Andreas Zenner

GMO


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herum kasperte.

      „Süß, nicht?“, sprach sie die Mutter an, die mit dem Verladen der Milchkartons und der übrigen Einkäufe fertig war, nun um das Auto herum gegangen kam und neben Cielo stehen blieb.

      „Sehr süß“, seufzte Cielo.

      „Schon, aber bisweilen furchtbar nervig. Sie machen alles gemeinsam. Sie wollen zur gleichen Zeit essen, sie weinen gleichzeitig und sie wollen zugleich getröstet werden. Das macht einen fertig“, stellte die Mutter erschöpft fest. Manchmal wünschte ich mir sechs Arme zu haben, wie diese indische Gottheit.“

      „Trotzdem schön“, mutmaßte Cielo, „wie heißen sie denn?“

      „Wir haben sie Scarlett und Britney getauft. Mein Mann hat ein Faible für Filmstars, besonders für die jungen blonden“, lächelte die Mutter schwach.

      „Darf ich sie mal halten?“, bat Cielo und ihre Stimme zitterte ein wenig. Die Frau lachte überlaut.

      „Warum nicht, vielleicht beruhigt sie das.“

      Sie befreite die Zwillinge aus ihren Gurten und drückte Cielo in jeden Arm eines der schreienden und zappelnden Bündel.

      „Ganz schön schwer, nicht?“, grinste sie. Allein das Gewicht spürte Cielo nicht. Sie fühlte die kleinen, weichen und scheinbar so zerbrechlichen Körper, die an ihren Busen drückten. Ein kaum vernehmlicher Seufzer entrang sich ihrer Kehle. Sie nahm eine innere Erregung wahr, ähnlich dem Zustand heute Morgen, als Heinrich bei ihr lag. Die Zwillinge starrten sie erstaunt mit ihren großen braunen Kulleraugen an. Was war jetzt das? Sie verzogen die Gesichter, wollten entrüstet anfangen zu schreien. Cielo begann sie instinktiv in den Armen zu wiegen und besänftigt ließen es die Mädchen geschehen. Heinrich, der hinzugetreten war, betrachtete die Szene amüsiert.

      „Sie wäre eine prachtvolle Mutter“, dachte er bei sich.

      „Wirklich goldig die beiden“, meinte seine Frau und ihre Stimme klang dunkler als sonst. Einer der Zwillinge fuhr ihr mit der kleinen Hand ins lose Haar, krallte sich fest und zog kräftig.

      „Aua, das tut weh“, rief Cielo erschrocken.

      „Lass das, Britney“, fuhr die Mutter das Kind scharf an und erschrocken ließ es los.

      „Manchmal muss ich streng mit ihnen sein, sonst tanzen sie mir auf der Nase herum“, versicherte die Mutter.

      „Sie sind sich so ähnlich“, wunderte sich Cielo und bemerkte wie ihre Brustwarzen hart wurden.

      „Kein Wunder“, freute sich die Frau, „es sind eineiige Zwillinge.“

      Die Mutter mochte 5-6 Jahre älter sein als Cielo, sie war modisch gekleidet, nicht so aufdringlich wie die meist eher flippig angezogenen jungen Leute, die täglich die Straßen Coronados bevölkerten. Der Schmuck und das Auto ließen auf einen gewissen Wohlstand schließen. Sie zeigte den typischen Gesichtsausdruck einer gestressten Mutter. Die dunklen Augenringe zeugten vom Schlafmangel und der ständigen Aufmerksamkeit, die sie den quirligen Zweien entgegenbrachte. Kleine Falten hatten sich in ihre Mundwinkel eingegraben, die angespannten Gesichtszüge verrieten die Strapazen, unter denen sie litt. Trotzdem beneidete Cielo sie, mit ihrem süß, schmerzlichen Gesicht schien sie ihr wunderschön, ähnlich der Madonna im Rosenhag auf dem mittelalterlichen farbenprächtigen Bild des Stephan Lochner. Verlegen stand Heinrich daneben, er wusste nicht, sollte er sich einmischen oder einfach ins Auto steigen, als ginge ihn die Geschichte nichts an.

      „Möchten Sie auch eines halten?“, fragte die Mutter, die über ihre Kinder ein wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung erfuhr.

      „Warum nicht“, murmelte Heinrich, der wusste, er konnte Cielo damit eine Freude machen. Vorsichtig, als hätte er ein Stück kostbares Glas in der Hand, nahm er Cielo das kleine Mädchen ab. Doch diesem missfiel der Wechsel. Es fing an herzzerreißend zu schluchzen und dicke Tränen kullerten aus seinen Augen. Erschrocken drückte Heinrich der Mutter das Baby wieder in den Arm.

      „Mit Männern haben sie es nicht so“, lachte die Mutter und wiegte ihren kleinen Schatz, bis sich dieser wieder beruhigt hatte.

      Heinrich spürte die aufkommende Unruhe der Mutter, die sich die erlittene Pein von der Seele reden wollte.

      „Wissen Sie“, erzählte die Mutter, die Vertrauen gefasst zu haben schien, „es war nicht einfach. Eigentlich konnten wir keine Kinder bekommen. Die Samen meines Mannes, er ist schon älter, waren zu langsam. Lange haben wir uns geplagt und was am Anfang Spaß und Freude für uns war, wurde unmerklich zur Last. Ich bekam schon Angst wenn mein Mann zu mir ins Bett kroch, so verkrampft war ich. Das Eheleben wurde zur Qual für uns, denn wir wollten unbedingt Kinder. Mit der Zeit wuchs meine Verzweiflung und zwischen uns kriselte es heftig. Schließlich haben wir es auf Anraten des Arztes mit einer Insemination versucht. Es klappte nicht beim ersten Mal und ich wurde immer mutloser und gereizter. Grundlos beschimpfte ich meinen Mann, überfordert durch das ständige Warten, dieses Wechselbad zwischen Hoffnung und Enttäuschung.“

      „Ich wurde depressiv und mein Arzt verordnete mir Psychopharmaka, aber die halfen nicht wirklich. Ohne ein Kind hatte das Leben keinen Sinn mehr für mich. Ich fühlte mich minderwertig, gänzlich nutzlos. Mein Mann hat mir damals sehr geholfen. Schließlich, als wir entmutigt aufgeben wollten, überredete uns mein Frauenarzt zu einem letzten Versuch. Viel Hoffnung hatten wir nicht, nach den vielen gescheiterten Versuchen. Doch vielleicht gerade, weil wir die Hoffnung fast aufgegeben hatten, klappte es.“

      Cielo hörte mit wachsender Erregung zu. Das Baby in ihrem Arm hielt sie fest umklammert, als wäre es ihr eigenes.

      „Naja“, lächelte die Mutter, „heute sind wir eine glückliche Familie, aber nochmals könnte ich diese Tortur nicht durchstehen.“

      Daher die tiefen Falten, die diese schmerzliche Erfahrung in ihrem Gesicht hinterlassen hatte. Daher der leichte Hauch von Traurigkeit, der die Mutter noch immer wie eine Aura des Leids umgab. Erschüttert durch diese Beichte reichte ihr Cielo das Baby zurück.

      „Es tut mir leid“, flüsterte sie zur Mutter gewandt, „es tut mir leid. Ich verstehe Sie.“ Abrupt wandte sie sich ab und schlüpfte rasch in den Pickup. Sie gurtete sich an und in der Geborgenheit des Wagens brach ein Schluchzen aus ihr hervor. Heiße Tränen liefen über ihre Wangen, ließen sich durch nichts zurückhalten.

      „Entschuldigen Sie“, sagte Heinrich leise, „meiner Frau geht es nicht gut.“

      Die Mutter stutzte, lächelte verstehend. Sie warf Cielo einen schnellen mitfühlenden Blick zu.

      „Viel Glück“, flüsterte sie, „viel Glück.“

      Zum Lunch nahmen sie nur eine Kleinigkeit, die sie sich vom Schnellimbiss Pollo Loco mitgebracht hatten. Die Stimmung gedrückt, vermieden sie es sich anzusehen. Cielo hatte sich die Augen ausgewaschen, doch die Spuren der Tränen konnte sie trotz aller Bemühungen nicht verbergen. Schweigend und lustlos nagten sie an ihren scharfen Chicken Wings, die in einer roten, vom Geschmack her undefinierbaren Sauce schwammen. Einige Wespen surrten über die Terrasse und stürzten sich fressgierig auf Fleisch und Sauce. Cielo seufzte abgrundtief. Heinrich litt still mit ihr, er konnte sich jedoch nicht aufraffen, sie in den Arm zu nehmen. Zu sehr fürchtete er einen neuerlichen Gefühlsausbruch, schon der Gedanke ängstigte ihn. Er war sich seiner Hilflosigkeit bewusst.

      „Wir wollten doch zum Strand, oder ist dir nicht mehr danach?“, brach er schließlich das Schweigen.

      „Ja, lass uns gehen, es hilft nichts hier herumzusitzen und Trübsal zu blasen. Die Begegnung hat mich mit solcher Wucht getroffen, unvorbereitet: sie war so offen und ihre Lage der unseren so ähnlich.“

      „Möchtest du reden?“, fragte Heinrich zaghaft. Sie schüttelte den Kopf, wollte ihren Schmerz nicht zerreden. Heinrich packte das Surfbrett auf den Pickup, die Strandtasche war schnell gepackt, ein paar frische Handtücher, das Badezeug. Alles andere blieb ständig in der Tasche. Cielo wühlte in der Schublade nach ihrer größten Sonnenbrille, um ihre Augen zu verstecken, griff sich ihren breitkrempigen mexikanischen Strohhut. Als der Wagen langsam aus der Ausfahrt rollte, rannte Mary, die