Ellen G. Reinke

In den Fängen der Stasi


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Wir tanzten um das Männlein herum und es begleitete uns auch an die Bar. Alle hatten eine Mordsstimmung und es war insgesamt ein wunderschöner Abend. Eigentlich hätten wir ganz froh über den Ausgang des Abends sein können, denn es war den Stasileuten nicht gelungen, an Gerda heranzukommen.

      Aber… Es war uns nicht nur entgangen, dass das Lachemännchen verschwunden war, sondern auch, dass Uschi mehrere Tänze mit ein und demselben Herrn getanzt und ihm ihre Telefonnummer mitgeteilt hatte. Dieser Herr hatte dann am nächsten Tag unter dem Vorwand, das Lachemännlein zurückgeben zu wollen, ein Rendezvous mit Uschi vereinbart. Er hatte wohl auch die Figur wieder mitgebracht, aber sie hatte leider ihre Funktion verloren. Was wohl die Stasi in ihm vermutet hatte? Auf jeden Fall war es den „Fachleuten“ nicht gelungen, das Männlein wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen. Als wir etwas von der Geschichte mitbekamen, war es schon zu spät. Uschi hatte sich bereits mehrmals mit dem Typen getroffen und sich unsterblich in ihn verliebt. Man sagt nicht umsonst, dass Liebe blind mache. Sie weigerte sich, ihn aufzugeben. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Normalerweise hätte auch sie erkennen können, dass er bereits begonnen hatte, Fragen zu stellen, auf die ein echter Liebhaber niemals käme. Typisch für die Stasihelden, sich immer an das schwächste Glied heranzumachen.

      Jo sprach ein Machtwort. Ob sie uns alle vernichten wolle! Es gab Krach in der Familie.

      Gerda konnte sich mit der Situation nicht abfinden. Sie sei ein freier Mensch. So zog sie es vor, baldmöglichst abzureisen. Der Zweck ihrer Reise, ihre todkranke Mutter noch einmal zu sehen, war erfüllt. Bei einer Nacht- und Nebelaktion brachte Jo sie in den ersten Januartagen wieder nach Berlin. Der Zwangsumtausch für die restlichen zehn Tage war verfallen.

      Dass dies jedoch nicht der einzige Verlust für Gerda war, erfuhren wir erst viel später. Bereits vor der Reise war sie von den zuständigen Stellen in der Botschaft belehrt und auf mögliche Verwicklungen und die damit verbundenen nervlichen Belastungen hingewiesen worden. Außerdem hatte man ihr klar gemacht, dass sie, falls sie reise, ihre fachlich interessante Tätigkeit nicht beibehalten dürfe. Die Familienbande waren jedoch stärker als ihr Ehrgeiz und so war sie in eine andere Abteilung versetzt worden.

      Da wir zunächst Ruhe hatten, hofften wir, dass der Spuk für uns beendet wäre. Aber weit gefehlt! Im März wurde Jo erneut von der Stasi vorgeladen und nun warf man ihm vor, dass die gestellten Ziele der Aktion durch sein Versagen hatten nicht erreicht werden können. Es wurde behauptet, er habe die Schweigepflicht, die ihm auferlegt worden war, verletzt und Vertraulichkeiten weitergegeben, die zur vorzeitigen Abreise seiner Schwester geführt hätten. Somit habe er verhindert, dass eine Verbindung zu Gerda hergestellt und eine „Kundschafterlinie“ aufgebaut werden konnte. Jo erklärte, dass er weder sich noch seine Schwester für Spionagedienste missbrauchen lassen würde, lieber gehe er wieder als Maurer arbeiten. Daraufhin erwiderte man ihm: „Wo Sie in Zukunft arbeiten werden und wie es mit Ihnen weiter geht, das bestimmen WIR.“ Er musste unterschreiben, dass er sich verpflichte, zehn Jahre über die Angelegenheit zu schweigen. Bei Nichteinhaltung der Schweigepflicht habe er mit Exmatrikulation, Verlust des Arbeitsplatzes und sogar Inhaftierung zu rechnen.

      Uns war inzwischen klar geworden, dass unsere Familienkonstellation mit dem Bruder in Ungarn, der offiziell zu seinen Verwandten sowohl in der DDR als auch in den USA reisen konnte, ideal für eine Spionagelinie gewesen wäre.

      Obwohl wir danach nichts vom MfS hörten, folgten für uns schreckliche Wochen und Monate. Wir rechneten täglich mit neuen Schikanen der Stasi.

      Ich musste mich auf meine Facharztprüfung vorbereiten und meine Schwiegermutter lag im Sterben. Verständlicherweise traute sich nach diesen Ereignissen keine der Schwestern aus Amerika, die DDR zur Beerdigung der Mutter zu betreten.

      Unsere Nerven waren zum Zerreißen angespannt. Fast wäre unsere Ehe gescheitert. Aber irgendwie haben wir die Kraft aufgebracht, das alles zu kompensieren.

      Allerdings hatten wir nur einen Gedanken: Ja keine Fehler machen und nicht auffallen. Wir rechneten mit einer ständigen Überwachung, aber die Stasi schien uns vergessen zu haben.

      9. Ein wunderbarer Beruf

      Nach erfolgreich bestandener Facharztprüfung im Dezember 1973 musste ich mich um eine neue Arbeitsstelle bemühen. In Freital wollte ich nicht bleiben, nicht nur wegen des mir nicht wohl gesonnenen Kaderleiters. Jo arbeitete inzwischen in Dresden in einem Forschungsinstitut, fünf Minuten Fußweg von unserer neuen Wohnung, die wesentlich weiter von Freital entfernt war als die vorherige.

      Da ich zwei Bewerbungen und zwei Zusagen hatte, entschied ich mich für eine Stelle als Betriebsärztin in der Flugzeugwerft Dresden-Klotzsche. Ich hatte schon immer eine Schwäche für das Fliegen und Flugzeuge gehabt. Als junges Mädchen wollte ich gern zum Segelfliegen gehen. Mein Traum war aber daran gescheitert, dass ich dazu hätte in die GST (Gesellschaft für Sport und Technik) eintreten müssen. Dies wäre jedoch an eine militärische Ausbildung, die ich verabscheute, gebunden gewesen. Der neue Job gefiel mir gut. Ich fühlte mich wohl und ich hatte Gelegenheit, mich zu qualifizieren.

      Nach etwa zwei Jahren bestellte mich meine Chefin zu sich und sagte: „Die Tante stört!“ Die Tante stört? Was sollte das heißen? Ich wusste zunächst nicht, worum es geht und schaute sie fragend an. Also, die Flugzeugwerft setzte Militärmaschinen instand und da durfte der „Klassenfeind“, das westliche Ausland, keinen Einblick haben. In meinem Personalfragebogen hatte ich wahrheitsgetreu als Westverwandtschaft meine Tante Erika in Landsberg am Lech, die mit einem amerikanischen Offizier verheiratet war, angegeben. Nach Jos Schwestern war nicht gefragt worden. Bei meiner Einstellung hatte sich niemand daran gestört. Nun sollte ich unterschreiben, dass ich die Verbindung zu dieser Tante offiziell abbreche. Warum wohl? Ich wurde nachdenklich. Vorteile von dieser Beziehung hatte ich nicht gehabt. Es gab keine von den gern gesehenen „Westpaketen“. Und wenn Erika ihren Sohn, der in der Nähe Dresdens wohnte, besuchte und auch bei uns vorbei schaute, gab es kaum Geschenke. Meine Chefin muss wohl mit mir zufrieden gewesen sein, denn sie bat mich inständig, die Unterschrift zu leisten, damit ich bleiben könne. Natürlich wäre ich gern geblieben. Nicht nur, dass mir die Arbeit zusagte und ich mich im Team wohl fühlte, ich hatte auch Vorteile. So wurde ich beispielsweise täglich mit einem PKW von zu Hause abgeholt und wieder nach Hause gebracht, musste nicht am nächtlichen Bereitschaftsdienst der Stadt Dresden teilnehmen, sondern hatte nur ab und zu sonntags Flugdienst, wenn die instand gesetzten Militärmaschinen getestet werden mussten. Die Testpiloten zu betreuen war so richtig nach meinem Geschmack.

      Ich wusste von Vielen, die unterschrieben hatten und ihre Verwandten nun heimlich trafen oder sich die Westpakete an andere Adressen schicken ließen. So mancher hatte wohl existenzielle Gründe dafür. Deshalb verachtete ich diese Leute auch nicht. Andere genossen nur die Vorteile. Zu denen wollte ich jedoch keineswegs zählen. Meine Gedanken kreisten: Falls ich die Unterschrift doch noch leistete, würde sich für mich, was die Beziehung zur Tante beträfe, kaum etwas ändern. Doch hätte ich dann mein Spiegelbild noch ohne Abscheu betrachten können? Sie war eine Blutsverwandte von mir. Hätte ich sie verleugnen sollen? Die Entscheidung fiel nicht leicht. Mir war klar, dass der Verlust dieses Arbeitsplatzes nicht der einzige Nachteil wäre, wenn ich nicht unterschriebe. Zukünftig würde dann auch ein gewisser Eintrag meine Kaderakte, wie in der DDR die Personalakte hieß, zieren.

      Ich hatte den Mut, die Unterschrift zu verweigern.

      So wurde ich ins „Pentacon“, die „Kamera und Kinowerke“, versetzt. Auch gut! Nein, doch nicht, denn ich wusste sehr bald, dass ich unter dem Chef nicht lange arbeiten würde. Sich seinen Weisungen zu widersetzen, könnte disziplinarische Maßnahmen zur Folge haben. Seine Anordnungen zu befolgen, war jedoch gegen meine Berufsehre. Das konnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Klar, dass ich mich in einer solchen Zwickmühle nicht wohl fühlte. Also nahm ich einen Termin bei der Ärztlichen Direktorin des Betriebsgesundheitswesens (BGW) wahr und bat um Versetzung in einen anderen Betrieb, ohne einen Grund zu nennen. Der Frage, ob es wegen des Chefs sei, wich ich aus. Noch nie hatte ich jemanden verpfiffen.

      Zunächst tat sich gar nichts. Dann aber bot sich mir eine ungeahnte Möglichkeit. In unserem Wohngebiet, keine fünf Minuten Fußweg von unserer Wohnung entfernt, befand sich eine Stadtambulanz, eine Außenstelle der Poliklinik Dresden-Blasewitz.