Gabriele Plate

Edda – oder der faule Apfel im Zwischenraum


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das Musikklänge hätte wiedergeben können. Die Verstärkerboxen nahmen ein Drittel der beiden Enden hinter der schlauchartigen Theke ein. Sie gehörten zur Kneipe, wie der zu später Stunde stets betrunkene Wirt, unnütz und nicht wegzudenken. Jeder zahlte, was er glaubte getrunken zu haben. Auf allen Tischen lagen die Bleistiftstummel herum für die Striche, die man sich ab und zu auf den Deckel kritzeln sollte, wenn der Wirt dazu nicht mehr in der Lage war. Mit dem Bierzapfen wechselte man sich ab. Die Zapfanlage hatte sich robuster gegen helfende Hände erwiesen als der Plattenspieler.

      Wenn der Schankwirt morgens seine lichten Momente hatte, reichte es immer gerade noch aus um die Kasse zu stürzen, neue Bestelllungen zu machen und die Lieferanten hinzuhalten. Es funktionierte auf seine eigene Weise. Seit vielen Jahren war dieser Ort für den größten Teil seiner Gäste ein zweites oder auch erstes Wohnzimmer. Edda hatte sich auch hier um Zugehörigkeit bemüht, obwohl sie die ständigen Politgespräche, glühende Parolen und Illusionen nicht verinnerlichen konnte. Sie blieb das Kind und wollte spielen, sie weigerte sich an Demos teilzunehmen, spitzte aber trotzdem die Ohren und manchmal auch ihre Zunge, an dem intellektuellen Geblubber dieser Zeit. Sie war hauptsächlich darauf bedacht hübsch auszusehen. Sie rauchte keine Zigaretten, hatte nie geraucht und konnte diesen Genuss nicht nachvollziehen. Trotzdem lebte sie viele Stunden, beinahe täglich, wie ein Schornsteinfeger im aktiven Schlot. Sie hatte sich damit abgefunden, dass ihr morgens der Schädel brummte und die Augenlider geschwollen waren, da sie glaubte entscheiden zu müssen, zwischen brennenden Augen und Kopfschmerz mit einem funktionierenden Sozialleben der Kneipe, die sinniger Weise „Zum Schornstein“ hieß, oder einer Frischlufteinsamkeit ohne Nachwehen.

      Sie kannte zu jenem Zeitpunkt niemanden, außer Ruben, der nicht übermäßig viel rauchte und sich nicht genauso regelmäßig volllaufen ließ. Es gehörte einfach dazu, zu jedem Treff im Schornstein. Doch seit Edda mit Fausto zusammen war, hätte sie lieber die Einsamkeitsvariante vorgezogen, mit ihm. Aber wenn sie vom Büro nach Hause kam, saß er meistens schon am Biertisch. Sie hing an seinen Lippen und mit jedem Tag, dem sie ihm länger lauschte, identifizierte sie sich mehr mit seinem Gedankengut. Ein bekanntes Gefühl der Richtungsweisung reichte ihr die Hand. Edda fühlte sich, seit sie mit Fausto zusammenlebte, schwindelerregend schnell vertraut mit seinen Meinungen. Da sie immer noch keine eigenen Meinungen hatte, die ein brauchbares Fundament aufwiesen, sie noch in dem Gap zwischen Vater und Fausto steckte, hangelte sie sich in Faustos Richtung. Rückwärts wollte sie nicht. Instinktiv! Nur wenn es um Liebe oder Glück ging, hatte sie eine eigene Meinung, da widersprach sie ihrem Liebsten.

      „Was verstehst du denn unter Glück?“, fragte Fausto sie eines Abends spöttisch, als sei das Wort Glück eine witzige, von ihr erfundene Idee. Edda hatte ihm etwas vom Glücklichsein zu zweit vorgesäuselt. Sie hatten über Frieden und Harmonie geschwätzt, und dass sich doch jeder Mensch eigentlich danach sehne. So meinte Edda. Er vertrat die Ansicht, dass das Glück, von dem sie schwärmte, nur die pure Langeweile bieten könne.

      Edda war kein Artikulationsgenie wie er, auch konnte sie nicht ruhig und sachlich argumentieren. Sie fühlte sich schnell angegriffen und ereiferte sich zu sehr im Gespräch, um von ihm ernst genommen zu werden. Den Bildungsdefizit versuchte sie durch heftige Wortwahl zu übertünchen. Sie sah hübsch aus und wusste, wenn sie sich nicht gerade geprüft fühlte, geheimnisvoll zu lächeln. Doch an Faustos Seite wuchs der innere Protest, sich ausschließlich damit zufrieden zu geben.

      Edda war eine Spätentwicklerin. Schließlich hatte sie ja auch erst an ihrem sechzehnten Geburtstag “ihre Tage“ bekommen. Sie las heimlich seine Bücher, stürzte sich in Themen, von denen sie nicht einmal geahnt hatte, dass so etwas in Buchstaben gefasst werden könnte. Sie wollte vor allem wissen, was er wusste, und sie trainierte ihr Gedächtnis auch für Fachbegriffe. Eines Tages wagte sie einen sensationellen Sprung, sie begann Fragen zu stellen. Sie konnte plötzlich sagen, “Was ist Das“, „Wer ist Das“, oder noch sensationeller, „Ich weiß es nicht.“ Worte, die sie niemals vorher, außer als Kind vor ihrer großen Schwester, von sich gegeben hatte. Vor anderen Menschen zuzugeben, dass sie dies oder jenes nicht wusste, machte ihr plötzlich Spaß.

      „Also, was bedeutet für dich Glück?“, fragte Fausto erneut.

      „Glück ist das Gegenteil von Neid“, antwortete Edda, „nicht von Unglück.“

      „Und was ist Neid? Wenn du schon nicht erklären willst, was du unter deinem angestrebten Glück verstehst, aber bitte, Edda, lass uns nicht bis ins Endlose mit dem Gegenteil operieren.“

      „Glück ist ein Gefühl, im Zustand so relativ, dass ich es dir hier und jetzt nicht auseinandersetzen will. Aber frag doch deine Gurus, diese Experten im Definieren und Suggerieren von Glücksgefühlen“, erwiderte Edda gespielt spöttisch, „ich treffe mit meiner Meinung darüber, bei dir, bestimmt nicht ins Schwarze. Und Neid, das geht mir eher von der Zunge, es ist die Energie der Ignoranz.“ Fausto setzte sein Bierglas ab und horchte erstaunt auf, das war nicht Eddas Jargon.

      „Bei dreißig Grad im Schatten fröstelte es mich, konnte ich den Neid spüren, als deine Frau in mein Dekolletee geglotzt hat.“ Edda hatte zu viel getrunken. Sie war immer noch verärgert und irritiert über diese Fausto Ehefrau, von deren Existenz sie erst vor kurzem durch Zufall erfahren hatte. Er behauptete gelassen, sie lebten seit einem Jahr getrennt.

      Ich oder der Hund, hatte Fausto seine Ehefrau vor die Wahl gestellt, als Adolf, der Foxterrier, auf sein Bett gekackt hatte, und er anschließend, unachtsam vor Empörung, auf einem der zahlreich, vom Hund nachlässig versteckten Markknochen ausgerutscht war.

      „Adolf bleibt, hatte sie heroisch erwidert, oder ich will ein Kind.“ Fausto war nicht erpressbar und so nannte er sich getrennt lebend. Sie zog mit Hund und ohne Kind zu ihrer Freundin, um ihn erst einmal zu erschrecken. Das erschreckte ihn aber nicht, im Gegenteil, denn er hatte genug von dem unaufhörlichen Gezeter seiner unglücklichen, jungen Ehefrau. So lächelte er, zwischen einer parallelen und nächsten Liebschaft, Edda entgegen.

      Seine Frau war damals zur Kneipentür hereingestürmt, der Qualmschleier stob auseinander. Sie hatte sich stehend an den vollbesetzten Stammtisch gesellt und mit schriller Stimme von ihrem Angetrauten verlangt, sofort mit nach Hause zu kommen, sie hätte mit ihm zu reden.

      Fausto hatte ihre Worte nicht beachtet, er hatte sie nur freundlich begrüßt und in seiner ruhigen, aufreizenden Art das Gespräch mit seinen Tischfreunden fortgeführt. Der Geruch nach freigelassenen Darmblähungen und schweißverklebten Achseln in Acrylpullovern, mit billigem Deodorant vermischt, hatte Edda an diesem Abend besonders gestört. Oder suchte sie einen Grund sich unbehaglich zu fühlen und zu verschwinden.

      Adolfs Frauchen hielt sich einige Minuten lang standhaft. Schweigend, mit zusammengekniffenen Lippen und vorwurfsvollem Blick, stand sie an Faustos Seite und versuchte Edda zu ignorieren, was ihr nicht gelang. Sie hatte von Edda erfahren und war zurückgekommen. Sie machte den Eindruck einer schönen, magersüchtigen Fee. Irgendwann war sie einfach umgekippt. Fausto schritt mit einem eleganten Satz über die am bodenliegende, stöhnende Ohnmächtige hinweg und bestellte sich ein neues Pils an der Theke, ohne von ihr Notiz zu nehmen. Er war, während sich der Schaum in seinem Glas unter dem Zapfhahn bäumte, zur Toilette gegangen.

      Edda sah sich, in ihrer funktionstüchtigen Fantasie, eines Tages selbst vor dem Stammtisch liegen. Zum ersten Mal war sie vor ihm zurückgeschreckt. Sie glaubte den sichtbaren Beweis erlebt zu haben, dass Fausto ohne Gefühl fühlen konnte. Wie konnte Edda auch wissen, dass die Ohnmachtsanfälle dieser Fee immer dann stattfanden, wenn ihr Ehemann nicht wunschgemäß reagierte.

      Als er vom Abort zurückkam, war seine Frau verschwunden, seine Königskobra allerdings auch.

      Letzten Endes, dachte Fausto, lag im Handeln der Frauen nichts anderes als der blanke Eigennutz. Erst faselten sie von Liebe und dann, wenn er seinen Kurs einhielt und ohne Rechtfertigung etwas anderes tat als sie es von ihm erwartet hatten, wurden sie zickig. Für ihn waren diese Wesen bisher austauschbar gewesen. Zuerst beschenkten sie ihn großzügig, halfen ihm, warfen sich ihm aufopferungsgierig entgegen. Er hatte um nichts gebeten. Sie legten sich ihm geradezu vor die Füße, sie genossen das Zusammensein mit ihm und seine Begabung Erleben zu vermitteln.

      Fausto war immer wieder erstaunt wie wenig ihm