Günther Klößinger

Schnee von gestern ...und vorgestern


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stöhnte Ilka auf und tat Prancock den Gefallen. Sie gab den Namen ,Finkenwald‘ ohne weitere Merkmale in die Suchmaschine ein.

      „Na also“, sagte sie einen Augenblick später, „hier haben wir 7.328 Einträge: ,Der Spatz im Finkenwald – Heitere Memoiren eines Jägergesellen, erschienen im Waid- und Wanderverlag‘, dann ,Lasst uns suchen die Finken im Wald! – volkstümlicher Schlager von Hartmut Roßberg‘, dann ... und hier ,Schmutzfinken im Pressewald – kritischer Bericht über Machenschaften der Regenbogenpresse von Günther Falstaff‘ und ...“

      „Stopp, stopp, du hast ja gewonnen!“, unterbrach Fox die Rezitation. „Wie wär’s denn mit ,Walter Finkenwald‘?“

      „Gute Idee ... oder gar mit ,Walter Finkenwald‘ plus ,London‘?“

      „Wollte ich gerade vorschlagen!“, log Fox in seine halb leere Kaffeetasse hinein.

      Ein leises Schlürfen erklang. Ilkas Finger wirbelten geradezu über die Tastatur. Prancock stellte seine nun leere Tasse ab und überlegte, ob er sich an Ilkas noch jungfräulichem Cappuccino vergreifen sollte – dieser lief schließlich Gefahr, kalt zu werden.

      „Das willst du nicht wirklich!“, zischte sie ihm scherzhaft zu.

      „Was denn?“, fragte Fox und bemühte sich, die Regieanweisungen zu rekapitulieren, die ihm einst sein Religionslehrer für die Darstellung eines Engels im Weihnachtsspiel gegeben hatte.

      „Ich habe genau gesehen, wohin du geblickt hast – und dein Gesichtsausdruck war eindeutig!“

      Mit einer resoluten Handbewegung griff Ilka nach der Tasse, zog sie näher an sich heran und löffelte etwas von der bereits leicht eingefallenen Schaumkrone.

      Fox erkannte eine Mixtur aus Verwunderung und Freude im Mienenspiel seiner Freundin. „Na, was gefunden?“, fragte er.

      „Hm, mal sehen! Immer noch 23 Einträge!“

      Sie ließ ihre Blicke über den Bildschirm wandern. Um seine Ungeduld zu zügeln, nippte Prancock erneut an seiner Tasse. Dabei musste er feststellen, dass diese bereits leer war.

      „Das meiste sind Buchveröffentlichungen und Aufsätze!“, stellte Ilka fest.

      „Zu welchen Themen?“, fragte Fox nach.

      „Hier zum Beispiel: ,Memories of a deserter‘, erschienen bei ,Ice Bear Books‘ im Jahre 1965!“

      „Kriegserinnerungen eines Deserteurs? Glaube nicht, dass das was mit genau diesem Finkenwald zu tun hat.“

      „Dazu müssten wir wissen, in welchem Alter unsere mysteriöse Person ist. Es scheint hier nämlich um zwei verschiedene Finkenwalds zu gehen.“

      „Und beide heißen Walter?“ Fox war sichtlich verblüfft. London war eine Millionenstadt, und der Name „Walter Finkenwald“ dürfte in England nicht gerade weit verbreitet sein. Und dann sollte es gleich zwei Männer geben, die zum einen genau so hießen und zum anderen auch noch beide in Londoner Verlagen publizierten? Das roch für Fox doch etwas zu sehr nach Zufall.

      „Walter J. Finkenwald beschäftigt sich anscheinend vor allem mit dem Zweiten Weltkrieg“, fasste Ilka ihre gewonnenen Erkenntnisse zusammen, „während Walter ohne ,J.‘ sich größtenteils mit Nuklearenergie zu befassen scheint.“

      „Ist er Physiker oder so was?“

      „Klingt eher nach einem Ethiker oder Politologen ... Hier: ,Nuclear Energy – A Threat to Civilisation?‘ aus dem Jahr 1995.“

      „Streiche mal das ,London‘, vielleicht hat er ja noch an anderen Orten was veröffentlicht – und gib ,Atom‘ und ,Nuclear‘ als weitere Verknüpfungen ein!“

      Ilka starrte ihrem Freund irritiert in die funkelnden Augen: „Meine Güte – du hast es kapiert!“, brachte sie hervor.

      „Klar!“, grinste Fox breit. „Wie wär’s da mit ,Kuss‘ in Verbindung mit ,Umarmung‘ und ,Streicheln‘?“

      „Später!“, murmelte Ilka nur. Sie hatte sich bereits wieder ihrem Computer zugewandt und tippte hektisch die Suchbegriffe ein. Einige Sekunden später huschte so etwas wie ein pantomimisches „Aha“ über ihr Gesicht.

      „Kaum zu fassen!“, sagte sie, mehr zu sich selbst.

      „Was ist denn nun?“, wollte Prancock wissen.

      „Ich glaube, das ist unser Mann!“

      Ohne ihre Augen vom Monitor abzuwenden, nahm Ilka ihre Tasse.

      „Jetzt mach’s nicht so spannend!“, wollte Fox wieder den Wolf spielen. Sein vorgeblich bedrohliches Knurren fiel jedoch harmloser aus als geplant.

      „’ne Menge Artikel und Bücher über Kernenergie und atomare Rüstungsprogramme!“

      „Na und?“

      „In englischer, deutscher ... und französischer Sprache!“

      Das Knirschen der Diskette im Laufwerk erinnerte ihn unweigerlich an jenes Schaben, das die Zähne seines Chefs mit nervtötender Regelmäßigkeit auf dem Kugelschreiber erzeugten. Diese Assoziation ließ augenblicklich die Zornesader auf seiner Stirn schwellen.

      „Chef! Pah!“ Mit einem Ausdruck tiefster Verachtung spie er das Wort aus und wiederholte sein „Pah!“ so lange, bis es sich von alleine zu repetieren schien. Kleine Tropfen von Sputum sammelten sich auf seinem Keyboard. Die Amalgamsymphonie in der Floppy-Version war beendet. Ein leises, surrendes Tönen folgte. Kurzzeitig verdunkelte sich die Mattscheibe, dann erschien, inmitten eines rot leuchtenden Emblems, umrahmt von schwarz-weißen Runen, der Schriftzug „Plan zwei“.

      Er klickte „Ok“ an und öffnete das Unterverzeichnis „Adressen“.

      „Na klar“, nuschelte der Mann unverhohlen aggressiv, „ich darf sie alle zusammentrommeln, aber befehligen wird ER sie – wer auch sonst.“

      Er versuchte, seine Verärgerung mit einem Schluck Wacholdergeist hinunterzuspülen, was ihm aber nicht gelang. Nicht mit einem Schluck, auch nicht mit zweien.

      Klick für Klick übertrug er die Adressen in sein E-Mail-Programm. Wie viele wohl kommen würden? Zweihundert? Hundertfünfzig?

      „Warum macht der Chef bloß so ’nen Aufwand wegen diesem Hof?“, fragte er sich abermals. „Warum die Kleine erst leben lassen und dann die ganze Truppe mobilisieren?“ Er schüttelte den Kopf und dann die Flasche. Der Wacholdergeist brannte ihm in der Kehle.

      „Irgendwas ist da faul bei unserem großen Herrn!“ Zuhause war es egal, ob die Worte sich durch seine Gehirnwindungen quälten oder durch die alkoholdunstige Luft. So sehr er sich auch wunderte, warum Plan zwei derart frühzeitig gestartet werden sollte, packte ihn doch auch eine ungeduldige Erregung. Wie lange hatte er auf einen Moment wie diesen warten müssen. In seinen Wacholder-geschwängerten Überlegungen und Berechnungen schaffte er es nicht, eine Zeitperiode exakt zu benennen, und so leerte er die Flasche mit dem Gedanken: „Viel zu lange!“

      Der Brunch war vorbei, der Kriegsrat ineffektiv verlaufen. Penny bohrte genervt mit einem Zahnstocher zwischen ihren Backenzähnen herum. Wenigstens hatte man sich darauf einigen können, die Stelle, die der heimliche Beobachter bevorzugte, im Auge zu behalten. Als sich eine Hand auf ihre Schulter legte, zuckte Penny zusammen und versuchte verschämt, den Zahnstocher so unauffällig wie möglich verschwinden zu lassen.

      „Es tut mir leid, Penny!“

      Petra Roth blickte überrascht in Jessicas Augen. „Was denn?“, fragte sie nach, obwohl sie genau wusste, worauf das Mädchen anspielte.

      Jessy schob sich neben der Privatdetektivin auf die Holzbank, blickte hinunter zur Erde und trommelte nervös mit ihren Zehenspitzen, die aus etwas zu kleinen Sandalen hervorstanden, auf dem sandigen Boden. „Ich hab mich über deine Arbeit lustig gemacht, und das war nicht gut ...“

      „Schon in Ordnung“, begann Penny, obwohl eigentlich nichts in Ordnung war. So sehr sie Jessicas