Günther Klößinger

Schnee von gestern ...und vorgestern


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ein glücklich grinsender Fox seiner Freundin den Ellenbogen hin. Ilka nahm dankbar an, auch sie hätte ihre Knie nun einer Butterfabrik verkaufen können. Ein aufkeimender Frühlingswind kühlte ihre roten Wangen und mit wolkentretenden Schritten gingen die beiden zu ihrem Auto.

      „Da ist ja schon unser rollendes Detektivbüro!“, bemerkte Ilka und auch Fox’ Gedankenwelt driftete langsam wieder in Richtung „Recherchen“.

      „Schade, dass dieser Finkenwald offenbar keine eigene Website hat!“, murmelte er in seine Bartstoppeln.

      „Stimmt, wir haben nirgends ein Bild von ihm zu sehen bekommen“, pflichtete Ilka ihrem Kommissar bei, „vielleicht hätten wir auf der Homepage eines Verlages nachsehen sollen, bei dem er veröffentlicht.“

      „Gute Idee, Kätzchen, beim nächsten Mal!“, sagte Prancock, zog gedankenverloren den Autoschlüssel hervor und sperrte die Fahrertür auf.

      „Da hängt was an deinem Scheibenwischer!“, bemerkte Ilka.

      „Immer diese Werbefritzen!“, deutete Fox die Situation etwas voreilig. Er zog den Zettel unter dem Wischerblatt hervor und zerknüllte ihn. Ohne das Papier eines weiteren Blickes zu würdigen, warf er es zielsicher in einen städtischen Mülleimer.

      „Gute Idee, die Instrumente hier im Stall zu lassen, Jessy. Draußen ziehen Wolken auf!“, bemerkte Jasmin, als sie hereinkam.

      Nick hatte seinen Bass bereits gestimmt, Robert spannte die Felle seiner Toms nach und Jessica versuchte ihrem Keyboard passende Sounds für „Dangers for Strangers“ zu entlocken. Der neue Song sollte ein echter Knaller werden. Ohne von den Tasten aufzublicken bemerkte sie: „Außerdem: Wir wollen ja proben. Das Benefiz-Festival steigt erst am Ende der Ferien!“

      „Gleichberechtigung gut!“, tönte es da von der Scheunentür. „Nichtmusiker also dürfen herein hier auch, oder?“

      Mehmets Dackelblick und Yasemins fröhlichem Zwinkern konnte nicht einmal Jessy widerstehen.

      „Kommt schon rein“, sagte sie, „wenn wir anfangen, sind wir eh nicht zu überhören! Dann stürmen unsere Fans und die, die es noch werden wollen, sowieso die Bude!“

      Jasmin hatte sich die Gitarre umgehängt und überprüfte die Stimmung. „Alles easy!“, stellte sie fest und klopfte gegen ihr Gesangsmikro.

      Ein dumpfer Laut pochte in den Boxen. Jasmin sah auf. „Mensch, Mehmet könnte uns doch abmischen!“, brachte sie ihren Geistesblitz sogleich zu Gehör.

      „Ich niemand aufmischen! Gleichberechtigung gut, aber Gewalt scheiße!“

      „Abmischen, Mehmet, nicht aufmischen. Wir haben keinen Mixer!“, schaltete sich Jessica ein. Sogleich warf sie Jasmin ein anerkennendes und Mehmet ein aufmunterndes Lächeln zu.

      „Ich auch mit Hand rühren!“, fuhr Mehmet fort, grinste aber so breit, dass der Band jetzt klar wurde, wie ihr kurdischer Freund sie auf den Arm nahm.

      „Wenn du mir jetzt auch noch erzählen willst, ein Tontechniker hätte was mit Keramik zu tun, wäre ich fast von deinem Pennerhirn überzeugt, Mann!“, zog Jessy nun ihrerseits den frisch gebackenen Bandmischer auf.

      Der spielte nach dem Unwissenden nun den Beleidigten: „Ich kein Pennerhirn, mein Hirn ein Renner!“

      „Quatsch nicht lang herum, Mehmet, ab ans Pult!“, meldete sich nun Yasemin zu Wort.

      „Gleichberechtigung gut“, seufzte Mehmet, als er hinter dem Mischpult Platz nahm, „aber ist Gleichberechtigung, dass Frauen andauernd herumkommandieren uns Männer?“

      Allgemeines Grinsen war die Antwort, die ihm entgegenschlug. Lediglich Nick blickte nach wie vor unbeteiligt auf die Regler seines Instruments. Robert trat hinter dem Drumkit hervor, ging zu Mehmet und gab ihm eine kurze Einweisung in die Kunst des Soundmixings.

      Fünf Minuten später spielte die Band den Song an. Jasmin hatte das Lied komponiert und begann nun sehr zart und gefühlvoll von ausländischen Freunden zu singen. Nach einem Break sollte das Stück dann umschwenken zum Thema „Rassenhass“. Für diesen Teil der Komposition hatte Jassy angedacht, dass Melodie und Begleitung ungleich härter und aggressiver werden sollten und die Dynamik sich steigern würde. Nach der ersten heavy gespielten Strophe unterbrach Robert mit einem Tusch auf den Becken den Song.

      „Moment mal“, warf er ein, „jetzt kommen noch drei Strophen, der Refrain sogar noch achtmal. Das dümpelt irgendwann nur noch so dahin.“

      Jasmin schluckte. Sie versuchte, sich den Unmut über diese Kritik nicht anmerken zu lassen. „Und was schlägst du vor?“

      „Ein Solo würde das Ganze auflockern und die Steigerung betonen!“

      „Dann spiel doch eins!“, meinte Jessy lakonisch.

      „Sehr witzig“, gab Robert an seine Freundin zurück, „so weit bin ich vielleicht in fünf Jahren. Aber du könntest die Melodie noch mal instrumental durchziehen.“

      „Dadurch wird sie auch nicht besser!“, mischte sich Nick ungewohnt destruktiv ein. Ein wütender Seitenblick von Jasmin war die Folge.

      „Außerdem bringt das auch keinen Kick!“, stellte Jessy fest. „Ist ja auch nur ’ne Wiederholung! Da könnte Jassy gleich weitersingen.“

      „Wenn euch mein Gesang nicht passt, kann ich ja gehen!“, fauchte diese und konnte ihre Wut jetzt nicht mehr zurückhalten.

      „Ganz cool bleiben, Jassy“, schaltete Robert auf Versöhnung, „aber wir haben ein Problem: Jessys Keyboard als einziges Melodie-Instrument nutzt sich auf Dauer ab. Kannst du nicht vielleicht mal ’n Gitarrensolo kreieren?“

      Jasmin atmete resigniert aus, zuckte mit den Schultern und sagte leise: „Die Chancen dafür stehen so günstig wie für deinen Egotrip auf den Drums, Robby!“

      Schweigend standen und saßen die vier Musiker auf der kleinen improvisierten Bühne. Der Dunst ihrer ersten künstlerischen Krise breitete sich unbarmherzig im Raum aus. Jasmin spürte Wut, Angst und Verzweiflung in der Magengegend kribbeln. Die Kloßfabrikation im Hals war in vollem Gange und Tränen brannten ihr in den Augen. Die Band war ihr wichtiger als alle anderen Hobbys. In ihren Songs konnte Jasmin manchmal mehr ausdrücken als in einem Face-to-Face-Gespräch. Sie wollte eben zu einer Grundsatzrede ansetzen, wie viel ihr die Gruppe wert war, da spürte sie, wie sie sanft zur Seite gedrängt wurde.

      „Yasemin, was hast du ...?“, hob Jassy an, aber das kurdische Mädchen fragte nur: „Habt ihr noch ’nen Anschluss frei?“

      Erst jetzt bemerkte Jasmin das birnenförmige Instrument, das Yasemin in der Hand hielt.

      „He, Mann, ’ne Bouzouki!“, stellte Robert fest.

      „Quatsch mit Soße“, korrigierte ihn Jessica, „das ist ’ne Saz! Ist total verbreitet in der türkischen Musik!“

      „Und erst recht in der kurdischen!“, fügte Yasemin hinzu, griff sich ein herumliegendes Kabel und schloss kurzerhand ihren Tonabnehmer an.

      „Gib Saft auf Kanal 9!“, wies Robert Mehmet an. Ohne weitere Absprachen spielte er den Schlagzeugbreak, der „Dangers for Strangers“ üblicherweise eröffnete. Jasmin setzte mit dem Gitarrenvorspiel ein, und als Bass und Keyboards den Harmonieteppich ergänzten, begann sie zu singen: „This song’s for you, Alina – I’ll never forget your loving smile ...“

      Yasemin lauschte, saugte Melodie und Harmonik in sich auf. Im Geist glitten ihre Finger bereits über die Seiten der Saz, lauerten auf ihren Einsatz – jenen Part, der immerhin so entscheidend war, dass er fast die Gruppe auseinandergesprengt hätte.

      „Sometimes I see the traces of her tears ...“

      Yasemin verstand nicht alle Worte, aber in Jasmins Stimme und der Melodie fühlte sie eine Energie, die sie in ihre Finger übertragen wollte.

      „She can’t forget her home, the friends she left behind …”

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