Gabriele Plate

Edda – oder der faule Apfel im Zwischenraum


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Selbstverständlichkeit im Überblick, mit welcher er seine Weibergeschichten zu regeln verstand, schwamm davon, dümpelte in Eddas Gischt der Begeisterungsfähigkeit. Seine Grundregel, sich nicht für andere Menschen verantwortlich zu fühlen, besonders nicht für weibliche Seelen, sondern frei zu bleiben, war ins Wanken geraten. Er dachte an Edda. Immer wieder unterbrach der Gedanke an sie seinen Rhythmus, seine Freiheit. Das war ärgerlich.

      Fausto kannte an keinem Menschen eine Geste, die sich an der Eigenwilligkeit ihrer vibrierenden Nasenflügel messen konnte. Er lächelte dämlich und versonnen vor sich hin, bei dem Gedanken an dieses Flappen. Es war nicht wirklich schön zu nennen, es rührte ihn einfach seltsam. Wie kleine Flügelklappen erschienen ihm diese Knorpelbögen, die, während Edda sich über eine Nichtigkeit ereiferte, bebten, wie ein flugbereiter Käfer, der seine Flügelschläge noch kurz erprobte, bevor er abhob. Dieses pumpende, leicht spitze Wiegen hätte nach ihr benannt werden können. Ob es sich um Nichtigkeiten handelte, die Eddas Nasenflügel beben ließen, unterlag hier ausschließlich Faustos Urteil.

      Der Ärger, der ihn weit entfernt von Edda nun zum Lächeln veranlasste, hatte so begonnen:

      Edda hatte die Kneipe betreten und stellte sich neben Fausto an die Theke unter eine helle Lampe, wie ins Rampenlicht. Sie kannten sich nicht. Sein Blick verfing sich in der kleinen Bucht über ihrer Oberlippe, die sich erstaunlich länglich wie zu einem Rüssel stülpte, als sie leicht vorgebeugt, vorsichtig an ihrem fast überschwappenden Bierglas schlürfte, das ihr der Wirt gerade gereicht hatte.

      Faustos Blick balancierte über ihr Profil während sie den Schaum von der Oberlippe leckte. Der kleine Rüssel verschwand, sie sah ihn an, und er blickte in die blausilbrige Transparenz eines beginnenden, mediterranen Nachthimmels im Herbst. Jener feine Streifen über dem Horizont, den er so liebte, dieser kurze Moment des letzten Tageslichtes im Süden, und er plumpste in ihren Blick. Sie lächelte etwas schief, mit leicht verkniffenen Lippen. Edda sprach kein Wort, doch sie schien mit ihm zu atmen.

      Sie drehte sich abrupt um, wandte sich von ihm ab, als sei sie erschrocken. Fausto erwachte erstaunt aus diesem stummen Bann. Mitten in dem lauten Getümmel der Kneipe hatte er für nicht abwägbare Zeit nichts gehört. Er sog langsam, blinzelnd, mit bedächtigem Genuss an seiner „Benson and Hedges“, die er danach mit fast geschlossener Faust, den Handballen nach oben gerichtet, zwischen Daumen und Zeigefinger haltend, wie abwesend vor seinem Mund kreisartig hin und her bewegte. Als wäre die Zigarette ohne Ziel, als schmeckte er etwas Ungewöhnliches und nicht den bekannten Geschmack auf der Zunge. Dieses schmackhaft Bittere, das ihm entgegen schwappte als er ihr nachsah, weckte sein innerstes Empfinden. Fausto beugte sich erstaunt danach, und er berührte die große, heimatlose Liebe, welche ihn fortan begleiten sollte. Lachend, weinend, schlafend und unsterblich.

      Edda war sich ihrer Wirkung nicht bewusst. Sie registrierte nur das drängende Bedürfnis diesem Menschen nahe zu sein, sie wagte es nicht, ihn einfach anzusprechen, das erschien ihr zu plump. Ihr Körper reagierte gegen ihren Willen, drehte ihm den Rücken zu, quetschte sich durch die etwa zwanzig, sie meinte hundert Kneipensteher dem Tischplatz entgegen. Entfernte sich von ihm. Mit jedem Zentimeter Abstand schrie und protestierte es in ihr, rang nach dem Zurück. Sie erreichte ihren Platz, drehte sich wie zufällig um und sah, wie diese atemberaubend Schöne, langgliedrig sonnengebräunte Blonde, ihren Arm um seine Schulter legte und ihm etwas ins Ohr gurrte. Edda musste sich sofort etwas einfallen lassen um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Augenblicklich, jetzt in diesem Moment!

      Sie stürzte ihr Bier hinunter, sprang mit dem leeren Glas auf den Stuhl, schlug heftig einige Male mit ihrem Schuhabsatz gegen den über ihr hängenden Metalllampenschirm und brüllte zum Nachschwang der Gongtöne, Richtung Theke weisend, über die Köpfe der plötzlich verstummten Gesellschaft hinweg, „Muchachos, wie kommt man denn in diesem Sauladen an ein frisch gezapftes Bier!“

      Das war absolut gegen Eddas Art. Normalerweise hasste sie es, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Diese “Stärke“ des Vaters hatte sie nicht in die Wiege gelegt bekommen. Sie konnte weder öffentlich referieren, singen oder tanzen, noch vor einer Kameralinse stehen, ohne von Schamesröte und Benotungsängsten attackiert zu werden. Schon bei kleinsten unbedeutenden Auftritten, wie sie zum Beispiel manchmal von Professoren vor ihren Kommilitonen gefordert wurden, peitschten diese Benotungsängste ihre Zunge. Das verhasste Erröten und eine unsicher zerhackte, hastige Sprechweise folgten. Doch hier, jetzt, in dieser Situation, handelte es sich um einen Ausnahmezustand. Gedanken des Versagens hatten keinen Platz, dafür war keine Zeit. Sie hatte trotz höchster Erregung darauf geachtet, die Stimme nicht überschnappen zu lassen, cool zu wirken, mit erotisch leicht maskulin wirkendem Sound in der Gurgel. Fausto hatte verstanden, er brachte ihr das Bier und setzte sich zu ihr. Die Sonnengebräunte kam wenige Minuten später angeschlängelt und bat ihn zärtlich, sie jetzt nach Hause zu fahren. Oder, fragte sie mit spöttischem Blick, ob er etwa noch länger die Gesellschaft dieser Wilden vorzöge. Wobei sie Edda keines Blickes würdigte. Sie sprach Deutsch mit einem starken, englischen Akzent.

      „I prefer the wildness“, entgegnete Fausto, ernst und langsam, jedes Wort deutlich betonend, während er Edda ansah. Sie hätte sich auf der Stelle für ihn häuten lassen.

      Einige Stunden später fuhr er sie nach Hause, mit einem flachen roten Zweisitzer. Bis vor die Haustür. Nun wusste er wenigstens wo sie wohnte. Es stellte sich heraus, dass beide am nächsten Morgen den gleichen Weg in die Stadt hatten. Sie, in die Uni und später in die Werkstatt, um ihren Wagen abzuholen. Er, zu einem wichtigen Meeting. Er begleitete sie nicht bis zur Wohnungstür, auch Edda hielt sich zurück. Ein kurzer Abschied mit Abstand, jeder in seinen Sitz geklemmt, einige Sekunden des Schweigens. Danke, bis morgen, und schon stand sie vor ihrer Haustür, mit dem leichten Schimmer seiner Rücklichter in den Augen.

      Am nächsten Morgen erschien er ziemlich verspätet, raste mit ihr durch die Rushhour, als hinge sein Leben an diesem Meeting, sprach kein Wort mit ihr und warf sie, etwa einen Kilometer Fußweg von der Uni entfernt, an einer roten Ampel aus dem platten Flitzer.

      „Keine Zeit“, murmelte Fausto und stob in entgegengesetzter Richtung davon. Sie stapfte durch den kalten Novemberregen und heulte vor Wut. Sie hatte sich extra „zurechtgemacht“. Dazu gehörte auch, dass sie nicht besonders warm angezogen war. Sie verpasste eine wichtige Klausur.

      Eddas Tag verging in der miesesten Laune. Natürlich war ihr Auto noch nicht repariert, sie hing im Linienbus, klebte mit der Schläfe an eine Haltestange gelehnt, starrte ins Leere und ekelte sich nicht einmal zwischen dem müde dampfenden, hustenden Businhalt. Sie trauerte um das verlorene Paradies, das sie schon an den Fingerspitzen zu fühlen geglaubt hatte. Sie war wie eingefroren vor Unbehagen über das Ergebnis ihrer offenbar wirkungslosen Reize auf diesen Mistkerl. Die Bushaltestelle war etwa fünfzehn Minuten Fußweg von ihrer Behausung entfernt. Edda hasste Fußwege, wenn sie sein mussten. Sie schleppte sich den Berg hinauf, erreichte ihr wenig luxuriöses Zimmer, aber mit eigenem Bad, sank Minuten später in die Badewanne und rollte sich mit nassem Haar ins Bett. Der Ölofen blaffte, er hatte periodische Kleinexplosionen und vertrug sich zudem nicht mit dem kalten Wind im zu kurzen Schornstein.

      Es schellte. Einmal lang, sehr lang und dreimal kurz und nach wenigen Sekunden noch einmal. Ein freudiges Sturmschellen. Ihre Neugier gewann. Da stand er, bewaffnet mit einer roten Rose.

      Edda bewertete rote Rosen in Männerhänden als äußerst albern. Diese Rose aber, wurde behütet wie eine Direktleitung zu Faustos Liebe. Sie erfuhr zunächst eine langwierige Sonderbehandlung mit Zuckerwasser, um kurz vor ihrem Zerfall mit Zartgefühl in eine Schmuckschachtel gebettet zu werden. Irgendwann bestand diese Ikone nur noch aus ihrem Stängel ohne Dornen und einem Krümelhäufchen, das den Schachtelboden bedeckte.

      Außer der Rose hielt er ihr eine Flasche Champagner entgegen und das bezauberndste Lächeln der Welt, wie Edda meinte. Sie leerten die Flasche gemeinsam, prosteten sich unbeholfen bei fast jedem Schluck durch den Ofenqualm zu und flüchteten danach in die Pizzeria. Sie trumpfte mit ihrem Vater auf, dem interessanten Individualisten, dem passionierten Seemann, dem Abenteurer, Erfinder, Boots- und Brückenbauer. Er staunte, und es reizte ihn ihr wenig bürgerlicher Hintergrund. Fausto plauderte von seinen Reisen, seiner Arbeit der Schreiberei, von Schwierigem und Schönem in seinem Leben, in der Welt. Schon saß Edda mitten in