Jörg Müller

Meier im Quadrat


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beiden unter der Woche gar nicht sahen, denn wenn Hans spät von der Arbeit nach Hause kam, hatte Birgit schon ihren Dienst angetreten. Zwei Jahre nach der Hochzeit stellte sich endgültig heraus, dass Birgit keine Kinder bekommen konnte. Sie schlug Hans vor, ein Kind zu adoptieren. Das lehnte Hans kategorisch ab, denn er hatte ganz einfach Angst davor, die Verantwortung für ein „fremdes Kind“ zu übernehmen. Die Ehe der beiden bekam daraufhin den ersten Knacks. Birgit legte sich ein halbes Jahr später als „Ersatzkind“ zwei Hunde der Rasse Pekinese zu. Diese Hunde, die früher einmal im alten China als Palasthunde Karriere machten, zeichneten sich vor allen Dingen durch Faulheit und Bequemlichkeit aus. Hans konnte die beiden Köter vom ersten Tag an nicht ausstehen. Diese Liebe beruhte auf Gegenseitigkeit. Sobald Hans abends nach einem langen Berufsalltag die kleine Wohnung betrat, kläfften die beiden Köter, bis sie müde wurden und einschliefen. Hans war verzweifelt.

      Da kam die Rettung in Gestalt seines Schwagers Lothar Wind. Birgit hatte eine vier Jahre jüngere Schwester, die genau das Gegenteil von ihr war. Britta war fast zwanzig Zentimeter größer als Birgit, schlank und dunkelhaarig. Sie hatte schon im Alter von zwanzig Jahren einen zwanzig Jahre älteren selbstständigen Schreinermeister geheiratet und wurde nach zwei Ehejahren schwanger. Als der kleine Lothar das Licht der Welt erblickte, genügte die Wohnung der Winds nicht mehr den räumlichen Ansprüchen einer kleinen Familie. Da Lothar sehr gut mit seinem Schwager harmonierte, machte er Hans den Vorschlag, gemeinsam ein Doppelhaus zu bauen. Das passende Grundstück dazu hatte er von seinen Eltern geerbt. Da das Grundstück ziemlich genau zwischen dem Krankenhaus, in dem Birgit arbeitete, und dem Firmensitz der Firma Maschbau GmbH lag, stimmten Hans und Birgit sofort zu. Hans kaufte Lothar die Hälfte des Grundstücks ab und dann wurde umgehend der Bau der beiden Haushälften in Angriff genommen. Dabei hatte Birgit einen Hintergedanken. Sie kannte ihre jüngere Schwester ganz genau. Britta würde ziemlich schnell das Interesse an der Erziehung des kleinen Lothar verlieren. Und dann würde sie den Jungen großziehen. Ein Jahr später war das Doppelhaus bezugsfertig und die beiden Familien zogen ein. Für die Hunde hatte Lothar auf Bitten von Hans eine große Hütte im Garten gebaut, die die beiden Pekinesen allerdings mit Nichtbeachtung straften und jetzt auch Lothar als Erbauer bei jeder sich bietenden Möglichkeit anbellten.

      Die Jahre zogen ins Land. Britta verlor, wie von Birgit vorausgesehen, sehr schnell das Interesse an Lothar jun. und widmete sich fast ausschließlich der Pflege ihres Körpers und der Auswahl ihrer Garderobe. Lothar sen. arbeitete von früh bis spät, um den aufwändigen Lebensstil seiner Frau finanzieren zu können.

      Hans überraschte seinen Chef immer wieder positiv mit neuen Ideen, arbeitete fast jeden Tag zwölf Stunden und länger und verdiente sehr gut. Birgit hatte ihren Beruf aufgegeben und ging ganz in der Erziehung ihres Neffen und dem Verhätscheln ihrer beiden Palasthunde auf.

      Heinz Meier erblickte an einem 2. April im selben Jahr wie Hans Meier das Licht der Welt. Seine Mutter lag mit Heinz im selben Zimmer der Entbindungsstation des Krankenhauses wie Hans mit seiner Mutter. Obgleich die beiden Familien nur drei Straßen voneinander entfernt wohnten, kannten sie sich vorher nicht. Da sich die beiden Mütter auf Anhieb sympathisch waren, vereinbarten sie, den Kontakt nach dem Verlassen des Krankenhauses nicht zu verlieren und sich regelmäßig zu besuchen. Und so wuchsen Hans und Heinz fast wie Brüder auf. Als Heinz sechs Jahre alt war und ebenso wie Hans eingeschult wurde, zogen seine Eltern in einen anderen Stadtteil, und Heinz besuchte deshalb eine andere Grundschule als Hans. Der Kontakt der beiden Jungen riss immer mehr ab, aber wenn sie sich trafen, verstanden sie sich weiterhin sehr gut. Heinz war ein ebenso guter Schüler wie Fußballer. Er wechselte zum örtlichen Jungengymnasium und spielte erfolgreich in der höchsten Jugendklasse Fußball. Nach dem Abitur wollte Heinz nicht sofort studieren, sondern erst einmal eine Ausbildung machen und Geld verdienen. Seine Eltern unterstützten ihn in seiner Entscheidung. Und so begann Heinz eine kaufmännische Ausbildung bei der Firma Maschbau GmbH, wo er wieder mit Hans zusammentraf. Allerdings sahen sie sich auch weiterhin sehr selten, denn ihre Interessen waren zu unterschiedlich. Aber sie schätzten sich und jeder der beiden wusste, dass er sich im Ernstfall auf den anderen verlassen konnte. Heinz bekam nach seiner Ausbildung von Harry Menzel das gleiche Angebot wie Hans, und so studierte er in der Nachbarstadt Betriebswirtschaftslehre. Heinz war mit seiner Größe von fast 1,90 m, seinen pechschwarzen Haaren und dunkelbraunen Augen der Schwarm vieler Mädchen. Da er aber von Natur aus schüchtern und mehr der Typ Streber war, suchte er zum Leidwesen der jungen Damen nicht den Kontakt zum anderen Geschlecht. Nach seiner Überzeugung fehlte ihm dafür einfach die Zeit.

      Das Studium bereitete Heinz keine großen Probleme. Er freute sich jedes Mal auf die Semesterferien, in denen er vertragsgemäß in der kaufmännischen Abteilung der Maschbau GmbH arbeitete. Nach dem Studium entwickelte sich Heinz noch besser als von Harry Menzel erwartet. Schon nach wenigen Jahren trat er die Nachfolge seines Mentors Werner Schreiber als kaufmännischer Leiter an, der im Alter von 65 Jahren das Unternehmen, das sein ganzes Leben bestimmt hatte, verließ. Heinz wohnte weiter im Haus seiner Eltern, wo er sich eine gemütliche 2 ½ Zimmerwohnung im Dachgeschoss eingerichtet hatte. Sein einziger Ausgleich war der Fußballsport.

      Bei einer Weihnachtsfeier seines Vereins lernte er die Schwester eines Mannschaftskollegen kennen oder besser gesagt, sie lernte ihn kennen. Lisa war groß, schlank, hatte lange blonde Haare und blaue Augen. Sie hatte gerade das erste Staatsexamen bestanden und unterrichtete als Referendarin am örtlichen Mädchengymnasium Englisch und Sport. Sie befand sich gerade in einer schlechten Verfassung, denn ihr Verlobter hatte vor einer Woche die Verlobung gelöst. Er war es satt, dass seine Verlobte immer ohne ihn unterwegs war und den jungen Männern auch nach der Verlobung weiterhin den Kopf verdrehte. Es war schon Lisas zweite aufgelöste Verlobung und sie hatte sich vorgenommen, erst mal ihren Kontakt zu den Männern auf das Nötigste zu beschränken. Nur widerwillig nahm sie die Einladung ihres älteren Bruders zu der Weihnachtsfeier an. Er liebte seine kleine Schwester über alles und machte sich große Sorgen um sie. Lisa saß gemeinsam mit ihrem Bruder an einem Tisch, als sich Heinz zu ihnen setzte. Er begrüßte die beiden freundlich und beobachte dann interessiert die Leute, die sich wie auf jeder Weihnachtsfeier seines Vereins warm tanzten und warm tranken. Lisas Interesse für Heinz erwachte sehr schnell. Dieser gutaussehende junge Mann unterschied sich wohltuend von den Typen, die ihr nachliefen.

      Sie vergaß ihre Vorsätze und ging zum Angriff über. Heinz war eine leichte Beute. Achtzehn Monate später läuteten die Hochzeitsglocken. Lisa zog mit in die kleine Wohnung in das Elternhaus von Heinz. Sie bekam nach dem zweiten Staatsexamen sofort eine Anstellung an der Schule, an der sie als Referendarin tätig war. In einem Punkt waren die beiden sich von Anfang an sehr zum Leidwesen der Eltern von Heinz einig: sie wollten keine Kinder.

      Hans war als Ingenieur ein Naturtalent. Zusätzlich besaß er ein Gespür für neue Geschäftsideen und wirtschaftliche Zusammenhänge.

      In den letzten zwanzig Jahren hatte sich die Maschbau GmbH in erster Linie auf die Konstruktion, die Herstellung und die Installation von Aufzügen aller Art spezialisiert. Der normale Personenaufzug und Lastenaufzüge in Werken gehörten ebenso zur Produktpallette wie die komplexen und beweglichen Lautsprecher- und Beleuchtungskonstruktionen in Konzert- und Theaterhäusern. Hans besuchte gerne Messen, die sich auch mit anderen Bereichen des Maschinenbaus beschäftigten, denn ihm war schon länger bewusst, dass sich die Maschbau GmbH auf Dauer anders aufstellen musste, um langfristig am Markt zu überleben. Die Konkurrenz schlief nicht, und sein Chef tat sich mit Neuerungen sehr schwer. Auf einigen Messen begegnete er immer wieder Friedrich Schulz, genannt „der Bagger Fritz“. Friedrich arbeitete schon seit Menschengedenken bei einem großen Baumaschinenhersteller. Er verkaufte zwar in erster Linie Bagger, galt aber in der Branche als Universalgenie. Es gab nichts, was er bei Bedarf nicht verkaufte. Am letzten Abend der Messe saßen die beiden beim Bier zusammen.

      „Hans, wir haben uns schon oft auf Messen getroffen. Obwohl du viel jünger bist als ich und dich mit ganz anderen Facetten des Maschinenbaus beschäftigst, beobachte ich dich schon länger und habe eine sehr hohe Meinung von deinen fachlichen Qualitäten. Ich spüre, dass du Potenzial hast. Du bist jetzt Mitte Dreißig und trittst im Augenblick bei der Maschbau GmbH auf der Stelle. Hast du Lust, zu uns zu wechseln und mein Nachfolger zu werden?“

      Hans war überrascht. Er schätzte Bagger Fritz sehr und spürte, dass es