauf, bis die zwei trocken waren.

      „Manuel, du bist noch immer ganz durchgefroren“, rief Cielo fürsorglich.

      „Wickle dich in dein Handtuch, bis dir wieder warm ist.“

      „Wenn du auf den Jungen aufpasst, würde ich gerne eine halbe Stunde surfen“, lachte Heinrich. Er packte sein Brett und weg war er. Cielo sah ihm nach. Sie liebte es, ihm beim Surfen zuzusehen, wie er geschickt die Wellen schnitt. Sein braungebrannter Körper wiegte sich elegant auf dem schwankenden Brett, das blonde Haar leuchtete in der Sonne. Zärtlichkeit berührte ihr Herz und erneut war ihr zum Weinen zumute.

      Es geht uns doch gut, beruhigte sie sich. Manuel hockte neben ihr, zusammengekauert. Er zitterte, trotz des wärmenden Handtuchs.

      „Wenn ich groß bin, werde ich ein berühmter Surfer“, verkündete der Junge. „Vielleicht lässt mich Ihr Mann mal auf sein Brett.“ Cielo lachte.

      „Dann“, fuhr er eifrig fort, „fliege ich nach Hawaii und nehme an den Wettbewerben teil. Ich verdiene viel Geld und mache eine eigene Surfschule auf.“

      Sie schwiegen eine Weile, sahen Heinrich zu, der durch die Wellen kurvte.

      „Warum haben Sie eigentlich keine Kinder?“, fragte Manuel in kindlicher Unschuld. Cielo schluckte. Eine Wolke von Traurigkeit wehte über ihr Gesicht.

      „Weißt du, es klappt irgendwie nicht.“

      „Wieso?“

      Cielo zuckte mit den Schultern.

      „Sie wären bestimmt eine tolle Mutter, und Ihr Mann ein super Vater.“

      „Mal sehen“, meinte Cielo kurz angebunden.

      „Magst du einen Keks?“ Der Junge griff zu und für Cielo war das Gespräch beendet. Sie wollte ihren Seelenzustand nicht mit einem kleinen Jungen teilen. Cielo musste sich eingestehen, sie selbst hatte noch keine rechte Klarheit über dieses Thema gewonnen. Bis heute hatten sie und Heinrich nicht wirklich über ein Kind gesprochen und ganz sicher war sie sich auch nicht, ob sie schon Mutter werden wollte. Ihr morgendlicher Gefühlsausbruch überraschte und erschreckte sie. Sie brauchte Zeit, um sich über ihre Empfindungen klar zu werden und zunächst müsste sie mit Heinrich darüber reden. Vielleicht heute Abend. Sie wollte einen Zeitpunkt abwarten, der ihr günstig erschien. Gewiss, sie wurde dreiunddreißig, eigentlich ein gutes Alter um Kinder zu bekommen. Warum klappte es dann nicht? Lag es vielleicht an ihr, oder an Heinrich? Die Ungewissheit belastete sie und sie stellte eine wachsende Unzufriedenheit bei sich fest.

      „Kommen Sie, lassen Sie uns Ball spielen“, forderte Manuel sie auf. Sie spielten eine Runde Beach-Volleyball und die schnellen Bewegungen, die Konzentration auf das Spiel verscheuchten ihre trüben Gedanken. Die Sonne neigte sich dem Meer zu, in der Ferne schimmerten bläulich die Berge im Dunst des Abends. Eine kühle Brise wehte vom Meer her, die beiden fröstelten.

      „Wir sollten gehen, es wird kalt.“ Sie winkten Heinrich aus dem Wasser, packten ihre Sachen zusammen und fuhren nach Hause.

      Sie hatten gut gegessen, Burritos mit scharfer Soße. Heinrich fühlte sich behaglich, er reckte und dehnte sich, wohlige Müdigkeit steckte in seinen Gliedern. Sie saßen auf der Veranda, die laue Nacht ließ es zu, auch wenn er sich einen leichten Pullover übergezogen und sie ein gesticktes Rebozo um die blanken Schultern gelegt hatte. Das Windlicht flackerte auf dem Tisch und die Kerze brachte den Cabernet Sauvignon in den Gläsern rot funkelnd zum Leuchten. Er legte seinen Arm um Cielo und drückte sie leicht an sich. Doch Cielo war mit ihren Gedanken nicht bei ihm. Er küsste sie auf den Hals, versuchte ihre vollen roten Lippen zu erhaschen. Sie wich ihm mit einer leichten Drehung des Kopfes aus.

      „Wir müssen reden“, sagte sie schließlich mit gepresster Stimme.

      „Ja.“

      Sie wartete, doch er machte keinerlei Anstalten mehr zu sagen. Cielo seufzte. Verstand er sie nicht oder hatte er nur Angst das Problem anzusprechen. Nach ihrem morgendlichen Gefühlsausbruch kein Wunder. Beide fühlten sie, sie sollten über Cielos Kinderwunsch reden, alleine sie scheuten sich. Ein Gespräch hätte eine Entscheidung nach sich ziehen müssen. Aufschieben schien aber auch keine Lösung zu sein. Cielo seufzte erneut. Heinrich nahm ihre Hand, strich zärtlich mit dem Daumen über ihren Handrücken.

      „Ja“, wiederholte er aufmunternd.

      Cielo fasste sich ein Herz.

      „Ich verstehe nicht, warum es einfach nicht klappen will. Ich weiß, du hättest auch gerne Kinder.“

      Heinrich pflichtete ihr bei.

      „Wir sind jetzt sechs Jahre zusammen. Anfangs habe ich verhütet, doch seit über zwei Jahren nehme ich keine Pille mehr. Trotzdem tut sich nichts. Ich werde nicht schwanger. Wir haben uns so viel Mühe gegeben.“

      „Vielleicht liegt es daran, dass wir uns zu sehr auf ein Kind fixiert haben, zu sehr verkrampfen.“

      „Hast du das Gefühl ich bin verkrampft?“

      „Eigentlich nicht.“ Er sah ein, er hatte die Ursache unbewusst bei ihr gesucht. Dass er der Grund ihrer Kinderlosigkeit sein könnte, kam ihm nicht in den Sinn. Stille Tränen rannen über Cielos Gesicht. Erschrocken bemerkte er, wie tief er sie verletzt hatte.

      „Entschuldige“, stotterte er. Er streichelte ihr sanft die Schultern, drückte sie ein wenig fester an sich. Da überflutete das angestaute Leid alle Dämme. Sie weinte laut auf, warf sich an seine Brust.

      „Ich bin so verunsichert“, stieß sie zwischen zwei Schluchzern hervor. Mit einer hilflosen Geste versuchte Heinrich sie zu beruhigen. Doch all der unausgesprochene Kummer, die quälende Unsicherheit mussten jetzt heraus. Unaufhörlich liefen die Tränen. Sie mussten geweint werden, waren zu lange unterdrückt. Der heutige Tag hatte sie überfordert, ihre dunkelsten Gefühle nach oben gespült. Cielo warf sich vor als Frau versagt zu haben: sie konnte nicht Mutter werden, glaubte sie.

      „Sogar Manuel hat schon gefragt“, klagte sie.

      „Dieser Schlingel.“