Gabriele Plate

Edda – oder der faule Apfel im Zwischenraum


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zu tun, als übergeordnete Macht der Metaphysik, von der Ruben gar nichts hielt. Dort stürzte man sich seiner Meinung nach nur auf Spekulationen. Er hielt ebenso wenig von der Rederei über die Seele und schon gar nichts von ihrer Kenntnis über die Vorexistenz. Ruben hatte sich mühelos auch durch die Platoniker gefressen, doch das Prinzip der Bewegung schrieb er nicht der Seele zu. Es sollte für ihn pure Physik sein, so wie der Äther in die Welt der Chemie gehörte, zu den Oxyden der Kohlenwasserstoffe und nicht ins Himmelreich.

      Edda hörte gerne seine knappen Kommentare und dachte, die beiden Männer, die sie nun liebte, könnten gegensätzlicher nicht sein. Immerhin, mit Gegensätzen kannte sie sich aus, sie lebten in ihr. Aber sie irrte mit ihrer Meinung, sie hatte noch nicht die Nähe dieser beiden Gegensätze erfasst.

      Ein schönes Wochenende, ein verlängertes Wochenende und ein neues Glück. Edda war wieder zum Leben erwacht, sie hatte wahrhaftig ihren Fausto vergessen, zuerst für einige lange Minuten und dann sogar für Stunden. Ab und zu hatte er sich noch einmal in ihre Gedanken gedrängt, selbst auf der Fahrradstange war er kurz mitgefahren. Edda fühlte sich wie genesen nach einer langen Krankheit, als sie am Dienstagabend zurückkam. Mit ihrer Reisetasche und einer Einkaufstüte traf sie auf ein schnelles Bier im „Schornstein“ ein. Da saß er, Fausto.

      Er hatte schon fast „den Deckel rundgetrunken“. Sie sah seinen Bierdeckelrand von kleinen Bleistiftsenkrechtstrichen geziert. Jedes bestellte Glas zeigte einen Strich an, ein getrunkenes Bier. Sie konnte sehen, er hatte also schon einige Stunden auf sie gewartet. Er war aufgesprungen und murmelte etwas von vermisst haben, nahm Edda stürmisch in die Arme und küsste sie. Edda zeigte sich ein wenig abseits von wilder Leidenschaft, sie musste sich aber zügeln. Er nahm ihr das gespielte Desinteresse nicht ab, lachte sie an, und sie blieben den ganzen Sommer zusammen. Beinahe wie ein richtiges Paar.

      Anfang Oktober hatte ihr Job begonnen. Fausto schrieb und telefonierte, er nahm sie manchmal mit zu Freunden, oder auch zu verschiedenen Presseveranstaltungen. Überall stellte er Edda als seine Freundin vor, was ihr sehr schmeichelte, denn das galt als ein besonderes Zugeständnis für Fausto. Sie wohnte größtenteils bei ihm, unten in dem kleinen Vorstadtort. Seine Wohnung lag näher an der Kneipe und war auch sonst bequemer als ihre Behausung auf dem Berg.

      Edda kam abends erschöpft von ihrem Büroalltag zurück, ein Alltag, den sie sich anders vorgestellt hatte. Dann stand Fausto da und lachte ihr liebevoll entgegen, er umarmte sie wie nichts Vergleichbares auf der Welt, sie schwebte. Und plötzlich ließ er sie fallen. Er konnte verschwinden, von einer Minute zur anderen, für Tage oder auch länger. Er verwöhnte mit Liebe und vergaß Edda, ohne Vorwarnung, wie in einem Atemzug. Seine Worte hallten in ihr nach. „Liebste, mein Schatz, meine Königskobra“ auch Worte wie, „zeitlose Wahrheit des Glaubens und des Seins“, wobei er den Akzent auf zeitlos klemmte.

      Sie wartete ständig auf ihn. Ihre Suche nach einem greifbaren Verbindungsglied zwischen Theorie und Praxis war erschöpfend, sie konnte dieses Instrument nicht ausmachen. Fausto verstand es, verbal in die Mysterien des Lebens einzutauchen, so deutlich und einfühlsam, dass Edda mit ihm schwamm und sich am liebsten in seinen Worten aufgelöst hätte. Sie stolperte von Silbe zu Silbe hinter ihm her, wie an einer unsichtbaren Kette. Doch wenn er nicht in ihrer Reichweite war, klatschten ihre Sinne und ihr Liebeswille wie gegen eine Wand. Dann fühlte sie sich wie ein Fisch an Land, der zappelnd, bis zur letzten Faser seiner Schwanzspitze, über einen ausgetrockneten Betonboden flappt.

      Sie liebte seine Gestalt, und sie liebte es, wie ihre Körper sich fanden, nichts Ungeschicktes mehr. Ihre sexuellen Begegnungen hatten den Reiz nicht eingebüßt, sie waren vertraut und trotzdem immer wieder erstaunlich neu, als würden sie von einer koketten Scheu begleitet.

      Eines Tages entdeckte Edda, dass er alles, was er je gelesen hatte und was in sein Interessensgebiet passte, speichern konnte. Er hatte es nicht nur erfasst, er konnte es auch bei Bedarf aus seinem Gedächtnis hervorholen. Ein lebendiges Nachschlagewerk. Fausto wusste aus reinem Interesse, nicht zum Schaumschlagen, so wie Edda es bisher an sich und ihrem Umfeld erlebt hatte. Man wusste etwas, um entweder ein Examen zu bestehen oder andere Menschen zu beeindrucken. Sie maß es an dem lauten Getöse ihres Vaters. Faustos Art von selbstsicherer Kompetenz war ihr neu. Edda faszinierte die spielerische Gabe seines Lernens und sein Gedächtnis. Sie selbst musste während des Studiums viele Lektüren fünfmal lesen und hatte sie trotzdem einige Wochen später vergessen. Für ihre Auffassung war Fausto ungeheuer belesen. Ihm waren außerdem alle nennenswerten historischen Daten geläufig, besonders der Kriege und Putschversuche auf diesem Globus. Keine Untat, seit der Mensch sich des aufrechten Ganges bediente, war ihm unbekannt. Fausto schien so ziemlich über alles, worüber man lesen konnte, Bescheid zu wissen, nur vor der Mathematik und der Medizin hatte er Halt gemacht, das langweilte ihn. Auch auf dem Gebiet der Kunst und Musik wusste er sich nicht zu bewegen, da besaß er nur die Kenntnis eines Normalbürgers. Das hatte Edda in ihrem Eifer noch nicht bemerkt.

      Dass er kein Musikexperte war, beeinträchtigte allerdings nicht seine bemerkenswert schöne Stimme, die er mit drei eingeübten Griffen in zwei Oktaven auf der Gitarre eindrucksvoll begleiten konnte. Er hatte nie die Notwendigkeit oder das Interesse gefunden über diese drei Griffe hinauszugelangen. Seine vorgetragenen „Mariachis“ ließen regelmäßig alle anwesenden Damen in die Knie sinken, einschließlich Edda. Nicht eine der schmachtenden Pseudo-Emanzen verstand diese Machotexte, die natürlich von ihm in Spanisch gesungen wurden.

      Edda bewunderte ihren Fausto maßlos, sie war stolz auf ihn und wollte ihn besitzen. Das hatte sie so zu wünschen gelernt, was man liebte, wollte man haben, für sich haben, allein! Das allerdings, war nicht ganz in seinem Sinn. Seinen Widerstand auf diese Forderung bekam sie schmerzlich zu spüren.

      Sie hatte inzwischen seine Mutter kennengelernt, die ihr gleich beim ersten Treffen augenzwinkernd von ihrem besonders trotzigen Sohn erzählte. Diese Mutter lachte und meinte, nichts unversucht gelassen zu haben, um ihm den Trotz auszutreiben. Das sei leider nicht geglückt, aber wenigstens sei er mit acht Monaten „sauber“ gewesen und hätte frühzeitig gelernt mit dem „guten“ Händchen beim Essen den Löffel zu halten. Das hätte sie unglaubliche Geduld und ihn viele Tränen gekostet, sagte sie stolz. Er war Linkshänder.

      So also lernte Fausto, wie man niemals einen Nagel mit dem Hammer treffsicher, mit kurzen gleichmäßigen Schlägen auf den Kopf traf, ohne ihn zu krümmen. Das hatte Edda ihm voraus. Er hantierte im Zeitlupentempo mit dem Geschirr, falls er es abwusch, und er reiste mit ungebrochenem Trotz gegen Frauengenörgel durch die Welt.

      Edda tauchte ein in diesen Menschen, sie hätte Hymnen vortragen können über diese beiden linken Hände. Bewundernd umrundeten die Fingerkuppen, ihrer breiten praktisch veranlagten Töpferpfoten, die Nagelbetten seiner Schwanenhalsfinger.

      Tintenkleckser, nannte ihr Vater ihn, beäugte Fausto abfällig und bedrängte Edda, diesen Mann sofort zu verlassen. Er hatte ihn nur einmal berochen, sich wieder als Platzhirsch aufgeführt und wie gehabt, ohne einmal Luft zu holen, erlaubt sein Urteil zu fällen. Ein weiterer Grund, den schon erkämpften Abstand zu ihrem Vater zu erweitern. Ein Abstand, gestrickt aus tausend Maschen der Wut und Schuldzuweisung. Mit jedem Schritt dieser Entfernung schmiegte sie sich enger an Fausto. Sie koppelte sich ein, klemmte, klebte und stülpte ihr ganzes Sein über ihn. Sie vertraute ihm Wünsche und Geheimnisse an. Fausto konnte ein geduldiger Zuhörer sein und ein sensibler Ratgeber, aber er war wie ein Fisch, der ohne großes Getöse zwischen den Worten davonglitt, wenn es ihm zu viel wurde. Ein Fisch, der leichtflossig davonschwamm, nur seinen Geruch hinterlassend.

      Feierabend! Edda hatte eine schleppende Autostunde durch monsunartigen Dauerregen hinter sich. Der linke Scheibenwischer hatte auf der Überholspur, mitten auf der Autobahn, seinen Gummistreifen abgeworfen und danach nur noch spärlich die Sicht freigekratzt. Sie war rechtslastig gefahren. Anschließend, in der Kneipe am Wohnort angekommen, versuchte sie Fausto zwischen den Rauchschwaden zu entdecken. Sie flüchtete in kleine Atemfelder, die wie lichte Streifen träge im hinteren Schatten der Kneipe hingen, die nur ein wenig hüpften, wenn jemand die Tür aufstieß. Ein Müdegetrunkener, der die Szene verließ oder ein Durstiger, der eintrat. In einen kleinen Durchbruch zur Außenwand, etwa zwölf Zentimeter im Durchmesser, war ein alter Ventilator geklemmt, dieser diente sonst als einzige Luftquelle. Sein müdes Schnarren mischte