Gabriele Plate

Edda – oder der faule Apfel im Zwischenraum


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einen Haken, mied den Supermarkt, fand sich im „Schornstein“ wieder, aß ein Stück Käse mit Senf und trank ein Alt Bier. Seit Monaten erwartete sie am Abend die Alternative, Küchendienst oder Pizzeria. Diese Routine war nun durchbrochen, sie hatte sich der Option Käse mit Senf gestellt. Faustos Verhalten dem Alltag gegenüber war ihr zur Anstrengung geworden. Er rührte keinen Fingen im Haushalt und würde sich eher ein Bein brechen, beim Übersteigen seiner nach dem Gebrauch liegengelassener Klamotten, als irgendetwas einmal zur Seite zu falten oder sogar zu säubern. Er hatte noch nie seine Wohnung geputzt. Keine Wohnung! Damit vergeudete Fausto nicht seine Zeit. Das war bisher auch nicht nötig gewesen, es hatte immer Frauen gegeben, die sich der Illusion hingaben, in Faustos Leben zu gehören, wenn sie sich eifrig darum bemühten seinen Mist zu lichten. Jetzt war Edda da! So, hatte sie sich das nicht vorgestellt.

      Die täglich notwendigen Griffe, um einen Haushalts aufrecht zu erhalten, gab es nun einmal, das Leben hatte das Traumpaar, Edda und Fausto, nicht davor verschont. Diese Notwendigkeiten drohten ihr Spiel zu verschlingen, und wie Fausto meinte, in Zeterei über den Müll oder Abwasch abzurutschen. Seit einiger Zeit bemängelte sie, mit Unmut gewürzten Worten, seinen Realitätsverlust. Er fand sie, seit genau jener Zeit, nämlich seit sie ins Büro ging, spießig. Das war für Edda keine Beleidigung, da sie gerne ein wenig spießig gewesen wäre, denn das hatte sie in ihrem Elternhaus vermisst.

      „Sei nicht so ungemütlich“, beklagte Fausto sich, wenn sie sich überwunden hatte den Staubsauger in Gang zu setzen und leere Flaschen, Zigarettenkippen und stapelweise gelesene Zeitungen entsorgte, die überall ihren Platz hatten. Ihr lag auf der Zunge, entweder kommt eine Putzfrau zweimal in der Woche, oder ich gehe. Dann fiel ihr die Adolf Geschichte ein, und sie schwieg. Er sollte von selbst erkennen, dass eine Putzhilfe dringend nötig war. Um seine Frau zu entlasten! Auch dieser Gedanke gefiel Edda nicht, sie wollte ihren Liebsten ja nicht erziehen. Auf keinen Fall!

      Fausto war sehr mit seiner Lichtsuche beschäftigt. Neben dieser Suche und seiner Schreiberei blieb wenig Sinn für die Nestpflege. Er kümmerte sich äußerst selten um den Abwasch, und falls er sich dazu herabgelassen hatte, erledigte er ihn mit eigener Methode. Wenn Geschirr und Besteck bis zum letzten Löffel benutzt waren, verschwand oft, falls sich die angetrockneten Reste nicht sofort und auf der Stelle lösen ließen, ein Teil davon im großen Müllsack. Ein Einweichen der Teller lag außerhalb seines Vorstellungsvermögens. Es passierte nicht immer aber recht oft, dass gebrauchtes Geschirr im Müll landete, und Fausto, bevor Edda zurück war, mit einer neuen Billiggarnitur für die Küche wieder auftauchte. Er benutzte es dann direkt aus den Kartons.

      Edda hatte ihren Fulltimejob, sie huschte außerdem sehr oft in den Keller, ihr Atelier, und sie war sehr mit der Pflege ihrer Liebe zu Fausto beschäftigt, die sich zum großen Teil im „Schornstein“ abspielte. Der Haushalt löste sich von seinem Begriff, das Chaos war vorhersehbar. Sie aßen im „Amalfi“ ihre Pizza, und die Wäsche kam gebügelt aus der Wäscherei zurück. Das verschlang Unmengen an Faustos Einkommen, was zu dieser Zeit noch kein Problem war. Er hielt diese Ausgaben für selbstverständlich, da er es anders nicht kannte. Er schrieb mit Engagement und wenig Leidenschaft. Alles, was er zu Papier brachte, verkaufte sich, und da er jetzt keine Romanprojekte mehr vor der Brust hatte, schrieb er am liebsten Drehbücher und für den Rundfunk. Eine Rundfunk Serie, die er fabriziert hatte, ging durch die ganze Welt, das freute ihn, aber es war eine verhaltene Freude. Über seine Arbeit als Schriftsteller und seinen ganz persönlichen Kram, redete Fausto in der Kneipe nicht. Seine Trinkkumpanen wussten was er beruflich machte, jedoch setzte er sich niemals damit in Pose. Als er aber eine kleine Filmproduktion, mit einem korrupten Partner, zum Leben erweckt hatte, zu einem kurzen Leben, sprach sich das in der Damenwelt wie ein Lauffeuer herum. Sie umschwirrten ihn noch aufdringlicher, obwohl er nur pädagogische Filme drehte. Für Eltern, Lehrer und Jugendliche geeignet und hauptsächlich auch mit diesen als Akteure. Fausto hatte auch eine Ausbildung als Regisseur und Kameramann in New York absolviert. Ein Film hatte ihm sogar, kurz bevor Edda ihn kennengelernt hatte, einen begehrten, hochdotierten Preis in Berlin eingebracht. Ohne Zweifel, er verstand etwas von diesem Fach, aber gegen die ganz Großen kam er nicht an. Ähnlich verhielt es sich mit seiner literarischen Laufbahn. Er brachte zweimal ein beachtenswertes Buch zustande und verzettelte sich danach im Labyrinth der Wiederholungen. So verlor sich seine Qualität in Wiederholungen mit forciertem Charme. Seiten, die schon rot von ihm geschrieben worden waren, die er nur blau einfärbte, im Glauben etwas Neues geschaffen zu haben. Seine Kritiker zerrissen ihn, und seine Leser verloren das Interesse. Das störte ihn nicht, nicht so, wie man hätte annehmen sollen. Im Gegenteil, außer dass die Tantieme schwanden, fühlte er sich erleichtert. Er schrieb mit neuem Elan, Essays, Artikel und Berichterstattungen. Sogar Literaturkritiken, unter einem Pseudonym. Sie waren gut, waren gefragt, doch hatten sie den geforderten journalistischen Stil, mit welchem er sein schriftstellerisches Talent auf Eis gelegt hatte. Früher hatte er sich geweigert auf Bestellung zu schreiben und behauptet, er schreibe doch nicht um zu verkaufen, er sei doch kein Schreibknecht! Jetzt schrieb er nur noch im Auftrag und für gute Bezahlung. So drehen sich Meinungen und Tatsachen unaufhörlich um sich selbst, als könnten sie nicht beständig sein, als seien sie der Gravitation verpflichtet.

      „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“, meinte Fausto, wenn Edda ihn, unsicher geworden, auf solch einen seiner Widersprüche aufmerksam machte. Wenn er diesen Ton anschlug, hatte er seinen gesättigten Erdungsgrad erreicht. Edda beängstigte dieser Satz und dieser Zustand, ebenso wie der Spruch: „Das Leben endet sowieso tödlich.“ Das war nicht Fausto, er wollte provozieren und auch das war nicht er. Sie wollte sich auf ihn verlassen können, ihn anhimmeln dürfen. Das nahm er ihr, wenn er auf diese Weise provozierte oder sich mit Plattitüden brüstete. Edda hatte geahnt, von Anfang an, dass sie sich mit ihrem Anlehnungsbedürfnis an ihm die Zähne ausbeißen könnte, und trotzdem gab sie ihre Art ihn zu lieben nicht auf. Lieber riskierte sie einige Zahnlücken.

      Fausto machte seine Arbeit wie nebenbei, er trank und reiste, liebte Edda, wenn auch neuerdings etwas abwesend, und er versank mit Leidenschaft in Sri Aurobindos „Synthese des Yoga“. Täglich, schon bei Tagesbeginn, während Edda noch schlief. Auch wenn es am Abend zuvor hoch hergegangen war, im Morgengrauen hockte er vor diesem Buch. Edda blinzelte manchmal schlaftrunken zum Schreibtisch hinüber, nach ihrem Empfinden las er es aufmerksamer und vor allem inniger als der Papst die Bibel.

      Fausto leitete wieder einmal eine seiner Fluchtaktionen ein. Er kam nicht „Mariachis“ singend aus der Dusche, sondern kramte wortlos, mit lautem Gepolter, im Flureinbauschrank nach seiner winzigen Gepäcktasche. Oft nannte er Edda morgens zärtlich, meine Königskobra, wenn sie das Haar zerwühlt, ihn anblickte, er sich paralysiert fühlte und bei ihr bleiben wollte. Er bewunderte mit Furcht das Weibliche, für ihn von Schlangenhaftem durchwoben. Er betrachtete seine Frau gerne und erfand spottende Kosenamen für ihre erstaunlich geformten Füße.

      Trotz seines mangelnden Einsatzes für Haus und Hof, Edda war sich sicher angekommen zu sein. Sie würde sich weiter aufrichten um für i m m e r an seiner Seite zu leben. Sie würde ihn nicht wieder davonziehen lassen. Am liebsten würde sie mit ihm verschwinden. Sie könnte sich als Fotografin umschulen lassen und ihn auf allen Recherchen begleiten. Auf allen!

      Aber sie lag nur still da, im zerwühlten Morgenbett, wie ein paralysiertes Kaninchen vor dem Geist des Gefressenwerdens. Sie fühlte sich festgeschweißt. Gleich, in der nächsten Sekunde würde der Zug sich in Bewegung setzen, Entfernung schaffen. Sie fand einfach keine Worte, keine Tränen, und sie konnte nicht abspringen, den Zug nicht aufhalten. Sie hörte das Schuften der Lokomotive wie ihre Herzschläge, das Pfeifen des Schaffners und das Zuschlagen der Türen. Ein kurzer Kuss des Abschieds, und weg war er.

      Dann erst löste sich die Starre. Edda stürzte aus dem Bett zum Fenster und sah ihn, wieder einmal, leichten Fußes davongehen. Seine schönen Hände ruhten niemals in den Hosentaschen, sie bewegten sich im Gleichgewicht seitlich seines schreitenden Körpers. Sie bewegten sich, als sähen sie Edda an, winkten traurig zurück, mit dem Ausdruck seiner Seele in ihrem leichten Schwingen.

      Und wieder keimte sofort die Sehnsucht nach seiner Rückkehr, wuchs mit jeder Minute seiner Abwesenheit. Lebendig am Marterpfahl. Würde Edda verbrennen, an dieser Liebe ersticken? Sie vielleicht, aber ihre Liebe zu Fausto nicht. Die wollte nicht zu kalter Asche werden, tief in einem Abgrund der Vergangenheit