Andreas Zenner

GMO


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und heftig. Ich sah ihre Tränen. Ich kann nicht sagen, dass es mir Spaß gemacht hat.

       Am anderen Morgen frühstückten wir im Offizierskasino. Höß sah mich grinsend von der Seite an. Ich sagte nichts. Nach einem dünnen Kaffee schlenderte ich hinüber in Mengeles Labor.

       Er streckte den Kopf aus dem Untersuchungszimmer. Seine Handschuhe blutig.

      „Warten Sie einen Moment, ich bin gleich fertig.“ Er verschwand in seinem Operationsraum, ich hörte ihn mit den Bestecken hantieren.

      „Wegbringen“, befahl er.

       Er wusch sich lange die Hände, dann kam er, gab mir zur Begrüßung die linke Hand. im rechten Arm hielt er einen Glaszylinder, in dem ein Gehirn schwamm.

      „Interessant, nicht?“, meinte er.

      „Hier haben Sie die Papiere, sie sind für Professor Verschuer in der Forschungsabteilung des Amtes Rosenberg.“

       Er drückte mir ein dickes braunes Kuvert in die Hand, in der Ecke prangte ein Hakenkreuz. Ich bestätigte ihm mit meiner Unterschrift den Empfang und verabschiedete mich. Kein guter Ort, dachte ich, als ich zu meinem Fahrer in den Wagen stieg.

      „Es ist der Tod“, murmelte der Fahrer, er schien meine Gedanken gelesen zu haben. „Es ist der Tod, man kann ihn riechen.“

      „Fahren wir“, befahl ich.

      Cielo steckte den Kopf zur Tür herein. Sie machte ein besorgtes Gesicht.

      „Geht es dir gut?“, fragte sie.

      Heinrich nickte halbherzig. Glaubte seinem Nicken nicht.

      „Ich beginne das Tagebuch meines Großvaters zu lesen, es scheint mir der richtige Zeitpunkt. In ein paar Minuten komme ich zu dir.“

      Sie schloss geräuschlos die Tür.

       Wir fuhren durch das gequälte Land zurück nach Berlin. In den nächsten Tagen suchte ich Freiherr von Verschuer im Amt Rosenberg auf. Er arbeitete dort als Spezialist für Biologie in der Forschungsabteilung für Judenfragen. Von Haus aus war Verschuer in Frankfurt am Institut für erbbiologische Forschung beschäftigt, doch für spezielle Fragen kehrte er von Zeit zu Zeit nach Berlin zurück. Ich betrat das scharf bewachte Gebäude, wies mich aus und nach einem kurzen Telefonat wurde ich zu Verschuer vorgelassen.

      „Halten Sie ihn nicht lange auf“, wies mich die altjüngferliche Sekretärin in Uniform spitz zurecht. „Wir sind unter Zeitdruck, der Reichsführer SS möchte Ergebnisse sehen und zwar bald.“

      „Keine Sorge, mir geht es ähnlich.“

       Verschuer saß an einem weit ausladenden, mit Papieren übersäten Schreibtisch. Er trug einen weißen Kittel und studierte mit einer Lupe offensichtlich Fingerabdrücke. Er blickte kurz auf und maß mich mit einem kritischen Blick.

      „Was gibt’s?“, fragte er scharf.

      „Ich habe einen Brief von Hauptsturmführer Mengele, ich soll ihn persönlich überbringen.“ Ich überreichte ihm den dicken braunen Umschlag.

      „Ah, sehr schön, setzen Sie sich.“ Er riss das Kuvert auf, blätterte kurz die darin enthaltenen Papiere durch. Er schien zufrieden.

      „Gute Arbeit“, murmelte er zu sich. „Wie kommen Sie in diese Sache?“, wollte er wissen. Ich berichtete in knappen Worten von Himmlers Auftrag.

      „Ja, das ist eine notwendige Entwicklung und konsequent“, merkte er an. „Sie wissen, was wir hier und in Auschwitz tun?“

       Ich musste zu meiner Schande gestehen, dass ich nur eine vage Vorstellung hatte.

      „Aber die Theorie der Rassenhygiene von Ernst Rudin, auf der die Nürnberger Rassengesetze basieren, ist Ihnen bekannt.“

       Ich nickte.

      „Nun“, fing er an zu dozieren, „die Eugenik-Bewegung forscht weltweit, nicht nur in Deutschland. Es gibt Forschungsstätten in London und in New York. Wir befassen uns alle mit demselben Thema: wie kann verhindert werden, dass unwertes Leben durch ungeplante Zeugung weitergegeben wird. In den Vereinigten Staaten wird aus diesem Grund noch in großem Stil sterilisiert. Es gibt sogar ein Gerichtsurteil des obersten Gerichtshofes aus dem Jahre 1927, das die Zwangssterilisation als verfassungskonform ansieht. Sie sehen also, wir Deutsche stehen nicht alleine. Im Gegenteil, die Rockefeller-Stiftung hat das Kaiser-Wilhelm-Institut über Krupp und das Bankhaus Kuhn-Loeb seit 1922 über ihr Pariser Büro mit Geld unterstützt. Bis 1926 hat die Rockefeller-Stiftung mehr als 410.000 Dollar an deutsche Eugenik-Forscher ausgeschüttet. Unser Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin wäre ohne die Zuwendung von 250.000 Dollar nicht überlebensfähig gewesen. Ernst Rudin ist nebenbei auch seit 1932 Präsident des Weltbundes für Eugenik. Diese immense Finanzierung stoppte erst 1939 mit unserem Einmarsch in Polen. Nun setzen wir diese Forschung aus eigener Kraft fort, doch wir tauschen uns noch immer, trotz des Krieges, über die Ergebnisse aus. Mein ehemaliger Assistent Mengele untersucht in Auschwitz in großem Stil die Auswirkungen spezifischer Eiweißkörper auf das Blut von Betroffenen bei Infektionskrankheiten. Dabei infiziert er Menschen verschiedener geographischer Herkunft mit Krankheitserregern. Davon berichtet er mir, schickt auch Proben. Er untersucht in unserem Auftrag auch Zwillinge. Ebenso bekommt das Kaiser-Wilhelm-Institut von Dr. Mengele Gehirne, die er entnommen hat, zur weiteren Untersuchung. Das sollten Sie für Ihre Arbeit wissen. Und nun lassen Sie mich weiterarbeiten. Sollten Sie einmal in die Lage kommen, einen Kontakt nach Amerika zu benötigen, wenden Sie sich an mich.“

      „Danke, ich weiß Ihr Entgegenkommen zu schätzen“, sagte ich und erhob mich.

       Coronado

      Hier endete der Bericht der Begegnung von Gersteins mit Dr. Otmar Freiherr von Verschuer. Heinrich klappte das Tagebuch zu, warf es angewidert auf den Schreibtisch. Er erhob sich unsicher und wankte aus dem Zimmer. Dass es so entsetzlich werden würde, hatte er nicht gedacht. Er goss sich einen Bourbon ein und ging, um frische Luft zu schnappen, hinaus in den Garten. Cielo setzte sich zu ihm.

      „So schlimm?“

      „Schlimmer, mein Großvater war an den Euthanasie-Programmen der Nazis beteiligt. Er hat die Pläne für Auschwitz-Birkenau entworfen.“ Cielo sah ihn verständnislos an. „Ist auch besser, du weißt nicht zu viel, es könnte deine Seele belasten.“

      Von den vielen Zwangssterilisationen sagte er nichts. Nicht in ihrer Lage. Heinrich verstand den Vater, er ahnte, wie schwer es für ihn gewesen sein musste, mit diesem Wissen zu leben.

      Hatte er deshalb eine Jüdin geheiratet, schoss es ihm durch den Kopf. Aus Protest oder vielleicht als stille Wiedergutmachung. Heinrich hatte seinen Brief so verstanden. Allein diese Frage würde sich nicht mehr beantworten lassen. Heinrich brütete vor sich hin, alles in ihm aufgewühlt. War es möglich, dass er und der Vater die Schuld des Großvaters weiter tragen mussten? Der Vater hatte dies in seinem Brief angedeutet. Sein Entschluss nicht zur Beerdigung des Vaters zu fahren verstärkte sich. Der Vater hatte ihm ein schweres Erbe auferlegt und er konnte seinen Ekel, seine Abscheu mit niemandem teilen. Schon gar nicht mit Cielo. War das vielleicht der Grund warum sie keine Kinder bekommen konnten? Hilflos wälzte er die Fragen in seinem Kopf, konnte keine einfache Erklärung finden. Das Buch rührte er in den nächsten Tagen nicht mehr an, zu sehr graute ihm vor dem, was er noch alles erfahren könnte.

      Sonntag sprach er mit seiner Frau über den Vater. Heinrich erzählte von seiner Jugend, von der Einsamkeit des Vaters, vom quälend langsamen Sterben der Mutter und der Phase des Erstarrtseins danach. Er berichtete wie der Vater angefangen hatte zu trinken, von seinem mexikanischen Hausmädchen und von Michelle, die den Vater aus der Trauer gerissen hatte. Zumindest glaubte er das bis zu seinem Besuch am Krankenbett des Vaters. Es tat ihm gut darüber zu reden, vieles wurde ihm klarer und manches verstand er erst im Nachhinein. Cielo hörte ihm geduldig