Andreas Zenner

GMO


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beiden wollten eben das Haus verlassen, stolperten sie über die Reisetasche.

      „Die räume ich heute Abend weg“, bot sich Cielo an.

      „Nein, nein das mache ich schon“, wehrte Heinrich ab. Sie fuhren zusammen ins Büro. Parkplätze waren am Nancy Ridge Drive schwer zu bekommen und ein Firmenparkplatz stand Cielo nicht zu.

      „Komisch“, platzte Heinrich heraus.

      „Vater hat mir ein merkwürdiges Buch gegeben. Er meinte ich sollte es haben. Offensichtlich das Tagebuch eines gewissen Gero von Gerstein. Ich habe im Flieger kurz hinein gesehen, da war ein Hakenkreuz eingeprägt. Sieht aus wie ein Relikt aus Nazi-Deutschland. Ich warf nur kurz einen Blick darauf und schlug es gleich wieder zu. Es ist besser so etwas sieht niemand.“

      „Meinst du dein Vater hatte etwas mit den Nazis zu tun?“

      „Möglich, aber –, nein, er ist doch erst 1943 geboren. Zwei Jahre vor Kriegsende. Da lag er noch in den Windeln. Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Außerdem sieht das Buch älter aus.“

      „Wir sollten uns dein Mitbringsel bei Gelegenheit näher ansehen“, meinte Cielo. „Irgendeine Bewandtnis muss es schließlich damit haben.“

      Ihr Pickup reihte sich ein in die endlose Schlange der Autos, die San Diego zuströmten. Die Luft stand in den Straßen, der Tag würde heiß werden. Cielo berichtete nach längerem Zögern.

      „Heute ist ein wichtiger Tag im Labor. Dick Rippley, unser Chef hat angekündigt, wir bekommen hohen Besuch aus dem Landwirtschaftsministerium. Außerdem sind einige Leute von Dow Agro Sciences dabei. Mir ist ganz bange.“

      „Um was geht es?“

      „Ich darf nicht darüber reden, aber es hat etwas mit der Weiterentwicklung von unserem Mais zu tun.“

      „Was heißt Weiterentwicklung?“, hakte Heinrich misstrauisch nach.

      „Die Gentechniker haben im Labor ein artfremdes Gen in die DNA von Mais eingebaut. Welches genau weiß ich nicht.“

      „Und was hast du damit zu tun?“

      „Nichts, ich überwache lediglich die Aufzucht der Maisstauden, sorge für die richtige Bewässerung, die Belüftung und das Umsetzen.“

      „Was habt ihr da für ein Teufelszeug gezüchtet?“ Er erinnerte sich an den Artikel über Genmanipulationen, den er in der Montgomery Post gelesen hatte.

      „Ich glaube irgendein Gen, das den Befall mit Schädlingen verhindert. Genaueres weiß ich nicht.“

      „Das muss ein größeres Ding sein, wenn die Leute vom Landwirtschaftsministerium extra aus Washington herüber kommen.“

      „Sie erzählen nichts und die Sicherheitseinrichtungen im Gewächshaus sind streng. Dick hat uns verboten, auch nur das kleinste Pflanzenteilchen aus den Labors zu bringen. Ich bin dafür verantwortlich, dass alles Saatgut ordnungsgemäß registriert, verpackt und in einem Safe eingeschlossen wird.“

      „Das klingt mysteriös“, meinte Heinrich nachdenklich. Er sollte Cielo unbedingt den Artikel geben. Sie tauchten ein in das Weichbild der Stadt, die sie dunstig und laut aufnahm, wie das gefräßige Maul eines Orcas.

      „Holst du mich heute Abend ab?“

      „Wie immer, um fünf Uhr direkt vor dem Büro.“

      Cielo drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und sprang leichtfüßig aus dem Wagen. Sie winkte ihm zu, bevor sie in dem gläsernen Bürogebäude verschwand. In Gedanken versunken reihte sich Heinrich wieder in den fließenden Verkehr ein und fuhr in das Architekturbüro. Dort vertiefte er sich sofort in seine Planungen und er vergaß alles um sich herum. Die Zeit verging wie im Fluge. Gegen Mittag ließ er sich von der Sekretärin ein Sandwich mitbringen, das er über seine Planung gebeugt am Schreibtisch verdrückte. Er war mit seinen Entwürfen im Rückstand und sein Auftraggeber drängte ihn den Abgabetermin einzuhalten. Als Sandra, seine Sekretärin, Anteil nehmend nach dem Vater fragte, wehrte er kurz angebunden ab. Mit einem kühlen Schulterzucken rauschte sie aus dem Raum, warf beleidigt die Tür ins Schloss. Sie himmelte ihn an, er bemerkte es, und hielt es für jugendliche Schwärmerei.

      „Auch gut“, brummte Heinrich. Er knobelte an einem schwierigen Gestaltungsproblem, aber er kam nicht voran. Ständig musste er an den Vater denken, der im Krankenhaus dahindämmerte, nur am Leben gehalten durch die vielen Schläuche und Apparate. Die Nacht in der ihn Michelle verführen wollte ging ihm durch den Kopf. Er spielte mit dem Gedanken sie anzurufen, sich für sein törichtes Verhalten zu entschuldigen. Er ließ es bleiben. Wer weiß, welche Schlüsse sie daraus gezogen hätte.

      Entspann dich, alter Junge, redete er sich zu, doch seine Gedanken hingen in Selma fest, er konnte sich nicht auf sein Projekt konzentrieren. Seine Inspiration wollte sich nicht einstellen und Heinrich starrte Löcher in die Luft. Wütend knallte er den Bleistift auf den Tisch, holte sich einen Kaffee aus der Küche. Es half nichts, die Leere in seinem Kopf löste sich nicht. Schließlich griff er sich einen Notizblock und fuhr hinaus zur geplanten Baustelle. Heiße stickige Luft waberte in den engen Straßenschluchten. Die kühle Brise, die sonst vom Meer her Frische in die Stadt wehte, war eingeschlafen. Heinrich verfluchte seine Idee, aber das half nichts. Warum hatte er an solch einem heißen Tag das klimatisierte Büro gegen sein kochendes Auto getauscht? Auf dem Bauplatz direkt am Meer hockte er sich in den heißen Sand, das verschwitzte Hemd hatte er heruntergerissen. Er kritzelte flüchtig ein paar Skizzen auf das Papier. Seine Entwürfe beflügelten ihn nicht. Unzufrieden schleuderte er den Block ins Auto und beschloss schwimmen zu gehen. Das kühle Wasser klärte seinen Kopf und plötzlich, er schwamm auf dem Rücken, den Strand im Auge, kam ihm die zündende Idee.

      So müsste das Haus aussehen, ergab sich eine Einheit aus Natur und Gebäude. Begeistert kraulte er zurück und skizzierte mit flüchtigen Strichen seine Idee auf das vom Meerwasser durchfeuchtete Papier. Dann legte er sich zufrieden in den warmen Sand.

      Cielos Tag verlief nicht so angenehm. Das Labor glich einem Bienenstock, die Aufregung steckte alle an. Dr. Ose, ihr unmittelbarer Vorgesetzter huschte nervös hin und her. Die Spannung stieg von Minute zu Minute. Ungeduldig wartete Cielo auf den hohen Besuch. Mit zitternden Händen goss sie mit der Nährlösung die Maisstauden, nach einem raschen Blick auf das Thermometer öffnete sie die Kippfenster, die Pflanzen sollten nicht überhitzen. Sie rollte die Beschattung herunter, topfte einzelne Pflanzen um und wartete. Ihre Haut kochte im Schutzanzug aus Plastik und kleine Schweißperlen rannen ihr über die Stirn und die Brust wo ihre Bluse auf der Haut klebte. Gerne hätte sie die lästige Hülle abgestreift, doch das war bei Strafe untersagt. Cielo arbeitete alleine, ihre Kollegin machte Urlaub, denn sie hatte zwei Kinder und musste sich nach den Schulferien richten. Gerne hätte Cielo mit ihr getauscht. Nicht weil sie Urlaub brauchte, sondern wegen der beiden Kinder. Ihr Urlaub war für den Herbst geplant und sollte sie nach Mexiko führen. Nach Hause zu Cielos Familie. Sie freute sich darauf, die Eltern zu besuchen. Sie scheute jedoch die angedeuteten, fragenden Blicke der Mutter und der Geschwister. Unausgesprochen stand die Frage immer im Raum: was ist mit Kindern bei euch? Dieser Gedanke trübte ihre Freude auf den Urlaub. Nun war alles anders. Die Krankheit des Vaters ihres Mannes machte eine Planung unmöglich.

      Mit einem schmatzenden Geräusch glitt die Sicherheitsschleuse auseinander und eine Gruppe hemdsärmeliger, verschwitzter Männer quetschte sich in den Raum. Angeführt von Dr. Rippley schoben sie sich durch die engen Gassen zwischen den hochaufragenden Maisstauden. Sie diskutierten lautstark miteinander, schienen Cielo nicht zu bemerken.

      „Ist das absolut sicher?“, keuchte ein untersetzter Mann, offensichtlich ein höherer Beamter.

      „Absolut, Herr Staatssekretär, die Feldversuche, die wir durchgeführt haben, sind zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen.“

      „Schön, schön“, ächzte der Dicke, in der schwülen Luft nach Atem ringend.

      „Ist sichergestellt, dass nichts zur Presse durchdringt?“

      „Seit unserer etwas voreiligen Pressekonferenz im Jahre 2001 ist Gras über die Sache gewachsen“, versicherte