Michaela Hössinger

Seelenecho


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unterdrücken.

      „So ungefähr. Doch was ist mit dir? Warum bist du nicht verheiratet?“

      Georg verhielt im Schritt und seine Augen überschatteten sich. Seine Gedanken trugen ihn zurück in die Vergangenheit, die ihn fast täglich überrannte.

      „Ich war verheiratet. Sie war die Liebe meines Lebens. Inga war die Erfüllung meiner Träume, mehr als ich zu hoffen gewagt hatte. Und da war Christian, unser Sohn.“ Seine Stimme wurde in der Erinnerung eng und Verena erkannte den tiefen Schmerz, den Georg in sich trug. Nun wanderten auch Georgs Augen in den Himmel, so als könnte er dort finden, was er verloren hatte.

      „Was ist passiert?“ Verenas Stimme hörte sich rau an, sie fühlte die Emotionswellen, die Georg aussandte.

      „Ich war nicht da, unser Revier beteiligte sich an einer großen Suchaktion nach einem vermissten Kind. Es war selbstverständlich, dass wir halfen.

      Inga war mit Christian auf dem Heimweg. Sie war immer eine besonnene Fahrerin und bis heute weiß ich nicht, warum sie es so eilig hatte. In der scharfen Kurve vor Großkirchen hat sie die Kontrolle über das Fahrzeug verloren und ist frontal in die Steinmauer gekracht. Sie waren beide tot, bevor die Rettung eintreffen konnte.“

      Verena sah die geballten Fäuste, die er in seinem Schmerz in der Hosentasche vergrub. „Es tut mir leid.“ Verena wusste wie abgedroschen diese Floskel klang, doch was hätte sie sagen sollen. Er sah aus wie ein kleiner Junge, der bestraft worden war für eine Sache an der er keine Schuld trug.

      „Mir auch und jeden Tag frage ich mich, warum ausgerechnet sie, warum ausgerechnet die beiden. Es war alles so sinnlos, genauso wie die verzweifelte Suche nach dem Kind. Wir haben es gefunden, es ist im Waldsee ertrunken. Es war der furchtbarste Tag in meinem Leben.“

      Wie von selbst legte sich Verenas Hand auf seinem Arm. „Und dann lebt man weiter. Einen Tag nach den anderen. Und das Warum verfolgt dich sogar bis in den Schlaf.“ Georgs Stimme war zu einem Flüstern abgesunken und gedankenverloren blickte er ins Leere.

      Nun wusste Verena, was sie bei ihrer ersten Begegnung an ihm irritiert hatte. Er hatte die Vergangenheit noch nicht losgelassen. „Wie lange ist es denn her?“ Verena fiel einfach nichts Besseres ein, sie war mitfühlend und bei emotionsgeladenen Filmen musste sie weinen, doch wenn sie Trost spenden wollte, fühlte sie sich linkisch und unbeholfen.

      „Drei Jahre. Letztes Monat waren es drei Jahre.“ Georg atmete tief durch. „Doch der Abend war zu schön um ihn traurig enden zu lassen und nahezu ein Verbrechen bei einer so charmanten Begleitung.“ Er zwang sich ein Lächeln ab und drückte warm ihre Finger, die noch auf seinem Arm lagen. Georg Reuter hatte sich geöffnet, doch jetzt hatte er sich erneut abgeblockt. Verena erkannte, dass sie einander gar nicht so unähnlich waren. Zumindest verstanden sie es vortrefflich sich in einen Schutzpanzer zu hüllen.

      Kapitel 10

      Beschwingt sprang Verena aus dem Bett, sie war bester Laune und pfeifend verschwand sie im Bad. Kaspar betrachtete sie mit treuen Augen und winselte beleidigt auf, als sie ihn endlich zur Kenntnis nahm. „He, du bist doch nicht etwa eifersüchtig. Ich muss zugeben, dass Georg ein netter Kerl ist, doch du weißt, was ich von komplizierten Gefühlswelten halte. Und außerdem bleiben wir gar nicht so lange hier. Deshalb sind wir beide einander treu. Pfote drauf.“

      Aufbellend rollte sich der Rüde auf den Rücken, er wollte spielen. „Komm, bevor wir zu Emilia gehen, toben wir uns noch so richtig aus. Ich glaube, ich kann heute Bäume ausreißen.“ Verena reckte sich heftig und der kurze dumpfe Schmerz an der Brust erinnerte sie daran, dass sie doch nicht ganz so fit war. Doch ein paar blaue Flecken würden sie nicht aufhalten und sie hatte heute eine Menge zu erledigen.

      Und so kam es, dass sie eine halbe Stunde später aufgeheizt und keuchend mit einem aufgeregt bellenden Kaspar vor Emilias Café landete. Ihre Muskeln kribbelten von den wilden Spiel und dem schnellen Laufen, man sollte vier Beine haben statt zwei. Doch auch Kaspar hinkte wieder merklich und erinnerte Verena daran, dass sie als erstes zu der Tierärztin fahren musste.

      „Bist du denn niemals müde?“ Georgs Stimme drang durch die geöffnete Tür nach draußen.

      „Dafür habe ich keine Zeit.“ ­Verena lachte ihn keck an. „Als wenn das den Schlaf abhalten würde“, erwiderte Georg seufzend. Verenas gute Laune war ansteckend, wie er gerade feststellte. Er hatte furchtbar geschlafen, die Alpträume der Vergangenheit hatten ihn bis zum Morgen nicht losgelassen und dementsprechend mies und schwer hatte er sich aus dem Bett gequält. Alleine der Gedanke an das Frühstück mit Verena hatte ihn überhaupt bewegen können, den Tag wie gewohnt zu beginnen.

      Emilia erschien in der Tür und winkte ihr aufgeregt zu. „Guten Morgen Verena. Komm, ich zeig dir was.“ Emilia strahlte kind­liche Freude aus und neugierig folgte sie ihr in das duftende Café. Stolz präsentierte Emilia die Hoya, die nun eigentlich zwei waren. Sie hatte sie säuberlich eingetopft und in handbemalte Über­töpfe gestellt. Liebevoll strich Emilia über die grünen Blätter und rührselig blickte sie zu Verena auf. „Ich habe mir immer eine von diesen Wachsblumen gewünscht und jetzt habe ich sogar zwei davon. Weidmann hat mir versichert, dass ich beide davon bringe. Sind sie nicht eine Augenweide?“, fragte Emilia atemlos.

      „Wundervoll, obwohl ich verstehe nicht allzu viel davon“, gab Verena offen zu.

      „Danke, Verena.“

      Emilia schwammen die Tränen in den Augen und überschwänglich drückte sie Verena an sich, dass ihr die Luft wegblieb. „Mein Gott, was bin ich für eine Heulsuse. Los, setzt euch hin, ich schicke euch gleich Tim.“ Emilia schniefte laut und putzte sich anschließend lautstark die Nase, bevor sie im Hinterzimmer verschwand.

      „Ich glaube, ich wurde soeben von meinen Potest gestoßen“, murmelte Georg. „Doch, da es du bist, kann ich damit leben“, seufzte er nach.

      Verena schüttelte bedauernd den Kopf. „Tja, vielleicht hättest du ihr auch mal Blumen bringen sollen.“

      „Tu ich ja, hin und wieder, aber natürlich kann ich mit deiner „Hoya“ nicht mithalten.“

      Verena grinste. „Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?“

      „Das ist ja wohl wirklich lächerlich.“ Georg rührte brummig in seinem Kaffee herum.

      „Warum bist du dann so – sagen wir pikiert?“, wollte Verena wissen.

      „Ich habe einfach schlecht geschlafen, tut mir leid, wenn ich noch muffelig bin. Und jetzt hör auf mit dem Quatsch.“

      Verena blickte nachdenklich in die Luft. „Hat Emilia eigentlich Kinder?“

      „Nein, es hat nicht geklappt. Doch dafür hat sie mich gehabt.“ Verena zog fragend die Stirne kraus.

      „Es interessiert dich nicht, dass ich heute nicht besonders kommunikativ bin, oder?“, brummte Georg mürrisch.

      „Nein. Also, wie bist du an Emilia geraten“, bohrte Verena nach.

      Aufseufzend legte Georg den Löffel zur Seite und Verena sah die rötlichen Augen, die tatsächlich von einer anstrengenden Nacht zeugten. „Emilia kennt mich schon seit Kindesbeinen an. Ich bin hier geboren. Ich war das zweite Kind und mit meiner Schwester waren wir das Pärchen, das sich meine Eltern gewünscht hatten. Als ich neun war, diagnostizierten die Ärzte bei meiner Mutter Krebs. Ihre Gesundheit war wie eine Fahrt mit der Achterbahn, jedes Mal wenn wir dachten, sie schafft es, gab es einen Rückschlag. Mein Vater versuchte damit fertig zu werden und die Familie irgendwie zusammen zu halten. Doch schon bald war meine Mutter zu schwach um das Haus zu verlassen und mein Vater stürzte sich in Arbeit um die hohen Medikamentenrechnungen und unser Leben bezahlen zu können. Meine Mutter versuchte trotzdem nicht den Optimismus zu verlieren und ich kann mich an viele lustige Stunden erinnern, Stunden, in denen wir eine kleine glückliche Familie waren.

      Emilia hat sich viel um meine Mutter gekümmert, hat uns im Haushalt geholfen.

      Als ich zwölf war, ist sie dann gestorben,