Andreas Zenner

GMO


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heran, schmiegte ihren nackten schweißigen Leib an den seinen, jungmädchenhaft. Er regte sich nicht, drehte sich nicht um.

      „Es tut mir leid, unendlich leid“, murmelte sie und wie zur Entschuldigung, „ich bin so alleine.“

      „Geh, bitte“, verlangte er nachdrücklich. Unter Tränen klaubte sie ihre Sachen zusammen, schlüpfte aus dem Zimmer. Erleichtert verriegelte Heinrich die Tür hinter ihr.

      „Mein Gott“, besann er sich, „fast hätte ich mit meiner Stiefmutter geschlafen.“ In dieser Nacht konnte er keinen Schlaf finden. Das Gewitter toste um das Haus und in den Regenfluten lösten sich die quälenden, drängenden Erinnerungen an jene Nacht in Coronado. Heinrich hatte gehört: die erste Frau im Leben vergisst man nie. Vergessen würde er Michelle nicht, sicher nicht, aber das Gefühl, um ein kurzes kindliches Glück betrogen worden zu sein, dieses Gefühl war ihm wie eine Last von der Seele genommen. In der Düsternis eines muffigen Zimmers in Selma reifte Heinrich Gerstone zum Mann.

      Beim Frühstück vermieden sie es, sich anzusehen. Sie sprachen Belangloses, stocherten in ihrem Rührei mit Speck. Michelle trug eine hoch geschlossene weiße Bluse, heute ganz Geschäftsfrau. Keine Spur der nächtlichen Tränen im sauber geschminkten Gesicht. Sie hatte sich im Griff. Heinrich wusste, sie hatte geweint. Kühl gab sie dem Diener Anweisungen für die Zeit ihrer Abwesenheit.

      „Möchtest du nochmal ins Krankenhaus?“, wollte sie von Heinrich wissen. Er stutzte kurz, Zeit blieb genug. Warum also nicht.

      „Wenn es dir nichts ausmacht.“

      „Es liegt auf dem Weg“, meinte sie sachlich.

      Wie sie saß, mit verschränkten Beinen, tat sie Heinrich leid. So stolz, so unnahbar und so verzweifelt alleine. Er konnte verstehen, dass ihr der Vater keine große Hilfe war, konnte der sich doch kaum selber retten. Aber hatte der Vater je wirklich Zeit für ihn gefunden, schoss es Heinrich durch den Kopf. Wie sollte er dann Zeit finden für seine junge Frau? Er begriff, der Vater war nie mit dem Tod Saras fertig geworden. Das Ganze blieb eine verflucht verfahrene Geschichte. Der Altersunterschied von fast 20 Jahren zum Vater ließ sich nicht überwinden, trotz all ihrer Bemühungen. Michelle war zu jung um auf Dauer alleine zu bleiben. Aber das konnte nicht sein Problem sein. Heinrich beschloss, sich nicht mehr verantwortlich zu fühlen, weder für den Vater, noch für Michelle. Er konnte nichts für sie tun, denn seit wann rettet der Sohn den Vater? Außerdem wartete Cielo in Coronado auf ihn.

      „Wir sollten gehen“, drängte sie.

      „Ich hole meine Sachen.“

      Im Gästezimmer stopfte er seine Kleidungsstücke, sein Waschzeug in die Reisetasche. Sein Blick fiel auf das Päckchen. In der Nacht hatte er es vergessen. Es lag auf der Kante des Bettes, eingeschlagen in graues Packpapier, mit einem Bindfaden verschnürt. Heinrich wunderte sich, diese Art Papier gab es nicht mehr im Handel. Doch die Zeit drängte und er warf das Päckchen achtlos zu den Kleidungsstücken.

      Sie verließen das Haus, der Himmel strahlte blank geputzt nach den heftigen Regengüssen der Nacht. Befreit atmete er die kühle Luft ein. In den Pfützen der Einfahrt spiegelte sich der porzellanblaue Himmel. Schweigend fuhren sie in die Stadt. Sie hielten vor dem Selma Baptist Hospital, suchten das Zimmer 013, meldeten sich im Stationszimmer an.

      „Es geht ihm nicht gut“, meinte die dunkelhäutige Schwester, „gehen Sie nur zu ihm.“

      Leise betraten sie das Krankenzimmer. Der Vater lag bewegungslos, sein Atem ging röchelnd.

      „Klaus“, versuchte Michelle ihn zu wecken.

      „Vater.“

      Er reagierte nicht, zuckte nicht einmal mit den Augenlidern. Mit keiner Regung gab das wächserne Gesicht zu erkennen, dass es sie wahrgenommen hatte. Michelle zuckte die Schultern. Heinrich küsste den Vater auf die Stirn, die sich unter seinen Lippen kalt und schweißig anfühlte.

      „Er erkennt Sie nicht“, stellte die Schwester, die sie begleitet hatte, fest. Frau und Sohn hielten einige Augenblicke inne, ratlos, verließen dann geräuschlos wie sie gekommen waren den Raum.

      „Sieht nicht gut aus“, flüsterte Heinrich und er bemühte sich, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Michelle schluckte.

      „Dem Tod näher als dem Leben“, äußerte sie erschrocken mit zitternder Stimme. „Wir müssen uns auf das Schlimmste gefasst machen.“ Er nickte stumm.

      Sie fuhr ihn zum Flugplatz. Beide hingen ihren Gedanken nach. Michelle versuchte sich auf die Straße zu konzentrieren, wischte verstohlen ihre Augen. Heinrich fühlte grenzenlose Erleichterung, vermischt mit dunkler Traurigkeit. Indes mit jedem Kilometer, den sie zurücklegten, wurde sein Herz leichter. Sie bogen in den Flughafenzubringer ein. Das Glas des langgestreckten Baus blitzte in der Sonne. Michelle bremste bei den Backsteinsäulen unmittelbar vor der Abflughalle.

      „Ich bleibe im Wagen“, murmelte sie, „ich hasse Abschiede.“

      „Ich auch“, entfuhr es Heinrich.

      „Du sagst mir Bescheid, wenn es mit Vater zu Ende geht“, bat er. Sie nickte. Stumm packte er seine Reisetasche, stand einen Moment unschlüssig neben dem Auto.

      „Danke für alles“, presste er hervor, „lass es dir gut gehen.“ Er fand diese Floskel, kaum ausgesprochen, unpassend, nichtssagend. Ein bisschen netter hättest du schon sein können, tadelte er sich. Sie nahmen sich nicht in den Arm. Förmlich reichte sie ihm durch das geöffnete Fenster die zitternde Hand, sah ihn traurig an. Heinrich ahnte ihre tiefe Verletzung. Allein es war gut so. Er wandte sich zum gehen, zögerlich.

      „Das heute Nacht bleibt unter uns“, rief sie ihm nach. Er drehte sich um.

      „Versprochen“, beteuerte er und trat durch die Drehtür in die Abflughalle. Er beobachtete durch die Scheiben wie Michelle sich die Nase putzte, mit dem Tuch die Augenwinkel abtupfte, dann ließ sie den Motor an und lenkte den Chevrolet auf die Straße.

      Die Halle schien wie ausgestorben. Einige Passagiere warteten gelangweilt auf ihre Flüge. Kein Wunder bei gerade mal zwanzig Verbindungen am Tag, überlegte Heinrich. Er checkte für seinen Flug nach Dallas ein. Bis dieser aufgerufen wurde, blieb ihm noch Zeit. Er setzte sich auf eine Wartebank, versuchte seine durcheinander wirbelnden Gedanken zu ordnen. Sah seine überstürzte Abreise nicht wie eine Flucht aus, überlegte er. Aber welche Alternativen boten sich ihm? Sollte er beim Vater ausharren, dann hätte er mit Michelle eine weitere Nacht unter ihrem Dach verbringen müssen oder sogar mehrere, ihren unverhohlenen Annäherungsversuchen ausgesetzt. Irgendwie würde sie ihn herumkriegen, befürchtete er. Er wollte nicht daran denken. Ob er noch einmal die Kraft finden würde, ihr zu widerstehen? Er war sich nicht sicher. Noch kitzelte ihn ihr betäubendes Parfüm in der Nase. Und dann? Cielo könnte er nicht mehr unter die Augen treten. Der Vater hätte von einer längeren Anwesenheit auch nichts, tröstete er sich. Im Innersten seines Herzens ahnte er jedoch, dass er sich belog. Trotz allem schien die überstürzte Abreise der beste Weg aus dieser Zwangslage. Die Erinnerung an die letzte Nacht rief eine wilde Erregung in ihm wach. Cielo zeigte sich nie so leidenschaftlich, so fordernd. Der Reiz des Verbotenen schien dieses Prickeln auszumachen, oder war es dieses aus der Kindheit überkommene Gefühl. Auf jeden Fall war es vorüber und er würde sich hüten nochmals in diese verlockende Falle zu tappen. Ihm wurde klar, dass er auf keinen Fall zur Beerdigung fahren konnte. Der Vater würde es ihm verzeihen. Besser er hielt das Andenken an ihn unbefleckt. Fast unbefleckt stellte er ehrlich fest. Was hätte die Mutter dazu gesagt.

      Schluss jetzt mit diesem Martyrium in Gedanken, befahl er sich. Er erhob sich, kaufte eine Zeitung und versuchte sich in den Klatsch von Montgomery zu vertiefen. An einem Artikel über die missliche Situation der Farmer in Alabama blieb er hängen. Es ging um einen bissigen Kommentar zu genmanipulierten Pflanzen. Mit Erstaunen las er, nicht nur Baumwolle, sondern auch Soja, Reis, Mais und Weizen wurden manipuliert. Sogar genmanipulierte Pappeln baute ein deutscher Konzern in China an.

       Biologische Leibeigenschaft

       Zynisch ist das Ausweichen der Konzerne auf den Bereich Umweltschutz vor allem deshalb,