Ellen G. Reinke

In den Fängen der Stasi


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den Mitbewohnern des Wohnblocks, in dem wir lebten, dass eine Ärztin da weggehe. So versuchte ich mein Glück. Ich bewarb mich auf die Stelle und erhielt eine Zusage. Also kündigte ich. Da rief mich die Chefärztin des BGW zu sich und eröffnete mir, dass man meinen Vorgesetzten überprüft hätte. Er werde versetzt und somit sei seine Stelle neu zu besetzen. Man habe dabei an mich gedacht. Ich sollte meine Kündigung zurückziehen. Das hätte mir noch gefehlt! Am Ende würde man mir unterstellen, ich hätte an den Stuhlbeinen meines Chefs gesägt, um selbst darauf sitzen zu können. Nein, ich wollte nicht Leiter des Betriebsambulatoriums werden. Ein staatlicher Leiter in der Familie genügte. Ich blieb bei meiner Kündigung.

      So trat ich meine neue Stelle an und erfuhr, dass die Ärztin, die ich ersetzen sollte, die Leiterin der Stadtambulanz gewesen war. Sollte ich aus dem Regen in die Traufe gekommen sein? Die eine leitende Position hatte ich abgelehnt und nun sollte ich doch eine übernehmen? Dann wäre noch weniger Zeit für die Familie geblieben. Das war keinesfalls in meinem Sinne.

      Was tun? Zurück hätte ich nicht mehr gekonnt.

      Es gab eine Lösung. Da die Ambulanz sowieso unterbesetzt gewesen war, fand man glücklicherweise eine neue Chefin. Allerdings verzog diese nach gut einem Jahr. Man bot mir erneut die Leitung an und ich lehnte abermals ab.

      Meine Tätigkeit gefiel mir so ganz gut und ich hatte auch noch ein wenig Zeit für unsere Tochter Conny.

      10. Nur Staatsfeinde kehren der Partei den Rücken

      Ich war ja bekanntlich Mitglied in der LDPD (Liberal Demokratische Partei Deutschlands), die als Blockpartei nach außen hin Demokratie im Sozialistischen Staat vorgaukeln sollte. In Wirklichkeit waren inzwischen alle Parteien Vasallen der SED. Die Mitgliederzahlen verringerten sich zunehmend und die LDPD kämpfte um die ihren. Was lag für die Partei näher, als eine Ärztin, die auch noch im Wohngebiet arbeitete, als Aushängeschild zu benutzen, denn das Ansehen der Ärzte war in der Bevölkerung hoch. Man bot mir eine Tätigkeit als Schöffe beim Bezirksgericht an. Für den ersten Moment fand ich das sogar toll, aber ich bat mir glücklicherweise Bedenkzeit aus, die wir für Erkundigungen nutzten. Wir erfuhren, dass man wohl sogar vorwiegend über politische Vergehen zu entscheiden hatte. Mir rutschte das Herz in die Hosentasche. Hatten sie mich jetzt?

      Jo und ich berieten uns und wir kamen zu dem Schluss, dass ich es wagen könnte, aus der Partei auszutreten.

      Ich nahm allen Mut zusammen und erklärte meinen Austritt schriftlich. Aber zu meinem Erstaunen gab man mir das Schreiben zurück. Aus einer politischen Partei auszutreten, sei so etwas wie eine Kriegserklärung, nach dem Motto: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“. Man empfahl mir, ich sollte mir das reiflich überlegen. Aber diese Empfehlung war eher eine Drohung.

      Jo und ich diskutierten lange. Schließlich ermunterte er mich und gab mir Kraft, indem er sagte: „Was hast du schon, das sie dir wegnehmen können.“ Jo würde zu mir halten. Meine Tochter konnten sie mir nicht wegnehmen, vielleicht meinen Job, aber bei dem Ärztemangel war das eher unwahrscheinlich. Zu viele Ärzte waren aus der DDR geflüchtet.

      Ich blieb dabei. Nun sollte eine Aussprache stattfinden, mit dem Vorsitzenden der Wohngebietsgruppe. Als ich zum vereinbarten Termin erschien, staunte ich nicht schlecht. Letzterer war wohl anwesend, aber noch vier weitere Personen, die ich nicht kannte. Und ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass sie sich mir vorgestellt hätten. Da saß ich nun, ich armes Würstchen, ganz allein den fünf Geschulten gegenüber. Ich versuchte, mich so wacker wie möglich zu schlagen.

      Zunächst fragte ich, ob es denn verboten sei, auszutreten, ich sei ja auch freiwillig eingetreten. Natürlich war es das nicht, aber warum ich dies wolle. Der Ton war höflich. Ich versuchte, meine Situation zu erklären: Mein Ehemann war in einer verantwortungsvollen Position und mit einer außerplanmäßigen Aspirantur befasst. Die vielen zusätzlichen Nachtdienste in meinem Vollzeitjob und außerdem ein Kind, das ja schließlich auch Zuwendung brauchte, nahmen meine Zeit über alle Maßen in Anspruch. Für politische Aktivitäten bliebe da kein Freiraum mehr. Man signalisierte mir Verständnis, ich müsse ja nicht unbedingt kandidieren. Ich versuchte, der Schlinge zu entkommen. Entweder richtig oder gar nicht, das sei schon immer mein Motto gewesen. Für Halbheiten sei ich nicht zu haben.

      Der Ton wurde gereizter. Früher sei das ja auch gegangen. Aber da war meine familiäre Situation noch nicht so. Ich hätte mich überschätzt, ich könne das nicht schaffen. Wozu also Beitrag zahlen. Ach du meine Güte, so blöd konnte auch nur ich sein. Jetzt bot man mir an, die Mitgliedschaft ruhen zu lassen, ich brauchte mich nicht zu engagieren und keinen Mitgliedsbeitrag mehr zu bezahlen. Hatte ich alles vermasselt?

      Ich blieb standhaft und erklärte immer wieder meinen Entschluss, auszutreten. Jetzt wurde nicht nur der Tonfall aggressiver. Man erklärte mich zum Staatsfeind. Das war genau das Richtige für mich. Bis dahin hatte ich sehr zurückhaltend argumentiert, eher etwas eingeschüchtert. Damit war es jetzt vorbei. Nun verlangte ich eine Erklärung, auf welcher Grundlage man mir so etwas unterstellen könne. Ich lies mir die Argumente nach dem Motto: „ Wer nicht für uns ist…“, nicht bieten.

      Und dann kam, man könne mir alles nehmen. Ha, darauf hatte ich nur gewartet. Ich dachte an Jos Worte und war bestens vorbereitet. Nun verblüffte ich sie mit meiner Frage, was man mir denn nehmen wolle. Ich hätte nichts, was in ihrer Macht stünde, mir zu nehmen. Oder reiche es dazu, mir zu kündigen? Natürlich nicht, aber bei Prämien würde ich wohl zukünftig nicht mehr berücksichtigt werden. Pah, ich erklärte, wie hoch die Prämienbeträge bisher gewesen waren und meinte, auf die paar Piepen könne ich gut und gern verzichten. Das Wort „Peanuts“ war damals in diesem Sinne noch nicht gebräuchlich.

      Nun kam die nächste Tour: Ich würde mir selbst meine Zukunft verbauen. Eine weitere berufliche Entwicklung sei damit ausgeschlossen, eine leitende Position würde ich nie mehr bekommen. Wie scharf ich darauf war, erfuhren sie, indem ich ihnen meine Geschichte erzählte. Wer dreimal leitende Positionen ablehnt, der verzichtet auch zukünftig gern zugunsten anderer.

      Betretene Gesichter…

      Ich fühlte mich fast wie ein Sieger, stolz, diese Hürde genommen zu haben, komme was wolle. Nun war ich wieder parteilos.

      War die Entscheidung richtig oder falsch?

      11. Eine gesellschaftskritische Dissertation

      Jo hatte bereits 1974 sein Fernstudium beendet und konnte im Oktober seine Diplomurkunde in den Händen halten. Die Diplomarbeit hatte sich mit Fragen der effektiveren Entwicklung der Mechanisierung der Bauprozesse in der DDR befasst. Die Ergebnisse waren sowohl für die Hochschule als auch für das Ministerium für Bauwesen so interessant, dass man ihn bat, diese Betrachtungen in einer Doktorarbeit fortzusetzen, unter der Thematik: „Die Entwicklung und Proportionierung des Produktionsprozesses der Grundmittel als Problem der langfristigen Ausrüstungs- und Kapazitätsplanung“.

      Einerseits war Jo froh und sicher auch ein wenig stolz, eine gute und interessante Arbeit geleistet zu haben. Andererseits mussten wir aber an die Worte der Stasi: „… Wie es mit Ihnen weiter geht, das bestimmen wir“, denken.

      Wir berieten. Jo argwöhnte, ob die Stasi die Dissertation wohl verhindern würde, denn Nutznießer seiner Ergebnisse war das Ministerium für Bauwesen. Der Schreck und die Angst saßen ihm also noch immer in den Knochen. Mich hatten sie ja nicht so in die Mangel genommen, deshalb hatte ich die ganze Geschichte ein wenig verdrängt. Ich versuchte, ihm meine Vermutung klarzumachen, dass die Aktion gescheitert und ad acta gelegt worden war und sie ihn damals mit den Drohungen hätten nur einschüchtern wollen. Warum sollte er seine Chance nicht nutzen?

      Also doch noch promovieren!

      Eigentlich hatten wir vereinbart, dass ich nach Beendigung seines Studiums mit einer neuen Dissertation begänne. Ein „Doktor“, wie die Ärzte gern im Volksmund genannt werden, ohne Doktortitel war in der DDR infolge einer Studienreform wohl nicht zu selten, aber doch noch ungewöhnlich. Nachteile hatte ich allerdings nie gehabt. Für Jo hätte der Titel nicht nur beruflich viel bedeutet, auch wegen seines Schulabganges, den er noch immer als Makel betrachtete, hatte er es verdient. Ich verzichtete gern auf die zwei Buchstaben und eine zusätzliche wissenschaftliche Arbeit, zumal unsere Tochter