Andreas Zenner

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Der Führer höchstpersönlich hat mir dieses Tagebuch gewidmet. Ich bin ihm dankbar dafür. Wir leben in einer großen Zeit, die geprägt ist von der Persönlichkeit unseres Führers und seiner Offiziere. Obwohl uns die ganze Welt vernichten will, schreiten wir voran, von Sieg zu Sieg. Unsere tapferen Armeen stehen tief in Russland. Frankreich und die Beneluxstaaten sind besetzt. Wir agieren mit Mussolini in Griechenland und in Afrika. Unser Sieg wird vollkommen sein. Er zeigt deutlich die Überlegenheit der arischen Herrenrasse. Wie gerne wäre ich an der Front, doch ich werde hier gebraucht, zur Freude meiner Frau. Auf diese Weise kann ich sie wenigstens ab und zu in Dresden besuchen. Sie macht sich ständig Sorgen um mich. Wenn der Krieg vorbei ist und das kann nicht mehr lange dauern, werden wir dem Führer Söhne schenken, viele Söhne. Derweilen quäle ich mich im Amt mit der Planung von Gebäuden, Verteidigungsanlagen und dem Bau von Waffenfabriken. Gerne hätte ich, wie Speer, am fantastischen neuen Großberlin mit geplant, aber es gibt auch so genug zu tun. Jeder muss in diesen schwierigen Zeiten sein Bestes leisten zum Wohle des deutschen Volkes. Ich als Architekt bin dankbar zum Endsieg beitragen zu können.

       Heil Hitler

       März 1941

       Hatte vor Kurzem ein Gespräch mit dem Reichsführer der SS, Heinrich Himmler. Er ist zugleich Reichskommissar zur Festigung des deutschen Volkstums. Er fragte mich ob ich über den Fortschritt der ethnischen Säuberung in Deutschland informiert sei. Leider musste ich verneinen.

      „Macht nichts“, schnarrte er, „ich bringe Sie mit den richtigen Leuten zusammen, da ergibt sich das schnell.“

       Ich salutierte.

      „Es geht um folgendes“, führte er aus, „unser Lager Auschwitz ist durch die Aufnahme von circa 10.000 sowjetischen Kriegsgefangenen völlig überfüllt. Wir brauchen deshalb schnellstens ein weiteres Lager, nicht weit von Auschwitz entfernt, in Birkenau. Ich erwarte ein Fassungsvermögen für mindestens 100.000 Häftlinge. Das Lager soll nur einfachst ausgestattet sein. Ich denke, Baracken sollten genügen. Keine aufwändige Kanalisation, das dauert mir zu lange. Sie bekommen aus Auschwitz Leute, soviel Sie benötigen. Um das Baumaterial kümmern Sie sich. Sie bekommen Order aus meinem Büro für Obersturmbannführer Rudolf Höß, den Lagerkommandanten von Auschwitz. Ferner setzen Sie sich mit Hauptsturmführer Dr. Josef Mengele, dem Lagerarzt, in Verbindung. Die zwei werden Sie über alles Weitere informieren. Ich erwarte Ihre Pläne in drei Wochen auf meinem Schreibtisch. Sie bekommen einen Dienstwagen mit Fahrer, damit Sie sich vor Ort ein Bild machen können. Ich verlasse mich auf Sie und denken Sie daran, wir müssen mit Material sparsam sein. Das wäre alles. Ich sehe Sie in drei Wochen.“

       Ich wollte protestieren, die Zeit schien mir viel zu kurz. Er wischte meine Andeutung mit einer keinen Widerspruch duldenden Geste weg. Ich hob die Hand zum Hitlergruß.

      „Jawohl Reichsführer“. Er war schon wieder in seine Papiere vertieft. Die Ordonanz geleitete mich hinaus. Ich fühlte mich geehrt durch das Vertrauen des Reichsführers, doch meine Bedenken blieben.

       Am nächsten Tag brachte mir ein SS-Mann die Lagepläne, den Brief an Lagerkommandanten Höß.

      „Der Wagen steht zu Ihrer Verfügung“, schnarrte der SS-Mann und knallte die Hacken zusammen. Es schien mir das Beste, erst den Bauplatz zu besichtigen. Ich holte die nötigsten persönlichen Sachen aus meinem Quartier und packte mein Arbeitsmaterial zusammen. Der Fahrer wartete unten. Dann ging es mit dem Wagen über Posen nach Auschwitz. Wir brauchten einen ganzen Tag. Die Straßen quollen über von Panzern und Spähfahrzeugen mit rasselnden Ketten. Endlich standen wir vor den Toren des Lagers. In schmiedeeisernen Buchstaben hing über dem Tor der Spruch: Arbeit macht frei. Hohe Stacheldrahtzäune umschlossen das Areal. Es roch nach Leid und Elend. Ausgemergelte Frauen schlurften vorüber, sie wagten es nicht den Blick zu erheben. Auch blutjunge, hübsche Mädchen waren unter den Gefangenen. Die Männer waren im Außeneinsatz bei der Arbeit.

      „Jüdischer Abschaum“, knurrte mein Fahrer. Obersturmbannführer Höß empfing mich freundlich. Er beschrieb die Situation und seine Vorstellungen des Außenlagers, nachdem er den Brief des Reichsführers SS gelesen hatte. Kurz darauf standen wir auf dem geplanten Baugelände. Ich machte mir eifrig Notizen, verfertigte erste Skizzen. Höß stand daneben und sah mir aufmerksam über die Schulter.

      „Schnell muss es gehen, schnell vor allen Dingen.“

      „Was ist mit der Kanalisation, es könnten Seuchen ausbrechen.“

       Höß zuckte mit den Schultern.

      „Je weniger es werden, desto besser und schließlich haben wir unseren Lagerarzt Dr. Mengele. Er reißt sich um jeden Kranken, er forscht hier für das Kaiser-Wilhelm-Institut und für die Forschungsabteilung des Amtes Rosenberg.“

      „Davon wusste ich nichts.“

      „Vielleicht erzählt er Ihnen davon“, meinte Höß lakonisch. Es dunkelte als wir ins Lager zurückkehrten. Das Essen war vorzüglich und der Alkohol floss in Strömen. Am Offizierstisch lernte ich Dr. Josef Mengele kennen, einen kleinen Mann, der in seiner schwarzen Uniform noch durchscheinender wirkte, als er es ohnehin schon war. Er musterte mich spöttisch von oben bis unten mit einem stechenden, durchdringenden Blick.

      „Sie fahren morgen zurück nach Berlin?“

      „Ja.“

      „Sie könnten mir für das Institut eine Reihe von Papieren mitnehmen, so geht es schneller. Kommen Sie morgen früh in Block 10, da arbeite ich.“

       Die Offiziere wirkten ziemlich angetrunken. Höß zwinkerte mir zu.

      „Noch etwas Süßes zum Aufwärmen“, grinste er.

       Ich sah ihn verständnislos an. Er lachte schallend los, die Offiziere grinsten.

      „Nur keine Scheu.“

       Das Gästezimmer war spartanisch eingerichtet, aber sauber. Eine Pritsche, ein Waschbecken, zerfledderter Vorhang, von der Decke baumelte eine funzelige Glühbirne ohne Schirm. Die graue Wolldecke sorgfältig zusammengelegt, darunter ein weißes, frisch gebügeltes Leintuch. Ein Paradies war das nicht, aber wir befinden uns im Krieg. Von draußen drang der Stechschritt der Wache, ihr Koppelzeug klirrte leise. Ich zog mich aus, warf mich auf das Bett, löschte das Licht. Es klopfte scharf und bestimmend an der Tür.

      „Was ist?“, meldete ich mich schlaftrunken.

       Der Eingang wurde aufgerissen, ein SS-Mann stand breitschultrig und bedrohlich in der Tür. Seine Silhouette hob sich dunkel gegen das Licht des Ganges ab.

      „Rein mit dir“, befahl er mit scharfer Stimme. Eine Gestalt drückte sich am Posten vorbei ins Zimmer. Die Tür fiel krachend ins Schloss.

      „Du meldest dich nachher bei mir“, tönte es von draußen. Stille. Finsternis im Raum, die mit den Augen nicht zu durchdringen war. Ich hörte stoßweises, verängstigtes Atmen, lag wie erstarrt, verstand nicht was vorging, hörte das Rascheln eines Kittelkleides, ahnte, es fiel zu Boden.

      „Was soll das?“, wehrte ich müde ab.

      „Obersturmbannführer Höß schickt mich.“

       Sie hatte eine warme, dunkle Stimme.

      „Und“, entgegnete ich unwirsch, „geh wieder, ich bin müde.“

      „Bitte tut das nicht, Herr“, flehte sie, „sie schlagen mich, wenn...“, sie stockte, „du weißt schon.“

       Ich knipste das Licht an. Sie stand da, völlig nackt, sah mich mit angstvoll aufgerissenen Augen an. Das schwarze Haar reichte ihr bis zu den Schultern. Sie machte sich nicht die Mühe ihre Blöße zu bedecken, sah mich unverwandt an.Über den Bauch, die Brust zogen sich blaue Striemen. Offensichtlich eine Jüdin, eine sehr junge Jüdin. Ich stand auf, überlegte was ich tun sollte. Sie nutzte die Gelegenheit,