Günther Klößinger

Schnee von gestern ...und vorgestern


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hätte er seinen Mantel bestimmt eher im Zimmerschrank gelassen.

      „Glückwunsch, Kätzchen! Gut erkannt – nur: Was stellen wir jetzt damit an?“

      Das Interesse der anderen Gäste war erloschen, sodass das allgemeine Gemurmel eine gute Tarnung für das Geflüster der beiden war.

      „Wart nur ab!“, sagte Ilka und hakte sich von Prancocks Arm los. Dann zwängte sie sich zwischen feuchten Menschen durch den dunstigen Raum zur Garderobe, nahm die Jacke kurzerhand vom Haken und schlüpfte hinein. Fox sah Ilka bewundernd nach. Es entging ihm allerdings auch nicht, dass Nocturne kurzzeitig das Interesse an den Schlagzeilen der Weltpresse verloren hatte und die Reporterin anstarrte.

      „He, der lässt ja fast die Maske fallen!“, stutzte Prancock, verscheuchte den Gedanken aber sofort wieder.

      Ilka setzte mittlerweile ein erstauntes Gesicht auf, sah demonstrativ auf das Firmenetikett des Trench und murmelte in bester Daily-Soap-Manier: „Oh, das ist ja gar nicht meiner!“ Sofort zog sie das Kleidungsstück wieder aus und hängte es an den Haken zurück, allerdings ungleich ordentlicher als zuvor. Nocturne blätterte weiter zu den Aktienberichten und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Dow Jones.

      Ilka war zu Prancock zurückgekommen und zupfte ihn beiläufig am Ärmel. Fox verstand. Einen Augenblick lang taten sie noch so, als sei der mittlerweile nachlassende Regen das Interessanteste seit der Erfindung des Tamagotchi. Dann zogen sie sich auf ihr Zimmer zurück. Einem diensteifrigen Reflex folgend schloss Fox hinter ihnen ab.

      „Puh“, prustete Ilka heraus und ließ sich rücklings auf das Bett fallen, „so sehr hab ich schon lang nicht mehr Blut und Wasser geschwitzt!“

      „Nur wegen der Marke des Trenchcoats?“, fragte Fox.

      Gut, Ilka hatte das Kragenetikett der mysteriösen Jacke studiert. Das bedeutete, sie wusste nun, bei welcher Temperatur sie zu waschen war, sie kannte die Größe und den Hersteller. Falls ein Namensschild eingenäht war, hatte sie vielleicht erkannt, ob das Kleidungsstück Finkenwald gehörte oder auch nicht – aber weshalb „Blut und Wasser schwitzen“? Von Nocturne wusste sie noch nichts, also dürfte ihr dessen plötzliche Aufmerksamkeit entgangen sein.

      Ilka lupfte kurz ihr T-Shirt und zog etwas aus ihrem Hosenbund. Triumphierend hielt sie es Fox hin.

      „Sie mal, was ich in der Brusttasche entdeckt habe!“

      Fassungslos starrte Fox auf die Brieftasche, die ihm seine Freundin da präsentierte.

      „Mylady, ich muss Sie leider wegen Taschendiebstahls festnehmen!“, frotzelte er.

      „Na, na, Sie sind doch gar nicht im Dienst, Herr Kommissar!“ Sie spielte die Femme fatale – eine ihrer Glanznummern, wenn Fox und sie sich zankten. Damit versetzte sie die Hormone des Polizisten mit schöner Regelmäßigkeit in Hochspannung. Der Inhalt der Brieftasche war Fox mit einem Male fast völlig egal. Nur mit knapper Not behielt die Neugier die Oberhand und Prancock nahm die handliche Mappe entgegen, warf einen prüfenden Blick darauf und öffnete sie.

      „Ihr seid beobachtet worden!“ Knapp, kühl und trocken stand die Feststellung im Raum.

      Nick und Yasemin waren vor dem Wolkenbruch zurück ins Gehöft geflohen. Als sie gemeinsam in die Scheune getreten waren, hatte Nick aus den Augenwinkeln heraus Jasmin beobachtet und die Hoffnung gehegt, Anzeichen von Eifersucht in ihren Zügen zu erkennen – nichts. Jessica und Robert waren damit beschäftigt, Mehmet detaillierter in die Kunstform „Soundmix“ einzuweisen, Jeannie brachte ein Tablett mit Tassen duftenden Kaffees herein und schließlich stand eine durchnässte Penny im Tor der Stallungen. Ihre Haare waren wirr an der Stirn festgeklatscht oder bildeten Flussläufe zu ihrem Nacken.

      „Ich wusste, dass das Zeitalter des Wassermanns angebrochen ist“, grinste Jeannie die Detektivin fröhlich an und hielt ihr das Tablett hin.

      Penny nahm eine dampfende Tasse, roch kurz, sog das belebende Aroma ein.

      „Das ist der Beste von Jeannie – die Dröhnung!“, lächelte die Gastgeberin weiter.

      Penny sah ernst drein, trank einen Schluck und sagte dann den Satz, der sie alle erschreckte: „Ihr seid beobachtet worden.“

      „Waren wir so gut?“, fragte Robert in die Runde, bemüht, gute Stimmung aufkommen zu lassen.

      „Nicht ihr“, bemerkte Penny Roth mit einem Seitenblick auf Jessy und Robby und dann zu Nick und Yasemin gewandt, „sondern ihr!“

      „Na und?“, meinte Nick. „Wir haben doch nichts zu verbergen!“, wobei er sein schelmisches Magierlächeln aufsetzte.

      Im nächsten Moment zuckte er allerdings erschrocken zusammen. Mit donnerndem Krachen war Pennys Tasse vor Nicks Füßen zerschellt. Nur eine beim Kindergeburtstag eingeschlafene „Blinde Kuh“ hätte übersehen können, dass Nässe und Kälte nicht mehr die Ursache für Pennys Zittern waren.

      „Verdammt noch mal“, kreischte sie los, „das ist hier keine Comedy-Show, das ist zum Teufel noch mal verdammt ernst, habt ihr kapiert, ihr Witzbolde?“

      „Penny, bitte, es tut mir leid“, wollte Jasmin intervenieren, aber mit einer abwehrenden Handbewegung brachte Petra Roth sie zum Schweigen.

      „Ein Mord wäre hier fast verübt worden, habt ihr das schon vergessen? Reicht euer Verstand denn nur von Party zu Party? Ich sollte doch ermitteln, oder?“

      Schweigen. Der Geruch des vergossenen Kaffees verdünnisierte sich angesichts der dicken Luft. Pennys Atmen zischte durch die Stille. Erst jetzt fiel auf, dass der Regen nicht mehr zügellos herunterprasselte, sondern sich sachte auf Haus und Hof ergoss.

      „Aber du musst doch deswegen noch lange nicht uns bespitzeln!“, machte Nick einen auf trotzig.

      „Ich hab nicht euch bespitzelt, sondern das Gelände rings um den Hof beobachtet. Ihr seid von ganz allein in die Schusslinie gekommen!“

      „Schusslinie?“, fragte Yasemin erschrocken.

      „Keine Ahnung“, zuckte Penny demonstrativ ihre Schultern, „jedenfalls lungerte neben der Scheune die ganze Zeit jemand im Gebüsch herum! Als du noch allein warst, haben die Zweige ganz schön gewackelt ...“

      „Vielleicht hat sich unser Spanner einen runtergeholt!“, warf Robert nüchtern ein, worauf eine neuerliche Redepause entstand.

      „Ich glaube nicht, dass wir es hier mit einem normalen Spanner zu tun haben – hier ist offensichtlich der Mordversuch auf Jeannie fehlgeschlagen und seitdem wird der Hof observiert.“

      „Und was meinst du, steckt dahinter?“, fragte Jasmin, obwohl sie die Antwort schon kannte: „Man will es zu Ende bringen!“

      „Gib mir doch mal die Zange!“

      „Wär’ ein Hammer nicht besser?“

      Verlegenes Schweigen. Blickkontakt. Das ungute Gefühl, beobachtet zu werden, ließ die Finger zittern. Nur nichts anmerken lassen, einfach nur das Werkzeug benutzen und das verdammte Ding endlich knacken. Die kritischen Augen der unbarmherzig schweigenden und herüberstarrenden Zuschauer einfach ausblenden! Es gelang nicht.

      „Wenigstens verstehen sie unsere Sprache nicht“, dachte Ilka und hoffte inständig, dass das auch stimmte. Nicht genug damit, dass die übrigen Gäste des „Joli Bois“ höchst verwundert dreingeblickt hatten, als sie und Fox statt des für diesen Abend angekündigten Barschgerichts Hummer serviert bekamen – nein, obendrein breitete sich allgemeines Erstaunen darüber aus, dass die deutschen Gäste keine Ahnung hatten, wie sie ihre Extrawurst vertilgen sollten. Selbst Fox, der die Tricks der Safeknacker aus dem Effeff beherrschte, wechselte das Zängchen unbeholfen von einer Hand in die andere.

      „Jetzt weißt du, warum ich diese verdammten Dinger hasse!“, murrte er.

      Ilka bemerkte den fragenden Blick des Kellners und tat so, als würde sie mit Kennerblick auf das Scherenungetüm vor sich blicken. Wie hatte sie am Morgen doch getönt? – „Wir lieben Hummer!“ Die Show war perfekt