Ellen G. Reinke

In den Fängen der Stasi


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Jedoch die Ausbildungsstellen für den „Hochschuleinzugsbereich“, zu dem diese Stadt gehörte, waren sehr gefragt und wurden nur über eine Kommission an der Medizinischen Akademie vergeben. Es war allgemein bekannt, dass die Parteizugehörigkeit das wichtigste Kriterium für die Vergabe war. Ich wollte besonders schlau sein und trat beizeiten in die Liberal Demokratische Partei Deutschlands (LDPD), eine so genannte Blockpartei, ein. Dass dies nicht schlau, sondern naiv war, erkannte ich leider erst viel später. Ich war überglücklich, als ich erfuhr, dass meine Bewerbung erfolgreich gewesen sei und ich meine Facharztausbildung im Freitaler Krankenhaus beginnen könne. Sechs Bewerber waren auf eine Stelle gekommen.

      Wir heirateten am 13. Juli 1968 und traten danach unseren „Hochzeitsurlaub“ an. Heutzutage sind die Ziele Hawaii, Mauritius, Dominikanische Republik etc. Unsere Reise ging mit dem Motorroller in ein von Dresden ca. 80 km entferntes Kaff in der Oberlausitz, wo wir einen FDGB-Urlaubsplatz (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) hatten. Wir waren privat untergebracht und hatten lediglich ein einziges kleines, nicht beheizbares Zimmer mit notwendigstem Mobiliar. Es gab weder Bad noch Dusche. Zum Waschen stand uns eine Porzellanwaschschüssel, wie ich sie aus zu Omas Zeiten kannte, mit einem dazu passenden Krug zum Wasserholen zur Verfügung. Kaltes Wasser gab es in der Waschküche. Das Dorf verfügte glücklicherweise über ein kleines Lädchen, in dem wir sogar einen Tauchsieder erstehen konnten. So hatten wir wenigstens warmes Wasser zum Waschen. Als wir abfuhren, wies der Krug zwar einen Riss auf, doch das interessierte uns absolut nicht. Die Mahlzeiten nahmen wir im ca. 500 Meter entfernten Dorfgasthof ein.

      Der Juli 1968 war regnerisch und kalt. Und die Hochzeitsreise wird uns in ewiger, wenn auch nicht gerade angenehmer Erinnerung bleiben, nicht zuletzt auch deshalb, weil wir bei unseren Wanderungen täglich frische Panzerspuren entdeckten. Unser Wissensdurst war so groß, dass wir den Spuren nachgehen mussten. Aber die Militärposten hinderten uns daran, einen Blick ins Sperrgebiet zu werfen. Glücklicherweise hatten wir uns ein kleines Kofferradio mitgenommen. So erfuhren wir von irgendeinem westlichen Sender, ich nehme an, es wird der RIAS gewesen sein, dass an der tschechischen Grenze Militär stationiert worden sei und nur noch darauf wartete, in die CSSR einzumarschieren, was bekanntlich kurz danach passierte. Dubcek wäre auch für uns eine Hoffnung gewesen. Man hatte gehört, dass die Grenzen zur BRD in seiner Ära nicht so streng bewacht worden seien.

      Nun schwand die Hoffnung, unser Leben auf der anderen, der freien Seite Deutschlands fortsetzen zu können, zusehends. Wie unzähligen unserer Mitmenschen war es auch uns keinesfalls möglich, sich mit dem DDR-Staat zu identifizieren. Wir verachteten die Praktiken dieses Regimes und spielten mit dem Gedanken, diesem verlogenen System den Rücken zu kehren, um ein einigermaßen menschliches Leben führen zu können. Darüber gesprochen hatten wir bereits des Öfteren, jedoch noch keine konkreten Pläne geschmiedet. Ich hatte wohl längst sämtliche Prüfungen bestanden, aber die Exmatrikulation war erst im Herbst und bis dahin musste ich auf die Aushändigung des Examenszeugnisses und der Approbationsurkunde warten. Ohne diese Papiere hätte ich im Westen natürlich nicht arbeiten können.

      Also war Warten angesagt.

      4. Eine eigene Wohnung

      Eigentlich hatten wir kaum eine Chance, als frisch Verheiratete ohne Kind eine Wohnung zu bekommen, zumindest nicht in Dresden. Doch das Schicksal war uns hold. Jo wohnte zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester in einer großen Vierzimmerwohnung. Zufällig heiratete ein Kollege von Jo eine verwitwete Frau mit eigener Wohnung, die nun frei wurde. Mit viel Charme und Überredungskunst gelang es Jo, die Damen auf dem Wohnungsamt davon zu überzeugen, dass es ein Gewinn für sie sei, wenn wir die große Wohnung der Schwiegermutter gegen die ja sowieso frei werdende kleinere der Frau seines Kollegen und eine ebenso kleine für seine Mutter tauschen könnten. Damit würde das Wohnungsamt Pluspunkte sammeln, denn so konnte einer kinderreichen Familie, die schon damals vom Staat gefördert wurde, geholfen werden. Also bezogen wir gleich nach meinem bestandenen Staatsexamen eine hübsche kleine Zweizimmerwohnung. Wenn sie auch nur Ofenheizung hatte, verfügte sie aber doch wenigstens über ein Bad und das war damals in der DDR noch nicht unbedingt Standard.

      Wir arbeiteten fleißig und zwecks Selbsterhalts versuchten wir, nach außen hin als brave und politisch engagierte Bürger zu erscheinen. Sicher war das nicht einfach. Und ich muss wohl auch mal eine Äußerung gemacht haben, die der Kaderleiter, so hieß in der DDR der Personalchef, gehört hat. Diese Spezies waren in der Regel für die Stasi tätig. Wir Ärzte hatten für unsere Hausbesuche Fahrer und eben dieser Kaderleiter hat manchmal an den Wochenenden Chauffeur gespielt, sei es, um Personalengpässe auszugleichen, sich Geld dazu zu verdienen oder aber um Mitarbeiter auszuhorchen. Letzteres hielt ich für das Wahrscheinlichste. Dass ich ihn nicht leiden konnte, hat er sicherlich gespürt. Auch er mochte mich nicht. Ein Mal kam er als mein Fahrer zu spät und ich habe für einen dringenden Hausbesuch kurzerhand ein Taxi auf seine Kosten bestellt. War das der Grund dafür, dass er immer, wenn ich für eine Prämie vorgeschlagen wurde, dagegen stimmte? Oder hatte ich mal in seiner Gegenwart eine unbedachte Äußerung von mir gegeben? Sicher weiß das nur er.

      5. Schöner Urlaub!

      Im Juni 1969 konnten wir endlich unsere um ein Jahr verspätete richtige Hochzeitsreise antreten. Wir hatten uns eine Reise nach Bulgarien im wahrsten Sinne des Wortes erstanden, die ganze Nacht hindurch bis morgens 10 Uhr vor dem Reisebüro.

      Als ich mich auf dem Flugplatz in Dresden beim Reiseleiter meldete, erklärte mir dieser zu meiner Verwunderung, dass ich das doch schon getan hätte. Aber ich war eben erst angekommen. Nach kurzem Hin und Her konnte er feststellen, dass sich in der Reisegruppe noch eine Dame gleichen Vor- und Zunamens befand. Vorher schien das offensichtlich nicht bekannt gewesen zu sein und ich machte mir Gedanken, nach welchem System wohl wer die Liste erstellt haben mochte.

      Für sehr viel Geld hatten wir ein Hotelzimmer mit Blick auf die Mülltonnen eines anderen Hotels, in dem die BRD-Bürger wohnten. Das Frühstück mussten alle gemeinsam, jeden Tag am gleichen Platz, zu vorgeschriebener Zeit einnehmen. Der Reiseleiter brauchte ja eine Kontrollmöglichkeit, ob seine Schäfchen auch noch alle da seien.

      Gleich am ersten Morgen setzte sich an unseren Tisch ein Ehepaar, das für mich nach Stasi roch. Ich hatte eine sehr gute Nase dafür. Als wir die beiden fragten, wie sie sich denn die Reise ergattert hätten, erzählten sie, dass sie eigentlich woanders hätten hinfahren sollen und es habe sich erst in letzter Minute entschieden, dass sie nach Bulgarien führen. Jo spürte unter dem Tisch meine Fußspitze in seiner Wade. Mein Verdacht war bestätigt. Obwohl Jo das bedeutsame Wörtchen „sollen“ überhört hatte und seine Nasenfunktion an dem Tag nicht besonders gut zu sein schien, kapierte er mein Drängen, dass ich möglichst bald ein gewisses Örtchen aufsuchen müsse. Allerdings fragte er mich, was ich denn gegen die Leute hätte, und ich klärte ihn auf. Dank des schnell beendeten Frühstücks hatten wir noch einen schönen langen Tag vor uns. Am Meer nahmen wir uns einen Strandschirm für den gesamten Urlaub. Und als unsere deutsch sprechenden Nachbarn kamen, haben wir uns natürlich auch mit ihnen unterhalten. Sie erzählten unter anderem, dass sich irgendwo in der BRD ein Elektriker als Arzt ausgegeben und als solcher gearbeitet hätte. Ich konnte mir das nicht vorstellen, denn in der DDR wäre so etwas nicht möglich gewesen, und sie gaben mir die Illustrierte, in der dies zu lesen stand. So saß ich am Strand, den „Stern“ in der Hand und las unbekümmert.

      Noch am gleichen Abend wurde Jo zum Reiseleiter zitiert. Dieser hatte die „Parteigruppe“, von deren Existenz man nichts gewusst hatte, zusammengerufen. Und Jo musste Stellung dazu nehmen, dass seine Frau am Strand „Westzeitungen“ gelesen hatte.

      Den Strandschirm, den wir ja bereits für zwei Wochen im Voraus bezahlt hatten, ließen wir verfallen und suchten uns einen Platz weit weg von unserem Hotel. Allerdings schaffte ich es, dem Ganzen auch noch die Krone aufzusetzen, als mich der Reiseleiter bei der Kennlern-Tanzveranstaltung, ebenfalls Pflichtveranstaltung, zum Tanzen aufforderte. „Mit Ihnen tanze ich nicht. Ich möchte mit Leuten, die mich bespitzeln und hinter meinem Rücken über mich reden, nicht tanzen“, wagte ich kühn zu sagen. Ein Tritt von Jo auf meinen Fuß hinderte mich daran, diesem miesen Typen noch mehr an den Kopf zu werfen. Die übrige Zeit bis zum Ende des Urlaubes habe ich kein Wort mehr mit dem Reiseleiter gewechselt.

      An unserem nächsten Strandplatz