Jörg Müller

Meier im Quadrat


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faszinieren technische Aufgaben und Prozessabläufe. Ich bin kein Verkäufertyp.“

      Bagger Fritz hatte mit dieser Antwort gerechnet.

      „Ich weiß, Hans, war auch nur so eine fixe Idee von mir. Aber dann möchte ich dir wenigstens einen Rat für deinen weiteren beruflichen Werdegang mit auf den Weg geben. Du musst zu deinen Kunden in einem engen Kontakt stehen. Das bedeutet harte Mannarbeit. Deine Kunden planen neue Projekte: Du hilfst bei der Umsetzung. Deine Kunden haben Probleme: Du bist der Problemlöser. Das funktioniert natürlich nur, wenn du dich so in ihr Unternehmen hineinversetzt, als wäre es deine eigene Firma. Du wirst dann schnell feststellen, dass du mit deiner technischen Begabung Schwachstellen im Unternehmen entdeckst und an Lösungsmöglichkeiten zum Vorteil des Kunden mitwirken kannst. Das bedeutet natürlich auch, dass die Maschbau GmbH sich zukünftig anders aufstellen und ihr Leistungsangebot erweitern muss. Hört dein Chef auf dich?“

      Hans zuckte hilflos mit den Achseln.

      „Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Ich weiß es nicht.“

      „Dann finde es heraus.“

      Nachdenklich ging Hans zu Bett. Er hatte schon oft ein Kribbeln in den Fingern gespürt, wenn er durch die Räumlichkeiten der Kunden der Maschbau GmbH ging. In vielen Fällen war sein technisches Harmonieempfinden gestört, aber er konnte seine innere Unruhe nicht erklären. Bagger Fritz hatte ihm die Augen geöffnet.

      Wie nach jedem Messebesuch erstattete Hans seinem Chef am darauffolgenden Tag Bericht über seine Eindrücke. Harry Menzel hielt zwar nichts von diesen Messebesuchen, aber er wusste, mit welcher Begeisterung sein bester Ingenieur dort hinfuhr und sah es unter dem Aspekt „Belohnung für Hans Meier“.

      Aber diesmal hatte sich die Situation grundlegend geändert. Heinz Meier hatte in seiner Funktion als kaufmännischer Leiter seinem Chef anhand von einfachen Zahlenbeispielen klargemacht, dass die Firma sich nach vielen erfolgreichen Jahren immer mehr Richtung Verlustzone bewegte. Harry Menzel beschloss, mit Hans Meier darüber zu reden.

      Hans Meier hatte wie immer die Eindrücke seines Messebesuchs kurz auf einer DIN A4-Seite zusammengefasst. Aber er bemerkte schnell, dass sein Chef nicht bei der Sache war.

      „Herr Meier, Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze. Ihr Namensvetter hat mir mit seinen Zahlen meine gute Laune verdorben. Wir befinden uns mit unserer Firma auf dem Weg in die Verlustzone. Haben Sie vielleicht eine Idee, mit der wir wieder in die Erfolgsspur zurückkehren können?“

      Darauf schien Hans nur gewartet zu haben. Es sprudelte nur so aus ihm heraus, und er entwickelte seinem Chef ein neues Geschäftsmodell, auf das ihn Bagger Fritz gebracht hatte.

      „Herr Menzel, wir müssen in Zukunft den Kontakt zu unseren Kunden intensivieren, neue Kunden akquirieren und uns von einem reinen Aufzugsspezialisten zu einem Dienstleister für andere Unternehmen aus dem Bereich Maschinenbau entwickeln. Natürlich sollten wir unsere heutige Kernkompetenz Aufzugsbau auch weiterhin intensiv verfolgen.“

      Harry Menzel sah den jungen Mann, der ihm voller Tatendrang und mit leuchtenden Augen gegenüber saß, verständnis- und ratlos an.

      „Ich kann Ihnen nicht ganz folgen. Schon mein Vater hat Aufzüge gebaut und ich bin in seine Fußstapfen getreten. Die Maschbau GmbH war und ist ein allseits geschätzter Spezialist für den Aufzugsbau. Etwas anderes kann ich auch nicht. Außerdem wissen Sie besser als jeder andere hier in unserer Firma, dass ich für die Akquisition und die Einführung von Neuerungen überhaupt nicht tauge. Ich bin Ingenieur mit Leib und Seele und kann mir unter „Dienstleister für andere Unternehmen aus dem Bereich Maschinenbau“ nichts vorstellen.“

      „Ich möchte Ihnen meine Idee an einem Beispiel verdeutlichen. Ich fahre zu einem unserer langjährigen Kunden, der von uns einen speziellen Lastenaufzug konstruiert, gebaut und installiert haben möchte. Dabei sehe ich mich in seinem Unternehmen um. Ich bemerke, dass der Abstimmungstakt bei den Fertigungsabläufen in seinem Unternehmen Optimierungspotential hat und frage ihn dann, ob wir ihm als Maschbau GmbH einen Verbesserungsvorschlag präsentieren dürfen. Die Geschäftsleitung des Unternehmens wird im Normalfall nichts dagegen haben, denn sie kann davon nur profitieren. Sie wird sich vielleicht anfänglich über unseren Vorschlag wundern, aber da sie die Maschbau GmbH seit vielen Jahren als kompetenten und zuverlässigen Geschäftspartner kennt und schätzt, bekommen wir bestimmt die Chance, ein Angebot abzugeben. Dann sind wir Ingenieure gefordert, um optimierte Prozessabläufe auszuarbeiten. Gleichzeitig binden wir meinen Namensvetter Heinz Meier mit seinen Kaufleuten mit ein. Er wird in Ergänzung zu unseren technischen Überlegungen als weiteren Service die Abläufe unter wirtschaftlichen Aspekten durchleuchten und aus kaufmännischer Sicht Änderungsvorschläge machen. Ich bin mir sicher, dass wir unsere Kunden schnell als Dienstleister überzeugen werden. Und was die Akquisition angeht, ich fühle mich stark genug, diese Aufgabe zusätzlich zu übernehmen.“

      Harry Menzel musste erst einmal durchatmen. Er war zwar nur sieben Jahre älter als Hans Meier, aber seine Lebensgeschichte hatte dazu geführt, dass er deutlich älter aussah und sich dementsprechend fühlte. Seine Mutter war bei der Geburt seiner zehn Jahre jüngeren Schwester gestorben. Seinen Vater hatte diese Situation völlig überfordert, und so kümmerte sich Harry gemeinsam mit der älteren Schwester seines Vaters um seine Schwester Adele. Als Harry gerade mit seinem Ingenieurstudium begonnen hatte, starb sein Vater völlig überraschend. Harry schaffte den Spagat zwischen Studium und Verantwortung für die Firma. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterstützten ihn und die meisten Stammkunden sprachen ihm das Vertrauen aus und blieben bei der Stange. Nach seinem Studium stürzte er sich voller Elan in seine Aufgabe und trug mit seinem hohen technischen Sachverstand maßgeblich dazu bei, dass sich die Firma Maschbau GmbH positiv entwickelte. Anlässlich seines 30. Geburtstages weilte er zu einem Kurzurlaub auf der Insel Sylt und lernte dort Klara Kaufmann, die Tochter einer angesehenen Hamburger Familie, kennen und lieben. Gegen alle Widerstände der Familie seiner Frau heirateten die beiden ein Jahr später und Klara zog zum Entsetzen ihrer Eltern ins Ruhrgebiet. Harry blühte förmlich auf. Seine Ideen revolutionierten den Aufzugsbau. Zwei Jahre später wurde Klara schwanger. Die Schwangerschaft verlief sehr schwierig. Um das Kind nicht zu verlieren, musste Klara die meiste Zeit im Krankenhaus verbringen. Aber sie war die geborene Optimistin, ließ sich trotz großer Schmerzen nicht unterkriegen und brachte eine gesunde Tochter zur Welt. Aber in den folgenden Wochen und Monaten schaffte es ihr geschwächter Körper nicht mehr, sich von den Strapazen der Schwangerschaft und der Geburt zu erholen. Sie baute immer mehr ab. Als Klara spürte, dass sie sterben würde, ergriff sie Harrys Hand:

      „Harry, unsere Wege trennen sich nun für eine kurze Zeit. Wir werden uns bestimmt im Himmel wiedersehen. Du musst mir versprechen, dass du alles für unsere kleine Klara tun wirst. Sie wird dich immer an mich erinnern.“

      Harry gab Klara das Versprechen und fast im gleichen Moment verstarb Klara mit einem Lächeln auf ihrem Gesicht. Die kleine Klara war zu diesem Zeitpunkt fast genau ein halbes Jahr alt.

      Harry bat seine Tante Amanda, die schon Adele großgezogen hatte, um Hilfe. Aber Amanda war auf Grund ihres Gesundheitszustandes nicht in der Lage, die Verantwortung für die kleine Klara zu übernehmen. Und so übernahm seine Schwester Adele in der ersten Zeit die Erziehung ihrer Nichte. Aber schon bald stellte sich heraus, dass Adele diese Aufgabe überforderte. Sie war vom Typ her genau das Gegenteil ihres Bruders. Das Ruhrgebiet war ihr zu bieder, die Leute, die hier lebten, zu primitiv. Sie wollte hinaus in die Welt der Schönen und Reichen, und dabei war ihr ihre Nichte nur im Weg. Harry zahlte Adele ihren Erbteil aus, und sie zog Richtung Tegernsee, wo sie das Glück hatte, schnell einen zwar sehr rustikalen aber auch sehr reichen einheimischen Gastronomen kennenzulernen, der einen Narren an ihr gefressen hatte. Der Altersunterschied von fast dreißig Jahren spielte für sie und ihren zukünftigen Ehemann keine entscheidende Rolle. Nachdem sie anfänglich aus taktischen Gründen zögerte, gab sie seinem Geld das „Ja-Wort“. Ihr Mann öffnete ihr alle Türen zur Münchener Schickeria und verwöhnte sie, wo er nur konnte.

      Harry kümmerte sich im Rahmen seiner Möglichkeiten so gut es ging um seine kleine Tochter. Die Kleine hing sehr an ihm. Am 22. Dezember machte sich Harry auf den Weg zu seinen Schwiegereltern nach Hamburg. Sie hatten ihre Tochter mit allen Konsequenzen