Jörg Müller

Meier im Quadrat


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Er fühlte sich in diesem alten und sehr stilvollen Pub gleich zu Hause. Hans bestellte an der Theke ein Bier und kam schnell mit dem Landlord, das heißt, mit dem Wirt, der gleichzeitig der Ortsvorsteher der kleinen Gemeinde war, ins Gespräch. Er hieß Bill Bond, wurde aber von allen nur James genannt. James sprach sehr gut Deutsch, denn er war fast zwanzig Jahre lang als Pilot der Royal Airforce in Deutschland stationiert. Von seiner Abfindung hatte er den Pub in seinem Heimatort gekauft. Nach und nach beteiligten sich immer mehr Gäste am Gespräch der beiden. Bei Bedarf dolmetschte James. Und so erfuhr Hans ziemlich schnell, welche Sorgen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des von den Deutschen übernommenen Unternehmens quälten und welche Fehler in den letzten Jahren von der englischen Geschäftsleitung gemacht worden waren. Natürlich wollten James und seine Gäste im Verlauf des Abends wissen, warum sich Hans in ihren Pub verlaufen hatte, denn Fremde waren hier die Ausnahme. Hans spielte sofort mit offenen Karten. Er war gekommen, um zu analysieren, ob das von den Deutschen übernommene Unternehmen in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht den hohen Anforderungen des europäischen und des Weltmarktes entsprach. Den Schwerpunkt seiner Arbeit sah er in der Analyse der momentanen Prozessabläufe im Unternehmen und der Bewertung des Optimierungspotentials. Natürlich kam sofort der Einwand der Pubgäste, dass mit jeder Prozessoptimierung zwangsweise ein Stellenabbau verbunden war. Das versuchte Hans glaubhaft zu entkräften. Er erläuterte den Anwesenden seine Philosophie:

      „1. Eine Prozessoptimierung hat die beiden Ziele, die Produktionsabläufe zu verbessern und die Qualität der Produkte zu steigern. Dies führt in der Regel zu einer Anpassung des Personals nach unten und zu einer deutlichen Senkung der Herstellungskosten.

      2. Geringere Herstellungskosten eröffnen dem Unternehmen die Chance, mit reduzierten Preisen und einer gesteigerten Qualität mit deutlich verbesserten Gewinnmargen erfolgreicher am Markt zu bestehen als in der Vergangenheit.

      3. Dies führt sehr schnell zu einer gesteigerten Nachfrage und daraus resultierend zu einer erheblichen Ausweitung der Produktion.

      4. Da die Arbeitsprozesse bereits optimiert sind, kann das Unternehmen diese deutliche Ausweitung der Produktion nur dadurch realisieren, dass nicht nur der heutige Personalbestand benötigt wird, sondern darüber hinaus zusätzliches Personal eingestellt werden muss.

      Zusammengefasst: Wenn im Unternehmen alle am Produktionsprozess Beteiligten die sicherlich notwendigen Prozessänderungen umsetzen, leisten sie einen entscheidenden Beitrag dazu, dass als ein Ergebnis der Prozessoptimierung neue Arbeitsplätze geschaffen werden.“

      Hans war gespannt, wie die Gäste, von denen die meisten vom Erfolg seiner Arbeit direkt betroffen waren, reagieren würden. Zu seiner großen Erleichterung waren die meisten Gäste bereit, sich mit seiner Philosophie anzufreunden und ihm zu vertrauen. Zum Abschied klopfte ihm James anerkennend auf die Schulter. Als Hans am nächsten Morgen zum ersten Mal das Firmengelände betrat, wurde er schon vom Pförtner wie ein alter Bekannter begrüßt. Der Buschfunk schien auch in England bestens zu funktionieren. Da Hans von der Belegschaft mit offenen Armen aufgenommen und in jeder Beziehung unterstützt wurde, hatte er seine Analyse schon nach wenigen Tagen fertiggestellt.

      Eine Woche später stellte er gemeinsam mit Heinz den Sauerländern das Konzept vor. Die Präsentation dauerte drei Stunden. Nach einer kurzen firmeninternen Beratung erteilte der Geschäftsführer der Maschbau GmbH den Auftrag, die Prozessabläufe im englischen Werk zu optimieren und somit das Werk konkurrenzfähig für den europäischen und den Weltmarkt zu machen.

      Vier Wochen später flog Hans mit vier Mitarbeitern wieder nach England. Er hatte sich telefonisch bei James angemeldet und um Unterstützung bei der Suche nach einer Unterkunft für seine vier Kollegen gebeten, die voraussichtlich mehrere Wochen in England zu tun haben würden. Als die fünf Deutschen den Pub betraten, wurden sie von James in Empfang genommen. Danach gab es erst mal für jeden deutschen Gast ein Pint Lager Beer auf Kosten des Hauses, das den verwöhnten deutschen Biertrinkern erstaunlich gut schmeckte. Hans sah sich im Pub um. Der ganze Ort schien hier versammelt zu sein.

      James ergriff das Wort:

      „Silence please, Ruhe bitte. Ich freue mich, unseren deutschen Freund Hans wieder bei uns begrüßen zu dürfen. Wir haben im Vorfeld telefoniert. Hans hat sich wie ein echter englischer Gentleman benommen und Wort gehalten. Er und seine vier Kollegen sind gekommen, um unser Werk aus dem Dornröschenschlaf zu erwecken und in eine erfolgreiche Zukunft zu führen. Aber er kann es nicht alleine schaffen. Ich habe Kontakt zu dem für das Werk zuständigen Gewerkschaftsfunktionär aufgenommen. Er wird gleich hier sein. Zufälligerweise handelt es sich um meinen Lieblingscousin.“

      Die Gäste im Pub lachten laut und klatschten Beifall. Ihre Laune war ausgezeichnet.

      „Ich erwarte von euch, dass jeder bedingungslos mitzieht und sein Bestes gibt. Und zum Abschluss noch eines: Wenn einer von euch damit ein Problem hat, dass uns Deutsche helfen, und unsere Gäste schlecht behandelt, dann bekommt er es mit mir zu tun. Denn was können Hans und seine vier Kollegen dafür, dass die Deutschen besser Elfmeter schießen können als wir Engländer?“

      Kurz darauf betrat Jason, der Lieblingscousin, mit drei weiteren Gewerkschaftsvertretern den Pub. James und Hans begleiteten die drei in ein ruhiges Nebenzimmer und James übernahm die Vorstellung. Die vier Mitarbeiter von Hans brachten in der Zwischenzeit ihr Gepäck in die von James organisierten Unterkünfte. Das Gespräch mit den englischen Gewerkschaftern gestaltete sich zu Beginn sehr schwierig. Sie trauten dem Deutschen grundsätzlich nicht. Nur dem Einfluss von James war es zu verdanken, dass Jason sich überhaupt bereit erklärte, Hans eine Chance zu geben und mit ihm zusammenzuarbeiten.

      Hans und seine Kollegen betraten am nächsten Morgen das Werksgelände mit einem guten Gefühl.

      Das erste Projekt der Maschbau GmbH in England wurde ein voller Erfolg. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Gewerkschaft zogen gemeinsam mit den neuen deutschen Eigentümern an einem Strang. Schon nach sechs Monaten wurden die ersten zwanzig neuen Mitarbeiter auf Grund der gesteigerten Nachfrage eingestellt. Jason bedankte sich persönlich bei Hans:

      „Ich mag die Deutschen immer noch nicht. Aber bei dir mache ich eine Ausnahme. Wenn du meine Hilfe brauchst, ruf mich an, egal, um was es sich handelt.“

      Dem Auftrag in England folgten weitere Auslandsaufträge. Die Ertragslage der Maschbau GmbH entwickelte sich hervorragend. Hans hatte zwar keine Probleme, genügend Ingenieure zu finden, die er in sein Konzept integrieren konnte, aber schon bald kamen die beiden Meier zu dem Entschluss, die Anzahl der Aufträge, die sie bearbeiten wollten, auf ihre aktuellen Kapazitäten zu begrenzen, um nicht den Überblick zu verlieren und die Erfolgsgeschichte zu gefährden. Harry Menzel konnte ihrer Argumentation anfänglich nicht folgen, aber Heinz Meier gelang es, seinen Chef schnell mit seinen Argumenten zu überzeugen:

      „Herr Menzel, wir haben zurzeit eine gute Balance, was das Verhältnis Umsatz/Kosten angeht. Eine weitere Expansion würde dazu führen, dass wir unser Personal deutlich aufstocken müssen und das Vorfinanzierungsvolumen sich erheblich erhöht. Eine direkte Konsequenz wäre eine Erhöhung der Kreditlinien bei unseren Hausbanken, was wiederum zur Folge hätte, dass die Banken umgehend Sicherheiten von Ihnen verlangen werden. Außerdem stößt Hans Meier langsam an die Grenze seiner Belastbarkeit, auch wenn er dies nie zugeben würde.“

      . . . . . . .

      An einem Frühlingstag im darauffolgenden Jahr saß Hans am frühen Nachmittag auf dem Londoner Flughafen Heathrow und wartete auf sein Flugzeug, das ihn nach Düsseldorf bringen sollte. Doch dann kam alles anders: Bombenalarm.

      Die Passagiere wurden umgehend mit Bussen in einen anderen Bereich des Flughafens evakuiert. Alle betroffenen Passagiere hatten denkbar schlechte Laune und machten ihrem Unmut lauthals Luft, bis auf zwei. Der eine der beiden war Hans Meier. An diesem Abend veranstaltete Birgit ihre vierteljährliche Pekinesenparty. Bei den letzten Partys waren in der Regel bis zu zehn dieser Kläffer mit ihren Frauchen anwesend und blieben bis weit nach 22.00 Uhr. Wenn er Glück hatte, würde sein Flug auf den nächsten Tag verschoben. Neben Hans saß ein Hüne, der mit seinem lauten Organ den anderen Wartenden immer wieder mittteilte, welchen Spaß ihm dieser Bombenalarm bereitete. Nur seine Körpergröße, verbunden mit