Gabriele Plate

Edda – oder der faule Apfel im Zwischenraum


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Wort als allgemeiner Begriff und als seine wahre Bedeutung. Allgemein wird Liebe als eine verpflichtende Bindung verstanden, sogar als festes Versprechen an eine Person, aber das Gegenteil ist das Gefühl dieses Phänomens. Liebe ist nicht ein winzigster Teil dessen, was ihr aufgehalst wird. Darüber kennst du längst meine Meinung. Verantwortung, Besitztum, Ehe, Kinder usw. All das knüppelt sich zwischen die Beine der Liebe und vertreibt sie.“ Edda schluckte schwer an Faustos Antwort. Hätten wir also ein Kind zusammen, dachte sie und verdünnte gehörig ihre Aufmerksamkeit auf seine folgenden Worte, wäre es ein Stolperknüppel für unsere Liebe? Denn er hatte gesagt, Kinder und so weiter. Sie spürte die Enttäuschung bis ins Knochenmark kriechen.

      „Zu diesen Knüppeln gehören besonders, die Moralbegriffe, das Geld, Gesetze, sogar die Religion. Eine endlose Reihe ihrer Feinde steht Schlange, bevor man in ihre Nähe gelangt, falls man dieses Glück ihr zu begegnen überhaupt erfährt“, ereiferte sich Fausto.“

      Jetzt sollte er zugeben, dass er durch mich die Liebe erfährt, dachte Edda. Sie sah ihn glühend an.

      „Edda, wie oft haben wir schon darüber geredet. Ein Teil in uns sehnt sich permanent nach einer Verbindung mit einem anderen Menschen, der Wunsch sich zu komplementieren ist stets präsent, es fehlt immer etwas, was man in seinem Gegenüber unbewusst sucht oder sich vorspielt gefunden zu haben“.

      Warum drückte er sich nicht in der ersten Person Singular aus, warum sagte er immer, man oder wir. Warum nicht, ich, Fausto. Edda wollte, wenn es um das Thema Liebe ging, nichts Allgemeines mehr hören.

      Er sprach weiter. „Manchmal kann man zwar dadurch eine kurze Pause der Suche erlangen, doch letztlich, wenn man es auf diesem personengebundenen Weg sucht, reist diese Erfüllung der wahren Vereinigung vor uns her, wie die Karotte an der Angel vor dem Maul des Esels.“ Zuerst bin ich der faule Apfel und nun auch eine Karotte, super romantisch, dachte Edda zickig. Sie verstand ihn gut, wollte es aber nicht für ihre Belange wahrhaben.

      „Man hat ihren Duft vor der Nase“, sagte Fausto, er war noch mit der Karotte beschäftigt, „man erblickt sie schon ganz nahe, aber diese kurze Entfernung bleibt konstant bestehen, wie das wiederkehrende Sehnen. Man stößt immer wieder nur auf die Reflexionen seiner eigenen Projektion. Man atmet schneller und nennt es Liebe. Natürlich muss sich herausstellen, dass niemals ein anderer Mensch seinen eigenen Projektionen gerecht werden kann. Bei manchen Paaren fällt der Schwindel ganz schnell auf, bei anderen kann es Jahre dauern, oder es versinkt ein Leben lang im Meer der Kompromisse. Das Eingeständnis, die Liebe als Trampelpfad zu missbrauchen und vollbeladen mit seinen Bedürfnissen im Gepäck über sie hinwegzustampfen, anstatt in ihren Höhen zu schweben, ist schmerzhaft und wird meistens verdrängt. Vorzugsweise wird noch einmal das Altbekannte mit einem neuen Partner durchgehechelt, bevor man das Konzept umschreibt und der Liebe um der Liebe willen wirklich ins Auge sieht.“

      Edda hatte manchmal den Eindruck, als misstraue er jedem einzelnen Laut seiner eigenen Worte, als sagten sie nicht das, was er wirklich hervorziehen wollte, als sei er behindert und seine Worte nur Krücken, nur eine provisorische Art sich etwas Wichtigem zu nähern, als stecke er in einem unfertigen Zustand fest, fern der wahren Verständigung.

      Fausto verreiste wieder einmal für unbestimmte Zeit. Edda litt, vermisste ihn wie gehabt und vergaß sobald er zurück war, seine bedrohend wirkenden Worte über die Liebe. Plötzlich konnte sie ihn wieder anfassen, ihm in seinen Hintern kneifen und ihren nackten Fuß an seinem Körper reiben. Seine Worte waren wie ihre Orakelspiele, sie galten für sie nur, wenn es ihr passte. Das, was sie nicht wahrhaben wollte, versuchte sie zu überhören oder zumindest nicht mehr störend darüber nachzudenken. Die Worte hockten in der Ferne.

      Es schien, als hätte sich Fausto auf seinem Weg ins Licht ein wenig in der Richtung geirrt, als hinge er fest auf einer intellektuellen Ebene. Dazu beschwerte ihn vermehrt der Alkohol, wirkte behindernd auf seine Bemühungen zu schweben. Sein innerer Blick schlurfte durch das Dickicht der Wiederholungen. Immer öfter bemerkte Fausto die Fußabdrücke vorhergegangener Wanderungen seiner Gedankengänge, sie wiederholten sich tückisch und waren zahlreich verteilt, stets vor ihm am Ort sichtbar. Wie Abdrücke eines Denkers, der schon vor ihm dagewesen ist. Diese Abdrücke grinsten ihn höhnisch an, seine aufgewärmte Begeisterung erstarb beschämt. In diesen Momenten erkannte er seine Gedanken ganz klar als gedankliche Bemühungen, die er schon unzählige Male hinter sich zu lassen geglaubt hatte. Er dachte, lebte, liebte, reiste, aß und trank, wie im Kreise, mit dem Buch auf den Knien, dem Glas in der Hand und der Zigarette zwischen den Lippen. Nun verlangten diese Gedanken störend deutlich danach, nicht noch einmal gedacht werden zu wollen. Nicht von ihm! Doch auch Faustos Synapsen waren Gewohnheitstiere, sie fanden keine neuen Wege, sie sausten pausenlos um die selben Kurven.

      „Die Zeit, ja die Zeit müsste der Angelpunkt sein“, begann er von neuem. „Die Zukunft ist abwesend, noch nicht geboren, sie kommt nach uns. Ein Fakt. Der Moment der Zukunft kann also nie geboren werden, er liegt immer davor. Zukunft und Vergangenheit haben ihre eigene Wahrheit, sie schlummert im Uterus der Zeit. Sie ist die Zeitlosigkeit. Kann ich mich in diese Zeitlosigkeit hineindenken, gleich Gegenwart? Nein, es muss ein anderer Ort sein als die Gegenwart, denn das ist Bewusstsein außerhalb der Zeit, nicht ohne sie. Dazu der Standpunkt des Bewusstseins, für das Unbewusste gibt es keine Zeit. Erstrebenswert also doch, das Zeitlose Bewusstsein.“

      Ein Karussell! „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sind Messmarken des Bewusstseins, wie Raum und Zeit.“ Fausto hing in seiner Hängematte, er dachte sich die Gehirnwindungen wund, oft murmelte er seine Überlegungen leise vor sich hin. Edda war besorgt. „Edda, solange ich noch Zweifel habe, bin ich noch nicht dem Wahnsinn verfallen“. Diesen Satz hatte Edda auch schon einmal irgendwo gelesen.

      „Der Gleichzeitigkeitseffekt ist jenseits der Zeit, man müsste zwischen den drei Zeiten frei schweben können. Aber wo ist man in diesem Zwischenraum? In diesem Gap, zwischen Gestern und Heute, zwischen Vergangenheit und Zukunft des Gestern. Wie groß ist dieses Gap? Demnach müsste es viele dieser Zwischenräume geben, unendlich viele. Zwischen Allem könnte es diesen Raum geben, nicht nur zwischen den Zeiten. Auch zwischen den Noten, den Zeilen, den Worten, dem Leben? Das Wort Zwischenraum betitelt dieses Phänomen sehr treffend. Ich bin fast sicher, man kann in diesem Raum zwischen der Zeit und Allem verweilen, vielleicht ist Zwischenzeit der Tod, oder entspricht der Zeit nach dem Tod und vor der Wiedergeburt.“

      Edda schwieg, diese Zwischenzeit als Raum interessierte auch sie. Mit Reinkarnation hatte sie allerdings wenig im Sinn. Nur hätte sie das in Worten nicht so ausdrücken können oder wollen, ohne ihn zu verletzen. Sie fand diese Gedanken unnütz und verrückt, man kam mit ihnen doch nicht von der Stelle, niemand konnte mit Sicherheit darüber Bescheid wissen. Für sie waren solche Überlegungen immer noch verwirrend, wenn nicht sogar destruktiv. Auf jeden Fall sollte man sie im Griff haben.

      Faustos Gedankenlamento hatte sie wieder traurig gestimmt. Warum konnte er sich nicht einfach an ihrem Zusammensein erfreuen. Er dachte laut vor sich hin und erwartete Eddas Einsatz. Eine Flasche Ballentine´s stand griffbereit neben seiner Hängematte. Edda sah besorgt auf den Flaschenpegel. Fausto grinste. “Ich muss mich doch erden“, war sein Einwand.

      Sie war gerade nach Hause gekommen, wie immer erschöpft von ihrem Büroalltag, den sie verabscheute. Sie freute sich Fausto zu sehen. „Edda, mein Herz, ich bin sicher, man kann lernen zu entscheiden, nach Belieben zwischen jeweils einer der drei Zeiten zu weilen.“ Sie sah ihn an und versuchte sich nach dem ausführlichen Begrüßungskuss einen Weg durch die Wohnung zu bahnen. Der Eisschrank war leer. Er hatte nicht eingekauft. Die Küche war ein Saustall, und sie war hungrig.

      „Die Römer sind gegangen“, sagte Fausto, „sie sind vor uns gegangen, O.K.? Was sie schon hinter sich haben ist noch vor uns. Das heißt, ihre Vergangenheit steht uns noch bevor. Edda, wo bist du denn, kannst du mir folgen!“ Edda nestelte an einem eingetrockneten Stück Gouda herum und versuchte ihm Gehör zu schenken.

      „Es gibt demnach mehrere Vergangenheiten, A, die individuelle, B, die universelle und C, die wahre Vergangenheit, jene, welche in der Gegenwart lebt. Eine Vergangenheit, die jede Zeit aufhebt, sie antreibt ohne zu vergehen.“

      Die Haustür krachte ins Schloss, sie war geflohen. Täglich, nach ihrem Bürotag auch noch einzukaufen,