Ellen G. Reinke

In den Fängen der Stasi


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Positives für uns Studenten. Da die Westberliner nicht mehr ohne weiteres in den Ostsektor reisen konnten, waren die Theater halb leer. Für ein paar Pfennige gab es „Studentenkarten“, das waren verbilligte Eintrittskarten für Studenten, in fast allen Theatern. Und wir haben das ausgiebig genutzt. Wie gern erinnerte ich mich an die zahlreichen Theater- und Opernbesuche. Eigentlich liegt mir klassische Musik mehr als Tanzmusik, wie zum Beispiel beim Faschingsball.

      Ach du meine Güte! Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. Die Zeit war fortgeschritten. Es war schon dunkel und ich hatte noch immer keine Entscheidung gefällt, ob ich zum Faschingsball gehe oder nicht. Ich war nicht mehr in Berlin, sondern hier in Dresden. Das Physikum in der Tasche, steckte ich mitten im klinischen Studium. Das Geld war knapp und eine Eintrittskarte für den Medizinerfasching nicht gerade billig. Also konnte man sie nicht verfallen lassen.

      Im Parkhotel war eine Mordsstimmung.

      Obwohl ich zusammen mit meinen Kommilitonen an einem Tisch einen Sitzplatz hatte, kam ich nicht zum Sitzen. Von Saal zu Saal ziehend, machte ich meinem Kostüm nicht gerade Ehre, denn ich hatte mich als „Mauerblümchen“ angezogen. Damals gab es noch keine Leggins. Blickdichte schwarze Strumpfhosen erfüllten den gleichen Zweck. Darüber trug ich einen losen roten Kittel, den ich selbst genäht und mit weißer Farbe darauf die Fugen der Mauersteine sowie Strichmännlein, „Fritz ist doof“ und Ähnliches gemalt hatte. Dazu hatte ich eine alberne Schleife im Haar. Mit künstlichen Sommersprossen im Gesicht wollte ich auch entsprechend doof aussehen. Allerdings schien das zum Fasching niemanden abzuschrecken. Laufend wurde ich zum Tanzen aufgefordert. Langsam wurde ich durstig, aber es hätte eine längere Wartezeit bedeutet, ein Bier zu bekommen. Sooft ich eins bestellt hatte, tanzte ich schon wieder, bevor die Kellnerin mit dem ersehnten Bräu kam. Doch der Durst wurde immer größer und so wartete ich irgendwann auch geduldig, Körbe verteilend, an meinem Tisch auf das bestellte Bier. „Wenn ich Ihnen ein Bier besorge, tanzen Sie dann mit mir?“, fragte mich ein Typ und ich nickte. Keine Ahnung, wie er das geschafft hatte, aber im Handumdrehen war er mit einem halben Liter Bier wieder da und genau so schnell hatte ich es ausgetrunken. Bei so prompter Löscharbeit war die Dankbarkeit natürlich groß und ich tanzte nicht nur einen Tanz mit Johannes. Ich nannte ihn kurz Jo. So zog ich wieder von Saal zu Saal, allerdings mit ihm. Nach einiger Zeit meinte ich, das Bier „abgetanzt“ zu haben und verabschiedete mich, um für „kleine Mädchen“ zu gehen, ich müsse das Bier loswerden. Eigentlich meinte ich damit Jo, denn es war nicht gerade der Sinn des Faschings, den ganzen Abend mit dem gleichen Partner zu tanzen. Dank eines Plausches im Vorraum jenes Örtchens hielt ich mich da auch etwas länger auf als gewöhnlich. Jedoch als ich die Toilette verließ, stand dort, natürlich rein zufällig, Jo und lud mich an die Bar ein. Wer hätte da widerstehen können, zumal ich ja schon wieder Durst hatte. Ich wurde ihn nicht los. Auch seinen Freund Felix lernte ich kennen. Er war mir nicht sonderlich sympathisch. Aber er war mit dem Auto da und bot mir an, mich mit seinem Wagen nach Hause zu bringen. Nun wollte ich Jo auch nicht mehr loswerden. Heute klingt das makaber, aber 1967 in der DDR war ein fahrbarer Untersatz, zumindest in Studentenkreisen, eine ausgesprochene Rarität. So konnte mir das Frieren an der Straßenbahnhaltestelle erspart bleiben. Taxis waren nicht nur rar, sondern für Studenten auch unerschwinglich. Also vereinbarte ich, wiederum aus Dankbarkeit, für den nächsten Tag ein Rendezvous mit Jo. Ich müsste ja nicht hingehen.

      Doch die Freude über den luxuriösen Heimweg hielt nicht lange an. Zu Hause stellte ich mit Schrecken fest, dass mein kleines Handtäschchen fehlte. Ich hatte es in die große Tasche mit den dicken Klamotten, die ich ja im Auto nicht hatte überziehen müssen, gesteckt. Es musste beim Gedränge an der Garderobe rausgerutscht sein.

      Gleich am nächsten Morgen rief ich im Hotel an, keine Spur von meiner Tasche. Für mich wäre der Verlust des Personalausweises und des Studentenausweises, abgesehen von den paar Mark Inhalt der Geldbörse, ziemlich schmerzlich gewesen. So hoffte ich inbrünstig, dass mein Täschchen im Auto raus gefallen und von Felix gefunden worden wäre. Da ich von Jo weder Adresse noch Telefonnummer hatte, blieb das Rendezvous meine einzige Hoffnung. Ich musste hingehen.

      2. Ein richtiger Mann

      Wir hatten uns an einer Straßenbahnhaltestelle verabredet. Und da stand ich nun, sehnsüchtig auf Jo, nein, auf mein Täschchen wartend. Er stieg aus der Bahn und erleichtert sah ich das Vermisste sofort aus seiner Manteltasche hervorschauen. Meine Freude war groß. Und so ließ ich mich, wiederum aus Dankbarkeit, einladen. Eigentlich wollte ich in eine Studentenkneipe, doch Jo zog es zum Altmarkt in das Ring-Café, eine etwas vornehmere Gaststätte. Ihn interessierte weder, dass ich, wie ich meinte, nicht dafür gekleidet sei, noch dass ich keinen Wein, sondern Bier trinken wollte. Ein Student, wie er am Vorabend vorgab, war er also sicher nicht. Allerdings berührte mich das auch wenig. Ich hatte ja mein Täschchen und mehr brauchte ich nicht. Der Wein schmeckte mir absolut nicht. Und als ich nach einer knappen Stunde glaubte, dass meine Dankbarkeit abgegolten sei, bekundete ich in meiner schnippischen Art, dass ich jetzt nach Hause wolle. Doch Jo antwortete, er möchte den Wein noch in Ruhe austrinken, bringe mich aber gern zur Garderobe.

      Hoppla, was war denn das? Hatte ich richtig gehört? Meine früheren Partner wären aufgesprungen und hätten die fast volle Flasche stehen lassen. Bisher hatte ich immer meinen Willen durchgesetzt. Ich kannte keinen Widerspruch und hatte das leider auch schamlos ausgenutzt. Dass ich das immer ausnutzen würde, wusste ich und auch, dass dies für eine Partnerschaft auf Dauer nicht gut sei. Es war das erste Mal, dass ein Mann meine Faxen nicht duldete. Ja, das war doch wohl offensichtlich nicht so ein Hampelmann. Also beschloss ich, nicht zu gehen und mir den Helden genauer anzusehen. Eigentlich sah er ganz gut aus. Er trug einen schicken grünen Pullover, der sogar mir gefiel. Schon allein die Farbe war ausgefallen. Und ich konnte mir absolut nicht vorstellen, dass dieses äußerst geschmackvolle modische Kleidungsstück einer VEB-Produktion entstammte. Seine drahtige, durchtrainierte Figur hatte mir schon am Vorabend imponiert. Allerdings war er nicht unbedingt mein Typ. Ich stand eher auf dunkelhaarige, fast südländische Männer. Jo war blond und hatte blaue Augen, so wie meine erste Liebe auch ausgesehen hatte. Wer zog nun wen an? Die Blonden mich oder ich die Blonden?

      Wir trafen uns ein paar Mal. Dann lud mich Jo zur Verlobungsfeier seiner Schwester Ursula, kurz Uschi, ein. Sie fand bei den Eltern zu Hause statt. Mit einer wunderschönen Orchidee, deren Preis mein kärgliches Budget fast überstieg, ausgestattet, erschien ich und war fest davon überzeugt, gut anzukommen. Aber weit gefehlt. Obwohl Uschi in meinem Alter war und ich immer sofort einen guten Kontakt zu gleichaltrigen Mädchen gehabt hatte, schnitt sie mich. Die Mutter fand ich zwar recht sympathisch und ich hatte beim Abräumen des Geschirrs in der Küche auch ein nettes Gespräch mit ihr. Aber die übrige Familie war sehr zurückhaltend. Wohl fühlte ich mich auf keinen Fall. Und ich glaubte nicht, dass dies eine Familie für mich wäre.

      Hinzu kam, dass ich ein paar Wochen später ein Telegramm, von der Schwester unterzeichnet, erhielt. Es besagte, dass Jo zur Leipziger Messe und somit verhindert sei, abends mit ins Konzert zu kommen. Die Karten dafür hatte ich von meinem kärglichen Stipendium gekauft. Da ich Jo aber mit seinem Motorroller an diesem Tag über den Dresdner Postplatz fahren gesehen hatte, wusste ich das zu werten. Beim nächsten Treff schob ich dringende Arbeiten an meiner Promotion vor. Man hört von einander!

      Ich hätte mich auch meiner Promotion gewidmet, wenn da nicht gleich mehrere Probleme aufgetaucht wären.

      Erstens erfuhr ich, dass mein Kontingent an Fotopapier erschöpft sei. Es wurde aus dem so genannten NSW (Nicht Sozialistisches Wirtschaftsgebiet) importiert. Da meine Doktorarbeit zwar wissenschaftlich interessant wäre, aber weder ein politisches Interesse noch eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit vorläge, gäbe es eben kein Papier mehr. Das war für mich ein großer Schock. Ich verfluchte Vieles und Viele, unter anderem, dass ich keine Westverwandtschaft hatte, die mir hätte das Papier einfach schicken können. Und warum musste ich so dämlich ehrgeizig sein, mich nicht mit einer Statistikarbeit zu begnügen. Ich hatte eine Dissertation herausgesucht, an der ich nun schon seit vielen, vielen Monaten gearbeitet hatte. Es waren Kreislaufanalysen an Patienten unmittelbar nach einem Herzinfarkt sowie nach einem Jahr durchzuführen. EKG, Herztöne und die Pulse von der Halsschlagader und der Beinschlagader waren aufzuzeichnen und die Filme zu entwickeln. Dann hatte ich alles auszumessen und zu berechnen. Da die Messungen unter „Ruhe-