Andreas Zenner

GMO


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spürte, dass seine Geschichte, jetzt da er sie erzählte, sie als Paar stärker verband.

      „Weißt du“, flüsterte sie zärtlich, „das alles darf Vergangenheit sein. Wir haben die Kraft, unser Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wir müssen es nur wollen und daran glauben, dann wird sich alles lösen.“

      Heinrich beschlichen leise Zweifel, doch er nickte und schloss sie dankbar in den Arm.

      Montag stürzten sie sich in die Arbeit und Heinrich wunderte sich, dass er sich, trotz des Todes des Vaters, auf seine Baupläne konzentrieren konnte. Es schien ihm sogar, als käme er besonders gut voran. Die Idee ein Haus zu konzipieren, das die Bewegungen der Wellen aufnahm, sich harmonisch in das Land einfügte, fand ihren Ausdruck in einer geschwungenen Dachform, die sich zum Meer hin duckte, wie ein sanfter Strand, darunter eine breite Front aus Glas und auf der Terrasse einige große Findlinge, umgeben von wenigen, üppig blühenden Sträuchern. Er plante so wenig Beton wie möglich und versuchte das filigrane Gebilde mit Holzbalken und gemauerten Feldsteinwänden zu stabilisieren. Bei all seinen Überlegungen vergaß er fast den toten Vater, so wie die verrinnende Zeit. Spät am Abend packte er als letzter im Büro zusammen. Cielo wartete mit dem Abendessen auf ihn.

      „Hat Michelle angerufen?“, wollte er wissen, als sie nach dem Essen auf der Veranda saßen.

      „Bei mir hat sie sich nicht gerührt.“

      Da war sie wieder, die Angst, vor dem Gespräch mit der Stiefmutter. Die verlegene Suche nach einer glaubhaften Ausrede.

      „Bist du dir sicher, dass du nicht zur Beerdigung fahren willst?“

      „Ganz sicher, was soll ich dort. Es holt ihn nicht ins Leben zurück. Und Abschied habe ich genommen.“

      Cielo verstand seine Vorbehalte nicht, doch sie respektierte seinen Entschluss.

      „Vergiss nicht“, erinnerte sie ihn, „wir haben morgen den Termin bei Dr. Brown.“

      Richtig, da drohte das Gespräch mit dem Gynäkologen. Im Sog der Ereignisse hatte er den Termin völlig verdrängt.

      „Es ist mir peinlich“, meinte er. „Muss ich wirklich mitgehen?“

      Cielo verzog das Gesicht, sie wollte nicht weinen, doch unwillkürlich schossen ihr die Tränen in die Augen.

      „Du hast es versprochen“, flüsterte sie leise. „Es ist mir wichtig und ich dachte dir auch.“ Sie schluckte.

      „Natürlich gehe ich mit.“ Heinrich schalt sich für seine Taktlosigkeit. „Verzeih, ich habe es nicht so gemeint, ich will es doch auch.“

      Cielo sprang abrupt auf, zog sich ins Schlafzimmer zurück, barg den Kopf in den Kissen und ließ ihren Tränen freien Lauf. Als Heinrich später zu ihr ins Bett kroch, fand er sie schlafend. Er legte den Arm um sie, drückte sie sanft an sich.

      Die Praxis von Dr. Brown lag in der Innenstadt von San Diego. Pünktlich um 11:00 Uhr standen die Gerstones vor dem in den Himmel ragenden Glasklotz. Die Ordination befand sich im 12. Stock. Im Aufzug suchte Cielo verstohlen Heinrichs Hand. Sie drückte sie leicht. Er küsste sie auf die Stirn, als wollte er sagen: keine Angst, ich bin bei dir. Die Praxisräume lichtdurchflutet und freundlich, die Bezüge der Möbel in gedämpftem Rot gehalten.

      „Wir haben einen Termin“, sagte Cielo zur Sprechstundenhilfe.

      „Waren Sie schon einmal bei uns?“, wollte diese förmlich wissen.

      „Nein, wir sind das erste Mal da.“

      „Dann füllen Sie bitte diesen Fragebogen aus.“

      Cielo und Heinrich bemühten sich gemeinsam.

      „Nehmen Sie bitte im Wartezimmer Platz, gleich dort vorne“, sagte die Sprechstundenhilfe freundlich. „Sie werden aufgerufen.“

      Im Wartezimmer saßen drei jüngere Frauen. Sie musterten Heinrich neugierig. Zwei von ihnen hatten dicke Bäuche, sicher schwanger. Cielo und Heinrich nahmen auf einem gemütlichen, verschlissenen Ledersofa Platz. Lustlos sah Heinrich den Stapel Zeitschriften durch. Alles Frauenzeitschriften oder Hefte über Kindererziehung. Er fühlte sich unwohl, als befände er sich an einem Ort, der alleine Frauen vorbehalten war, ähnlich einem einzelnen Mann in einer Sauna, umringt von nackten schwitzenden Frauen. Unruhig rutschte Heinrich hin und her. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte fluchtartig die Praxis verlassen. Cielo griff nach seiner Hand, wollte ihn beruhigen. Das Ganze ist verdammt unangenehm, dachte Heinrich. Er fixierte angestrengt die staubigen Blätter eines künstlichen Ficus in der Ecke, vermied es in die Gesichter der Frauen zu blicken. Der Zeiger der Wanduhr rückte unendlich langsam vor. Eine nach der anderen wurden die Frauen aufgerufen, verschwanden in einem der Untersuchungsräume. Neue Patientinnen kamen, setzten sich und Heinrich wurde das Gefühl nicht los, sie starrten ihn feindselig an. Er wollte einen lustigen Spruch los lassen. Ihm fiel nichts ein. Er saß, den Blick gesenkt und fühlte sich ganz und gar unwohl in seiner Haut.

      „Mrs. Gerstone bitte“, rief die Sprechstundenhilfe. Sie geleitete das Ehepaar in ein leeres Sprechzimmer, hieß sie Platz nehmen. Von nebenan hörten sie das Klappern der Gerätschaften, die in eine Metallschale fielen.

      „Was soll ich tun?“, wisperte Heinrich verkrampft.

      „Du wirst schon sehen“, gab's Cielo belustigt zurück.

      Die gepolsterte Tür öffnete sich geräuschlos. Der Doktor kam herein, er trocknete seine noch nassen Hände an einem grünen Papiertuch ab. Mit einem gezielten Wurf katapultierte er es in einen großen Abfallkorb. Er war groß gewachsen und schlank, fast hager, sein Gesicht strahlte eine gewinnende Freundlichkeit aus. Er gab beiden die Hand, setzte sich hinter seinen Schreibtisch.

      „Was kann ich für Sie tun?“, fragte er und schlug die Patientenakte auf.

      „Wir wünschen uns ein Kind“, sagte Cielo, „aber es klappt nicht.“

      „Wie lange probieren Sie schon?“, wollte der Doktor wissen. Er lächelte nicht, was Heinrich beruhigte. Zumindest nahm er sie ernst.

      „Wir versuchen es seit zwei Jahren.“

      „Eine lange Zeit“, meinte der Doktor und runzelte die Stirn. „Leider sind Sie kein Einzelfall.“

      Er wollte alles über Cielos Periode wissen, erkundigte sich nach Cielos Vorerkrankungen, medizinischen Interventionen, eventuellen Abgängen. Er ließ sich viel Zeit.

      „Und nun zu Ihnen“, wandte er sich an Heinrich. Auch er musste alles über seine Vorerkrankungen berichten. Doch da gab es nicht viel zu erzählen.

      „Hatten Sie in Ihrer Kindheit eine Parotitis?“ Heinrich sah ihn verständnislos an.

      „Entschuldigung“, lächelte der Doktor, „ich falle immer wieder in den Medizinerjargon. Ich meine Mumps.“

      Heinrich konnte sich nicht erinnern.

      „Vielleicht fragen Sie Ihre Eltern“.

      „Mein Vater ist vor ein paar Tagen gestorben und meine Mutter, als ich acht Jahre alt war“, antwortete Heinrich und er spürte einen Kloß in seinem Hals aufsteigen.

      „Tut mir leid“, sagte der Doktor betroffen. „Ich muss diese Frage stellen, denn die Parotitis epidemica ist eine der häufigsten Ursachen für die Infertilität des Mannes.“

      Heinrich schwieg, es entstand eine kleine unangenehme Pause. Der Doktor überbrückte sie.

      „Ich werde erst mal Ihre Frau untersuchen. Kommen Sie bitte mit.“

      Er verschwand mit Cielo im Nebenzimmer. Durch den Türspalt konnte Heinrich einen Blick auf den Gynäkologenstuhl mit den beiden hochgereckten, metallenen Beinhaltern werfen. Die Tür fiel ins Schloss und Heinrich blieb alleine mit seinen Gedanken. Er blickte unsicher aus dem Fenster, betrachtete die Skyline der Stadt, in seinem Kopf malte er sich die möglichen Folgen des Gespräches aus.

      Was, wenn es an ihm läge? Seine Samen unfruchtbar, zu unbeweglich oder sonst irgendetwas wären? Sie hatten sich noch