Gabriele Plate

Edda – oder der faule Apfel im Zwischenraum


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Dabei war er nur genauso wie immer, hatte das gezeigt, was sie alle anzog, so faszinierte. Seine Unberechenbarkeit. Die wollten sie und wollten sie doch nicht, plötzlich sollte er sich ändern, zum Teufel mit den Frauen. Hoffentlich entpuppte Edda sich nicht auch als bürgerliche Hystere, die es darauf abgesehen hatte einen Stamm mit ihm zu gründen und ihn zum Sesselhocker umfunktionieren wollte.

      Seine Grunddevise, sich nicht für andere Menschen verantwortlich zu fühlen, war leider durch Edda ein wenig aus dem Gleis geraten. Sie ging ihn etwas an. Sie war keine Weibergeschichte. Deshalb war er auch beunruhigt, dass sie ohne Abschied die Kneipe verlassen hatte. Na ja, sie würde oben in seiner Wohnung auf ihn warten, und diese hässliche Szene mit seiner Beinahe-Ex, würde er ihr schon in Ruhe erklären können, würde zwischen ihren Umarmungen verblassen. Er freute sich auf die Nacht mit Edda und merkwürdigerweise auch auf die nächste und übernächste Nacht. Das ließ ihn vor Schreck ein nächstes Bier bestellen.

      Nur nicht hetzen, dachte Fausto. Und dann kam noch ein Bier und noch eins. Er trank aus Trotz gegen sein Gefühl für Edda. Als er endlich zu später Stunde in sein Bett kroch, war es kalt und leer.

      Edda rauschte über die Autobahn durch die Nacht, Richtung Norden, auf dem Weg zu ihrer Großmutter. Sie fuhr nachts gerne große Strecken. Das gleichmäßige Geräusch des Motors beruhigte sie und an Schlaf war sowieso nicht zu denken gewesen. Sie war ärgerlich, wollte üben, nicht an Fausto zu denken.

      Wie und wann lugt das Potenzial der Entwicklungsfähigkeit aus seinem Stammbaum hervor, gibt es einen gesunden Stammbaum? Eine gesunde Orientierungsfähigkeit, über die nur labyrinthisch, unzählige Nebenschubladen gestülpt sind, die wie Lebenssekunden ablenken, die man eigentlich übersteigen könnte? Sich aber doch lieber hineinschiebt um weitere Zeit getötet zu haben? Zeit, die doch gar keinen Anspruch hat, die nur verrinnt, wenn man es ihr gestattet. Zeit die sich aufbäumt, zu Würfeln gefriert, aus den Schubladen bricht oder zerfließt. Und wieder ein Schritt in welche Richtung? Zeit, wenn sie doch keine Rolle der Wirklichkeit spielt, sich nur aufgesetzt erhebt, sich nicht befindet, nicht weilt, trotzdem sehnlichst in Empfang genommen werden kann und als schlüssellose Einrichtung der Menschheit unumstritten triumphiert. Entwicklung ohne Zeit? Es findet ein Prozess statt, und das ist messbar. Die Suche nach diesem Maß könnte ein großer Spaß sein, könnte alle Zeiten überrumpeln.

      Edda hatte es geschafft einige Kilometer lang nicht an Fausto zu denken. Zur Abwechslung war sie einmal verschwunden. Sie wollte ihn strafen, ihn spüren lassen, wie es sich anfühlte, wenn man einfach sang- und klanglos verschwand. Sie war sehr ungehalten wegen dieser durchsichtigen Fee, davon hätte er ihr wirklich erzählen können.

      Edda hatte schon ihre Studentenbude gekündigt und den Umzug in Faustos Wohnung geplant. Sie waren doch ein Paar, auch wenn er oft wochenlang unterwegs war. Nach diesem letzten Auftritt kam sie in Bedrängnis mit ihren Umzugsplänen. Er konnte erschreckend konsequent sein. Wer glaubte sie zu sein, dass er sie anders behandeln würde als seine Ehefrau oder die anderen Gespielinnen.

      Sie brauchte ein paar Tage Abstand. An seiner Windschutzscheibe hatte sie eine Nachricht hinterlassen, mit der Hoffnung, er würde sich melden. Vielleicht, wenn er sie liebte, würde er ihr sogar nachfahren?

      Ein Tipp der Großmutter, Edda solle sich, bevor sie sich ernsthaft mit einem Mann einließe, erst einmal genau ansehen wie er seine Mutter behandelte. Ähnliches stünde ihr dann auch bevor, abgesehen natürlich vom aktiven Liebesleben. Na danke, dachte Edda. Auf diesem Stuhl wollte sie nicht sitzen.

      Sie machte lange Spaziergänge durch die nach Meer riechende Landschaft. Schleswig-Holstein, Meer umschlungen, hieß es in dem Lied. Sie schaffte es nicht, Fausto kam immer wieder dazwischen. Ihre Großmutter war Blumen- und Landschaftsmalerin und hatte Edda schon von frühester Kindheit an, wann immer sie in den Ferien dort war, mit Farben und Leinwand bekannt gemacht. Der Geruch von „Rote Grütze“ mischte sich mit Leinöl und Holunderbeersaft. Der Keller war voll mit gelagerten Äpfeln und Eingemachtem. Kein Ton von Fausto.

      Eine Woche später war Edda zurück, der Schuss war nach hinten losgegangen. Weit und breit kein Fausto. Sie fand einen Zettel auf dem Kopfkissen. “Musste nach Rio, melde mich telefonisch bei dir, abrazo, Fausto.“ Erst viele Monate später stellte sich heraus, dass die schöne Blonde, die auch noch in den Startlöchern hockte, Eddas Autozettel vernichtet hatte, bevor Fausto ihn hätte entdecken können.

      Er hatte den Auftrag eine Serie zu schreiben, über deutsche Auswanderer in Brasilien. Dabei handelte es sich auch um die vorherige Generation, besonders um Nazis im Exil. Es muss da wohl einige interessante, unvorhersehbare Aspekte für Fausto gegeben haben, denn er blieb sehr viel länger dort, als die Redaktion bereit war an Unkosten zu übernehmen. Der erste Teil war längst erschienen, als Fausto immer noch nicht zurück war. Auf einen Anruf wartete Edda vergeblich.

      Bis er irgendwann nachts vor ihrer Tür stand, sie in die Arme nahm und sich zu ihr ins Bett kuschelte, als wäre es die selbstverständlichste Sache der Welt. Er hätte einen Guru gefunden und erst den Rückflug angetreten, als keine seiner Kontaktredaktionen mehr bereit war, ihm weitere Vorauszahlungen auf ungeschriebene Artikel zu übersenden.

      Edda war misstrauisch diesem Guru gegenüber, wusste sie doch inzwischen, dass Fausto nicht für den Personenkult zu begeistern war. Sie glaubte eher an eine schöne Frau im fernen Lande. Das bestätigte sich sehr bald, als wöchentlich die Briefe aus Übersee in Faustos Briefkasten flatterten. Er überflog die Briefe in Eddas Anwesenheit und ließ sie offen auf seinem Schreibtisch oder auf der Terrasse liegen. Sie flatterten davon oder auch nicht, jedes Wort war in Spanisch geschrieben. Edda fand es unwürdig, indiskutabel, abscheulich, Briefe eines Anderen ohne dessen Zustimmung zu lesen, aber diese Briefe flogen einfach wie von selbst in ihre Hände.

      Sie fühlte sich elend, weil sie versuchte sie zu entziffern und noch elender, da es ihr nicht gelang. Nur Worte wie, Cariño, beso oder Querido, kannte sie aus Faustos Liedern. Edda meldete sich an der Volkshochschule für einen Spanisch Kurs an, und als Fausto davon erfuhr, war er begeistert. Er hatte die Briefe völlig vergessen und sprach öfter Spanisch mit ihr, um ihr die Melodie der Sprache, wie er sagte, näher zu bringen. Er unterrichtete sie gerne und hörte die Vokabeln ab. Als der nächste Brief aus Übersee in Eddas Harmoniebedürfnis hieb, meinte Fausto lässig, auf Eddas fragenden Blick hin, „eine Kollegin.“ Er rückte von seiner Schreibmaschine ab und drückte langsam, wie bedächtig, seine Zigarette in der überquellenden Untertasse aus, um sich die Fingerspitzen nicht zu beschmutzen, und als täte er dies zum ersten Mal. Es schien doch eine besonders enge Verbindung zu geben, zwischen seinem Körperlichen und Gedanklichen, zwischen rauchen und schreiben. Fausto konnte seine Schreibsensoren nicht in Gang setzen, ohne eine brennende Zigarette zwischen den Fingern zu halten.

      Er beendete die beginnende Fragestunde ohne ein weiteres Wort und setzte sich im Lotus-Sitz einfach dorthin, wo er gerade gestanden hatte, auf den Teppichboden. Im perfekten Lotus. Was Edda erstaunlich fand, da ihre Oberschenkelmuskeln schon den halben Lotussitz boykottierten. Er hielt seine Hände leicht geöffnet nach oben gerichtet, mit geschlossenen Lidern, ohne Zigarette und antwortete nicht mehr. Eine Stunde oder länger konnte er so verharren, ohne sich zu bewegen. Dann stand er auf, reckte sich kurz wie ein Kater und mit einem klaren, freundlichen Blick verschwand er hinunter in den „Schornstein“. Wie ist es möglich, dachte Edda besorgt, dass dieser wache Geist sich jetzt mit Bier zu betäuben wünscht. Sie hatte keine Ahnung von Faustos unbewusstem Wunsch, auf diese Weise eine Erdung erzielen zu können. Keine Betäubung!

      Fausto war nun seit einigen Monaten geschieden. Eines Tages machte er Edda den Vorschlag eine größere Wohnung zu mieten, anstatt der beiden Behausungen, die sie immer noch getrennt und doch zusammen bewohnten.

      „Das wird aber schwierig sein, als nicht verheiratetes Paar“, meinte Edda zum Spaß. Sie hatten einigen Ärger mit seinem prüden Vermieter gehabt, wegen Eddas ständiger Anwesenheit ohne Ehebescheinigung.

      „Wenn das der einzige Grund ist“, antwortete Fausto zwischen den Zeilen aufblickend, „dann heiraten wir eben. Ich muss hier aus dieser Bude raus, Adolfs Pisse hängt im Teppichboden fest.“

      Eigentlich hatte sie sich lieblichere Motive zum Heiraten gewünscht, nun sollten es also Mietvorschriften und Hundepisse sein. Sie ergriff